Grenzüberschreitungen
Für Tana-French-Fans, die es nicht mehr aushalten, auf die deutsche Ausgabe (angekündigt für den 29. 12.2016, „Gefrorener Schrei“ soll der Titel sein, nu …) zu warten, hat Susanne Saygin das neue Buch von Tana French schon mal gelesen.
Ein grauer, kalter Januarmorgen. Am Ende einer deprimierenden Nachtschicht wollen Detectives Steve Moran und Antoinette Conway bei der Mordkommission Dublin nur noch eines ‑ schnellstmöglich nach Hause und ihre jeweils eigenen Betten. Aber dann meldet ein anonymer Anrufer den Mord an einer jungen Frau, der Leiter der Mordkommission wartet nicht auf den Schichtwechsel, sondern setzt Conway und Moran auf den Fall an ‑ und, weil die beiden noch nicht lange bei der Mordkommission sind, stellt er ihnen einen erfahrenen Kollegen zur Seite.
Auf den folgenden vierhundert fulminanten Seiten exerziert Tana French sämtliche Spielarten der titelgebenden „Grenzüberschreitungen“ durch: Es geht um Männer, die Frauen kontrollieren und um Frauen, die Männer manipulieren und es geht um falsch verstandene Loyalität, um Korpsgeist und Mobbing. Das Ganze erzählt in messerscharfen Dialogen (und inneren Monologen) und mit nahezu hyperrealistischen Schilderungen des Polizeialltags. Dass der Leser willig jeder atemberaubenden Plotwendung folgt, ist jedoch vor allem der Tiefenschärfe geschuldet, mit der French ihre Charaktere zeichnet. Das gilt etwa für die ständig auf Krawall gebürstete und mit ihrem Job hadernde Antoinette Conway (French-Lesern aus ihrem letzten Roman Secret Place/Geheimer Ort bekannt).
Sie kommt mit den Ermittlung erst richtig voran, als sie sich eingesteht, dass sie sich zwar auf den ersten Blick in jeder Hinsicht von dem Mordopfer, einer vermeintlich rückgrat- und interessenlosen Durchschnittsblondine, unterscheidet, dass sie aber in einem entscheidenden Punkt ganz genau so tickt wie diese von ihr zutiefst verachtete „Barbie für Arme“ („Working Girl Barbie“). Das gilt aber auch für den Täter, der innerhalb von zwei brillanten Verhörszenen von einer scheinbar bedeutungslosen Nebenfigur zu einem voll ausgebauten Charakter mit allen menschlichen Schwächen und Träumen aufläuft und es gilt nicht zuletzt für den Leiter der Mordkommission, der in einer Cameo-Szene kurz vor Schluss fast dreißig Jahre Berufserfahrung in die Waagschale wirft, um einen Weg aus einer scheinbar unlösbare Situation zu bahnen.
Am Ende ist der Fall geklärt und nichts bei der Dubliner Mordkommission ist so wie es einmal war. Wieder ist Schichtende, aber dieses Mal ist es Abend und Conway und ihr Partner Moran sind auf den Weg in den nächsten Pub um gemeinsam einen zu heben, bevor sie sich am nächsten Tag wieder zum Dienst melden werden.
Susanne Saygin
Tana French: The Trespassers. London: Hodder and Stoughton Ltd., 2016, 480 Seiten HC 19,99.- pb 2016, 469 Seiten, € 13,99
(Dieser Text erschien zuerst bei Hammett-Krimibuchhandlung.)