Geschrieben am 17. Mai 2016 von für Bücher, Crimemag

Roman: Dominique Manotti: Schwarzes Gold – Zwei Perspektiven

Dominique-Manotti_Or-noirEin Buch – zwei Perspektiven:
Max Annas und Katja Bohnet über Dominique Manottis „Schwarzes Gold“.

Beide schreiben sie selbst Kriminalromane. Hier schauen sie sich an, wie Dominique Manotti das macht.

Die Macht der sieben Schwestern

Von Max Annas

Mit einem erzählten Plot wird man Dominique Manotti sowieso nicht gerecht. Marseille, 1973. Einer wird erschossen. Okay. Ermittlungen ergeben, dass er nicht der war, für den man ihn hielt. Gut, so was hatten wir auch schon. Weitere Nachforschungen führen zu einem Komplott, das nicht mit Heroin zu tun hat – Marseille (!), 1973 (!), sondern auf Erdöl verweist. Da kommen wir dem Kern des Buches schon näher. Wobei … Der Begriff des Komplotts ist eigentlich eine Sabotage an Manottis Intention. Denn das Komplott und seine Cousine, die Verschwörung, sind letztlich nur Skandalisierungen von Vorgängen, die das politische System ausmachen, in dem wir leben. Manotti bleibt in „Schwarzes Gold“ extrem nüchtern, diese Vorgänge zu beschreiben und vermeidet jeden Anschein der Empörung.

Der, der erschossen wird, heißt Maxime Pieri. Zehn Kugeln als präzise Botschaft der Vernichtung. Pieri war Teil einer wirtschaftlichen Vereinigung, die Heroin aus Frankreich in die USA brachte. Einer jener eben erwähnten Vorgänge, die gemeinhin mit Schmuggel in Verbindung gebracht werden, tatsächlich aber mit dem Wissen der Regierungen Frankreichs und der USA stattfanden. Manotti erwähnt das in Nebensätzen. Etwa zur gleichen Zeit werden ein Geschäftspartner Pieris und der Kapitän eines Schiffes der Flotte, die die beiden führten, ebenfalls erschossen. Die Polizeispitze legt dem neuen Commissaire Daquin nahe, in der so genannten Unterwelt zu ermitteln, was dieser ignoriert.

Experten auf dem Gebiet des Totmachens

Parallel dazu Skizzen aus dem Leben eines Rohstoffhändlers. Michael Frickx, aufsteigender Stern bei CoTrade in New York, macht sich selbstständig. Wir sehen, wie er Verhandlungen führt, einen Killer anleitet, die Zukunft denkt und diskutiert. Es geht um die Zukunft der Seven Sisters, der großen Erdöl-Companies, die den Markt unter sich aufgeteilt haben. Frickx hat die Idee, deren Monopol zu brechen, und er hat einige mächtige Verbündete, unter ihnen den Schah. Die Figur Frickx´ ist nicht nur lose angelegt an Marc Rich, den Gründer von Glencore, der tatsächlich die Vormacht der Konzerne brach und damit sehr, sehr reich wurde. Gute Verbindungen nach Israel und Südafrika halfen ihm dabei. 1973 waren schon viele Leute gestorben bei dem Versuch, den Schwestern Anteile abzujagen. Der bekannteste Tote war Enrico Mattei, der Chef der italienischen Erdölagentur ENI, der 1962 in einem inszenierten Flugzeugunfall gestorben war. Der Journalist Mauro De Mauro, der 1970 für Francesco Rosis Film „Il caso Mattei“ (1972) recherchierte, wurde von der Mafia ermordet. Genau so wie zahlreiche im Fall De Mauro ermittelnde Polizisten. Die Mafia war hier lediglich ausführendes Organ, gewonnene Experten auf dem Gebiet des Totmachens.

Über all diese Kenntnisse verfügt Daquin nicht, als er sich auf die Ermittlungen einlässt. Schritt für Schritt kommt er von Heroin über Waffen zum Öl. Der Commissaire ist nicht so sophisticated, dass er das ganze Ausmaß der Geschäftsbeziehungen zwischen Marseille, Teheran, Israel, Südafrika, Malta und – natürlich – der Schweiz je überblicken wird. Außerdem ist er Bulle, ein Rest von behördlichem Optimismus ist ihm quasi automatisch eingeschrieben. Wer die Figur aus früheren Manotti-Büchern kennt, weiß dass Daquin schwul ist. „Wenn man in Marseille den Ruf eines Bullen ruinieren will“, warnt ihn ein Freund, „erzählt man nicht, dass er korrupt ist oder unfähig, das ist zu gewöhnlich, die Marseiller sind blasiert, man sagt, er ist eine Schwuchtel.“ Sie schreibt ihrem Commissaire eine Außenseiterrolle ein, die der freilich nur bedingt annimmt.

Gewiss kein Unfall des Systems

In einem TV-Interview sagte Manotti unlängst, die Grenze zwischen Geschäft und Verbrechen habe sich aufgelöst. Was man so sagt, wenn man einen griffigen Satz von sich geben muss. „Schwarzes Gold“ wirkt aber über diese Formulierung hinaus. Ob Gangster oder Bullen, Paramilitärs oder Industrie und Handel, ihr ist jegliches Organisierte suspekt. Die Gruppe als solche trägt hier das Böse in sich. Eine durchaus anarchistische Position, nicht so sehr weit entfernt von jener des Kollegen Pouy, aber weniger selbstverliebt dargestellt. Kriminalität, führte sie weiter aus, sei mitnichten ein Unfall des Systems, sondern ein Rädchen im Getriebe.

Der Weisheit der Schreibenden entspricht die Sprache. Frei von Schmuck und alltäglichen Beschreibungen tauchen Adjektive oft nur im Dialog auf. Reduzierter als reduziert baut sie Hauptsatz auf Hauptsatz auf, rahmt sie in ebenso knappe Nebensätze ein, und gewinnt oft ein ganz halsbrecherisches Tempo damit. Ihre Sprache sagt: Ich analysiere nicht. Ich erinnere Euch nur an die Dinge, die Ihr so gern vergesst. Unter den vielen besten Büchern Manottis ist „Schwarzes Gold“ vielleicht das allerbeste.

Max Annas

Dominique Manotti: Schwarzes Gold (Or noir, 2015). Roman. Aus dem Französischen von Iris Konopik. Argument/Ariadne Verlag, Hamburg 2016. 380 Seiten, 19 Euro.

Offenlegung: Im Rowohlt Taschenbuch Verlag erscheint am 21. Mai als zweiter Roman von Krimi-Preisträger Max Annas der Thriller „Die Mauer“.


1213_Manotti_Schwarzes-Gold_Bezug.inddTanker, Trader, Tod

Von Katja Bohnet.

Dieser Roman sieht wie eine Bibel aus und liegt auch genauso in der Hand. Schwarz, im Format der deutschen, revidierten Luther-Ausgabe, gelbes Lesebändchen auch dabei: Der Argument Verlag hat an nichts gespart. Wer das Büchlein aufschlägt, kann auch gleich die Büchse der Pandora öffnen. Hervor quellen die Siebziger Jahre, Marseille, schillernde und abgehalfterte Stadt am Mittelmeer, so ziemlich der gesamte Rest der Welt, ein Auftragsmord, dem noch weitere folgen werden, sämtliche französische Polizeibehörden, Geheimdienste, ein wenig Kunstmarkt, Bandenkriege, Nixon und Narkos, Waffenhandel, verzweigtes, internationales Personal und natürlich Theo Daquin, ein schwuler Kommissar. Der ist ein Highlight. Als Mann kantig, viril, voller Gelüste (Sex, Wahrheit, Meeresfrüchte), die einzig greifbare, runde Figur neben Emily Frickx, der Frau eines auf allen Wirtschaftsfeldern agierenden Geschäftsmannes. Daquin kommt gerade aus Paris und stolpert direkt in seinen ersten Fall. Er hat einen schweren Stand, ermittelt in alle Himmelsrichtungen, muss im anliegenden Nizza wildern, in der Türkei. Wer bisher vermutete, dass sorgfältige polizeiliche Ermittlungen quälend langsam voranschreiten können, bis sich Erfolg einstellt, erlebt genau dieses Gefühl beim Lesen des Romans.

Zwiebelsuppe mit Öl

Darf ein Roman zweihundert Seiten brauchen, bis er auf Touren kommt? Nein. Überraschungen gibt es keine, Wendungen ebenfalls nicht. Warum dauert das so lange, weshalb ist das so? „Schwarzes Gold“ kommt eher als Zeitdokument daher. Wer die Weltgeschichte — übrigens nicht zu Unrecht — als Kriminalroman begreift, wird bei Manotti dennoch gut bedient. Worum geht es genau? Um Öl, das schwarze Gold. Was einmal das Öl für die Nationen dieser Erde bedeutete, stellt heute den Wert persönlicher Informationen dar. Die wirtschaftlichen Verflechtungen der Trader, der OPEC, der Firmen und Frachter während der Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts sind ein zähes Geschäft. Tanker eins, Tanker zwei, Tanker drei, ff. genauso wie die Zwiebelsuppe, die Zutat für Zutat vom Protagonisten zubereitet wird. Figuren, Orte, Namen: Legen Sie besser eine Liste an! Die Informationsvermittlung- und verteilung: präzise, aber gehäuft und schnörkellos. Trocken wie ein 2005er Bordeaux, würde der eine sagen, trocken wie eine Steuerklärung der andere.

 Giftige Aale

Unwiderstehliche Stärke des Romans bleibt Manottis Stil, kurz, sachlich pointiert, mit Verzicht auf jedes zweite Verb, oft mit dem Charakter einer Aufzählung, manchmal überraschend treffsicher in der Analyse menschlicher Befindlichkeiten wie ein Bajonett-Stich direkt ins Herz. Diese unemotionale Akkuratesse bekommt der Form, aber sie erstickt jegliche Spannung im Keim. Die Figuren agieren ähnlich gleichgültig beim Sex wie beim Essen, bei Vertragsverhandlungen oder wenn ermittelt wird. Gelitten wird leise, man freut sich dezent. Ein Leben an der emotionalen Nulllinie. Wenn sich endlich auf den letzten Metern der Geschichte der erste Wutanfall einer Figur einstellt, gleicht das einem Erdbeben, ach was, einer Epiphanie. Das Treiben im Marseille der Siebziger läuft ab wie ein Geschäft. Wer die Fassung verliert, verliert offensichtlich auch das Gesicht, danach das Geld und dann Prestige. Alles ist Kapitalismus und/oder Korruption, die wirtschaftlichen Interessen durchziehen die Gesellschaft wie ein giftiger Aal. Politik und Wirtschaft wurden noch nie sauber getrennt, und Kriminalität existiert als systemerhaltende Maßnahme. Diese Erkenntnis mag nachvollziehbar sein, aber der Spannung geht es an den Kragen. Frei nach französischer Thronfolge: Der Thrill ist tot, es lebe der Plot!

Womit wir wieder beim Kriminalroman angekommen wären, dem ontologischen Ursprung dieser Rezension. Chronistin und Aufklärerin Dominique Manotti präsentiert den Informationsoverkill im Gewand einer Mordermittlung. Braucht die Geschichte diesen Mord? Oder braucht der Mord an dem weltgewandten Maxime Pieri all diese Informationen? Wer die Bibel kauft, sollte keinen Blockbuster erwarten. What you see, is what you get: Ein international agierender, vielschichtiger Roman, der die heutige globale Situation anhand der Geschichte zu erklären sucht.

Katja Bohnet

Dominique Manotti: Schwarzes Gold (Or noir, 2015). Roman. Aus dem Französischen von Iris Konopik. Argument/Ariadne Verlag, Hamburg 2016. 380 Seiten, 19 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

Offenlegung: Von Katja Bohnet ist im Dezember 2015 im Verlag Droemer Knaur der Thriller „Messertanz“ erschienen.

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