Geschrieben am 15. November 2017 von für Bücher, Crimemag

Roman: Harry Bingham: Fiona: Als ich tot war

71DKb3g4OcLIn der Ermittlung, zwischen den Existenzen

Von Max Annas

Na bitte. Geht doch. Wales ist nämlich nicht diese Mischung aus felsiger Tristesse und dörflicher Idylle, als die es in der BBC-Serie „Hinterland“ dargestellt wird. Darin sind zwei Karikaturen von Ermittlern stets auf der Suche nach sich selbst und nach dem nächsten Schaf, dem sie die dringende Frage stellen können: Wo waren Sie in der Nacht vom zum zwischen … Sie wissen schon. Harry Bingham kann es besser. Das Organisierte Verbrechen muss keinen Tower am Canary Wharf anmieten, um mit der Arbeit zu beginnen. Und von Organisiertem Verbrechen versteht Bingham was. Laut Klappentext hat er bei J P Morgan gearbeitet, bevor er mit einer seriösen Beschäftigung begonnen hat, dem Schreiben von Büchern. Vertrauen wir also darauf, dass er weiß, wovon er spricht.

Fiona aus Cardiff heißt seine Titelheldin, und das schon zum dritten Mal. Die beiden ersten Bücher sind 2012 und 2014 bei Blanvalet erschienen und nicht wirklich angemessen gewürdigt worden. Mit dem dritten Band „Als ich tot war/The Strange Death of Fiona Griffiths“ könnte sich das ändern.

Und Fiona Griffiths ist … well … Wer Fiona Griffiths ist, das weiß die Protagonistin selbst mitunter gar nicht so genau. Und das liegt nicht nur am Cotard-Syndrom, das ihr die Fähigkeit verleiht, ab und zu weit außerhalb ihrer Person und ihres Lebens zu stehen und sich wie eine Fremde zu betrachten. Bingham positioniert seine Akteurin irgendwo im Polizeiapparat, und dieser Ort Irgendwo ist ein schwieriger Platz.

Vom Einstieg in den Plot an, an dem Fiona zum einem Tod in der Unwirtlichkeit der Provinz geschickt wird, steht sie in dem Zwischenraum, der ihr in der Polizeihierarchie zugewiesen ist und immer wieder von neuem zugewiesen wird. Das ist ein feiner und sehr schlauer Bruch mit dem Erzählen von der Spitze weg. Binghams Protagonistin ist eben keine, die, einmal auf der Fährte, einen Fall bis zum bitteren Ende durchzieht. Zu viele Partikularinteressen innerhalb der Polizei, zu viele regionale Zuständigkeiten, zu viele Egoismen auf den Führungsebenen.

Erschwerend kommt hinzu, dass Fiona einen Kurs in Undercover-Arbeit absolviert. Aus Fiona wird nun Fiona. Fiona Griffiths wird Fiona Grey, um einem hochkomplexen Schwindel auf die Spur zu kommen, der größere Firmen bei ihren Lohnabrechnungen um hohe Summer erleichtert, ohne dass das selbst erfahrene Buchhaltungen mitkriegen. Der Job erscheint schon schwierig und wird immer komplexer und dann auch blutiger, und Fiona, sowohl Griffiths als auch Grey, muss und müssen sich und ihre Fähigkeiten ganz schön strecken.

bi strange 18804704Und putzen muss sie natürlich. Fiona weiß selbst nicht recht, ob es die eine ist oder die andere, entdeckt ihre Leidenschaft für die Büroreinigung. Das nützt ihr in mancher Hinsicht, auch professionell, also in ihrer Undercoverrolle. Als auch aus Fiona Grey eine Existenz wird, die nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, muss die Protagonistin erneut in eine neue Rolle schlüpfen. Und weiterputzen.

Fiona ist eine wirklich aufregende Figur. Harry Bingham bürstet mit ihr das Genre geschickt so weit gegen den Strich, dass er herausragt aus dem Allerlei im Regal, ohne den Polizeiroman gleich neu zu erfinden. Dazu hat er einen sehr, sehr feinen Rhythmus, den Blick mal scharf verengend, ihn dann wieder auf Cinemascope erweiternd, und zurück. Der Autor kann was. Mehr davon bitte. Und bald.

Max Annas

Harry Bingham: Als ich tot war (The Strange Death of Fiona Griffiths, 2014). Übersetzt von Andrea O´Brien. Wunderlich bei Rowohlt, Reinbek 2017. Gebunden, 510 Seiten, 19,95 Euro.

Offenlegung: Der Autor veröffentlicht auch bei Rowohlt, erhält aber vom Verlag für diese Besprechung keine Vergünstigungen außer jenen, die ohnehin vertraglich fixiert sind.

Zu Harry Bingham siehe auch das Porträt von Alf Mayer in der September-Ausgabe: Absolute Spitzenklasse.

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