Geschrieben am 2. November 2016 von für Bücher, Litmag

Roman: Christian Kracht: Die Toten

kracht_totenKonzentriertes Meisterwek

Christian Kracht gilt als eine der bedeutendsten Stimmen der Gegenwartsliteratur und polarisiert doch immer wieder die Kritiker – so entfachte er mit seinem 2012 erschienenen Kolonialismus-Roman „Imperium“ eine große Debatte um seine mögliche Nähe zu rechtem Gedankengut, Menschenverachtung und Rassismus. In seinem neuen Roman begibt sich Kracht nun direkt in die Höhle des Löwen und erzählt in der Zeit des in Deutschland und auch in Japan aufblühenden Faschismus vom „Kino als Krieg mit anderen Mitteln“, vom Kampf um die kulturelle Hegemonie.

Ausgangspunkt einer „zelluloidenen Achse“ zwischen Tokio und Berlin ist der japanische Kultur-Funktionär Amakasu, der die Universum Film AG zu einem gemeinsamen Filmprojekt einlädt, um dem „US-amerikanischen Kulturimperialismus entgegenzuarbeiten“. Dem Universum-Chef Hugenberg, der Japan innerlich verachtet, schwebt ein Film mit Heinz Rühmann vor und als B-Regisseur lädt er den alternden Schweizer Emil Nägeli ein, der gerade seinen Vater zu Grabe getragen hat: „Er spürte eine allumfassende Erschlaffung, eine Phlegmatisierung des Körpers, ein stetig anwachsende sprachlose Melancholie angesichts jener Zumutung der Vergänglichkeit.“

Doch nach dem Treffen mit Hugenberg zieht Nägeli mit den kurz darauf nach Paris emigrierenden Filmkritikern Siegfried Kracauer und Lotte Eisner feucht-fröhlich durch Berlin und es entsteht die Idee „einen Gruselfilm zu drehen, eine Allegorie, bitte sehr, des kommenden Grauens.“

Nägeli reist nach Japan, wo er auf seine Freundin Ida und auf Amakasu sowie auch Charlie Chaplin trifft, der gerade einem Attentat von faschistischen Marineinfanteristen entgangen ist. Er plant seinen Film mit der Bolex-Handkamera zu drehen und Ida und Amakasu in den Hauptrollen zu besetzen. Als sich ihm offenbart, dass diese eine leidenschaftliche Affäre begonnen haben, bricht er mit seiner Handkamera zu einer entbehrungsreichen Odyssee durch Japan auf und betritt nach Wochen ein einsames Haus: „ihm ist hier, am äußersten Rand Asiens, als befände er sich in einer Kammer der Erinnerung an ein altes, verschwundenes, lange vergessenes Europa.“

Christian Kracht hat mit „Die Toten“ ein konzentriertes erzählerisches Meisterwerk vorgelegt, das Räume öffnet und starke Bilder evoziert. Fast scheint es ein Gegenprogramm zu den vielen „Creative Writers“ aus den USA zu sein, die die Welt auf hunderten von Seiten mit ihrer – durchaus gekonnten – Wortflut mehr erschlagen als erhellen. Krachts Prosa dagegen ist von allem unnötigen Ballast befreit, sie ist kristallin und wimpernschlaggenau. Er glänzt ebenso mit exquisiten Detailbetrachtungen wie auch mit existenziellen und fast schon metphysisch-raunenden Sentenzen: „Es gibt ein Vergessen allen Daseins, ein Verstummen unseres Wesens, wo uns ist, als hätten wir alles gefunden.“ Eine Nähe zu rechtem Gedankengut ist dabei jedoch in keinster Weise zu erkennen. Vielmehr unterminiert er dieses mit feinem Humor und spöttischer Groteske.

Karsten Herrmann

Christian Kracht: Die Toten. Kiepenheuer & Witsch, 2016. 212 Seiten. 20,00 Euro

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