Geschrieben am 15. Mai 2017 von für Bücher, Crimemag

Roman: Carol O’Connell: Es geschah im Dunkeln

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Von Katja Bohnet

Über Klippen hängen

Eine Bühnenautor stirbt. Er wird ermordet in seinem eigenen Theaterstück. Bei Carol O’Connells neuestem Roman sitzt der Tote in der ersten Reihe, klar.  Aber Peter Beck ist schon der zweite, der im Zuschauerraum sein Leben lässt. Am Premierentag verstarb eine Frau im Publikum. Nicht schwer zu erraten, dass das Stück auch bei den nächsten Vorstellungen Opfer fordern wird. Eines, zuverlässig jeden Tag. Carol O’Connell mag Cliffhanger. Genau so wie ihre Protagonistin Kathy Mallory: Superwoman, blonde Wildkatze, Computerfreak, Raserin, Detective des New Yorker Morddezernates. Dieses Theaterstück wird also nie zu Ende gespielt werden, weil immer ein Mord dazwischen kommt. Ein Sheriff, Ermittler im Fall eines Jahre zurückliegenden Massakers, beendet bei jedem Telefonat abrupt das Gespräch mit Mallory. Rätselhafte Gesprächsfetzen ziehen sich über mehrere Kapitel hin. Eine Kreidenachricht auf der Tafel im Theater kündigt Mallorys sicheren Tod an, aber er will einfach nicht eintreten.

Auf Gräber spucken

Mit „Es geschah im Dunkeln“, einem deutschen Titel, der leider so unverwechselbar wie eine Salatgurke ist, legt Carol O’Connell wieder einen Brockhaus vor. Knapp fünfhundert Seiten: Hier bekommt man noch jede Menge beschriebene Seiten für sein Geld. Obwohl O’Connells Personal herrlich überdreht ist, die Story ebenso, schreibt sie klassischen „Whodunit“. Viele Verdächtige in einem Raum. Wer hat denn nun dem armen, kaputten Autor im Dunkeln die Kehle aufgeschlitzt? Alle machen sich total verdächtig, hinterher ist es der, von dem man es am wenigsten glaubt. Diese Schriftstellerin spuckt nicht auf Agatha Christies Grab, sie hegt und pflegt ihr Andenken. Jetzt aber zum Oho, zum Mehrwert, den jeder Roman von O’Connell in sich trägt: Das Spiel mit Zeitebenen, Zukunft und Vergangenheit. Jedem Kapitel wird ein (fiktives) Zitat des gespielten Stückes vorangestellt. Langsam entrollt sich die Geschichte. Zeile für Zeile, Mord für Mord. Die Autorin schätzt vielschichtige Formen und komplexe Plots. So komplex, dass man als LeserIn auch mal den Überblick verliert. Da muss jedes Kleidungsstück genussvoll auserzählt werden, jede Marotte, jeder Twist und Turn, zurück bis in die Kreidezeit.

Stichworte

Stichwort Kreide. Stichwort Tafel. Stichwort Ironie. Erzählt wird mit Lust am Unheimlichen und viel schwarzem Humor. Was jedoch in dem Vorgängerroman „Kreidemädchen“ noch besser gelang, ist die Gratwanderung zwischen Komik und Tragik. In „Es geschah im Dunkeln“ gerät alles zur Farce. Wenn die schriftstellerische Virtuosität auch in einem Modulieren von Tempi und Emotionen besteht, beherrscht O’Connell nur eine Tonart: die Ironie. Hier bringt sie es jedoch zu wahrer Meisterschaft. Boshaft, abgründig, jeder Kommentar ein Fest. Der Krimi selbst wird lächerlich gemacht:

„Alle lieben einen schönen Krimi“, sagt der Theater-Kritiker.

Kritiker können gar nichts, sie leben von der eigenen kreativen Impotenz und dem Hass auf Talentierte. Sie werden völlig demontiert. (Und haben sie, die, wir, ich das nicht auch verdient?) Das überlebensgroße Ego von Schauspielern wird bis zum Kollaps strapaziert. Es sei denn, es ginge nicht schon vorab durch Koks, Ecstasy und Valium zu Bruch. Ein ganzer Berufsstand wird zu „flammenden Narzissten“ degradiert.

Ein Roman, bei dem sich ständig ein Gedanken aufdrängt: „Ich wette, sie hat 2015 „Birdman“ von Alejandro González Iñárritu gesehen! Und gemocht.“ Hat sie. Wetten dass …?

theaterEindimensionalität – Aufstieg und Fall-Stricke

Mallory verliert nie eine Wette. Schon gewusst? Dass O’Connell uns schon so lange mit dieser Protagonistin unterhält — elf Romane hat sie mit ihr im Zentrum der Macht erzählt —, ist Wunder und Erfolgsgeschichte zugleich. Kathy Mallory ist keineswegs vielschichtig als Figur. Sie kann alles, verliert nie. Sie ist extrem. Trotzdem wird es nie langweilig mit dem eiskalten Engel, der sich in Kashmir kleidet, dem Weg des Geldes folgen muss, mit dem Auto wie eine Geistesgestörte durch New Yorker Straßen jagt, beim Tanzen selbst nur führen kann und jeden beliebigen Computer hackt. Darum geht es immer bei O’Connell: Was ist verrückt und was normal? Was phantastisch, was real? Ist der Ghostwriter vielleicht wirklich ein Geist? Ein bisschen Korruption, Selbstjustiz und -bereicherung firmieren direkt neben guter Polizeiarbeit. Aufregende Literatur benötigt genau diese Grenzgänger. Herzzerreißender, nachhaltiger könnte diese Geschichte jedoch sein, wenn man ihr Momente echten Noirs zugestehen würde, Momente echter Verzweiflung, echter Hoffnungslosigkeit. So bleibt es Comedy Noir.

Frauen führen

Warum man Carol O’Connell jedes Mal wieder lesen muss? Weil nur bei ihr die Bullen mit den Zeugen tanzen. Auf einem Leichenschmaus. Leiche anwesend, ansprechend dekoriert. Weil O’Connell Türen öffnet, wie ein Geheimkästchen, weil auf jeder Bühne ein doppelter Boden oder eine Falltür lauern. Eine mindestens. Weil sie mit einem Baseballschläger Köpfe ab-  und einschlagen lässt. Weil Frauen bei ihr alles können, dürfen. Ermitteln, morden, glotzen, führen, koksen, betrügen und gewinnen. Weil Mallory immer die größte Wumme hat.

„Offenbar hatte Peter ein Problem mit seinem Daddy. Und es gibt nie mehr als eine Frauenrolle, immer eine Naive, was zu Abstrichen in der Komplexität führt. Peter hatte ein Problem mit Frauen. Es geht das Gerücht, dass dies für verschiedenen Ebenen gilt. Na ja, Sie haben ihn gesehen.“

Ein fünfhundert Seiten langes Statement für Frauen, für mehr „Komplexität“. In einer oft phantastisch anmutenden, verdammt realen Zeit, die diesen unbändigen, bösen, lauten (… lassen Sie es zu, trauen Sie sich, stehen Sie zu dem Wort!) Feminismus braucht.

Katja Bohnet

Carol O’Connell: Es geschah im Dunkeln (It Happens in the Dark, 2014). Übersetzt von Judith Schwaab. btb Random House, München 2017. 480 Seiten, 9,99 Euro.

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