Geschrieben am 6. März 2010 von für Bücher, Crimemag

Roger Smith: Blutiges Erwachen

Miasmen am Kap

Roger Smith ist das südafrikanische Lieblingskind der internationalen Kriminalliteratur. Auch bei uns. Südafrikanische Kriminalliteratur ist sowieso in, auch wenn man nicht so genau weiß, warum. Thomas Wörtche hat sich den neuen Roman von Smith ganz genau angesehen.

Es stinkt am Kap. Neben der Bezeichnung „schwabbelig“ für allerlei Menschenfleisch, ist es das Geruchsmilieu, das den neuen Roman von Roger Smith, Blutiges Erwachen, definiert. Alles strömt ekelhafte Gerüche aus, nicht nur das Meer, sondern vor allem Kapstadt, das faulig riecht, verrottet, nach verbranntem Plastik und blakenden Müllbergen; Miasmen des täglichen Unglücks und der nie endenden Katastrophen. Der Brodem von Armut und Chaos. Vor allem stinken die Menschen: nach Verwahrlosung, ungewaschen, verdreckt, eingekotet, nach Urin, Schwären, Blut und Sperma. Selbst das teure Parfum der Reichen verwandelt sich auf deren Haut zu etwas sehr Übelriechendem. Und es stinkt nach herausgerissen Gedärmen, nach Verwesung, Todesangst, Modder und Leiche.

Leichenberge

Leichen türmen sich sowieso in Smith’ zweitem Roman, irgendwann hört man auf zu zählen. Unter den Menschen scheint brutale Gewalt die bevorzugte Form sozialer Interaktion zu sein. Drogenkonsum, Rohheit, Vergewaltigung und Lasterhaftigkeit sind der Normalfall. Kommuniziert wird hauptsächlich mit Flüchen, Beschimpfungen und erlesenen verbalen Ferkeleien. Mit anderen Worten – der Großraum Kapstadt erscheint als Hölle auf Erden, ohne Hoffnung, ohne Ausweg, ohne Erlösung.

Was man zunächst als realistische, gar anklagende oder sozial engagierte Schilderung der schlimmen Verhältnisse in den Cape Flats, dem Riesenghetto für „Farbige“ (also für weder schwarze noch weiße, sondern gemischt-ethnische Menschen) und überhaupt als Sittenbild eines wenig tourismuskompatiblen Kapstadts lesen könnte (und somit beinahe als Reisewarnung, kurz vor der WM), das kann man aber auch direkt aus der dramaturgischen Dynamik eines auf ultra-brutal und ultra-schnell getrimmten und konsumfreundlich designten Thrillers herleiten.

Alle Figuren, die Smith aufmarschieren lässt, sind Funktion: Die weibliche Hauptfigur Roxanne, ein amerikanisches Ex-Model, erschießt ihren Ekelgatten, als beide einen Überfall überleben, um den Räubern den Mord in die Schuhe schieben zu können. Die männliche Hauptfigur, ein „farbiger“ Ex-Polizist und Söldner namens Billy Africa, der die Familie seines Ex-Cop-Partners, welcher einst vor seinen Augen abgeschlachtet worden war, versorgen möchte, hat für eben diesen erschossenen Gatten gearbeitet. Dieser wiederum hatte betrüblicherweise die Gehälter seiner Mitarbeiter unterschlagen und auch sonst ziemlich viel Dreck am Stecken.

Der Böse (also ultrabös, ultrabrutal, ultracool) ist der Mörder von Billy Africas Ex-Partner und hat in einem noch früheren Leben Billy Africa selbst bei lebendigem Leib angezündet und begraben, was letzterer nur mit Müh und Not überlebt hat, um jetzt auf Rachefeldzug zu sein. Piper, so heißt das dauergeile Scheusal, ist ein begeisterter Schlächter, der Leute gerne ausweidet, und er ist der große King im härtesten Gefängnis Südafrikas. Dort hat er sich bequem und luxuriös eingerichtet, nur seine „Frau“, sein Lieblingssexualpartner Disco, ist blöderweise entlassen worden. Piper möchte seine „Frau“ wiederhaben – beinahe als bösartige Spiegelung des armen Moose Malloy in Chandlers Farewell, my Lovely, der seine Velma wiederhaben will.

Also bricht der tätowierte Fiesling aus, um mordend und metzelnd Disco wieder heim in den gemütlichen und kuscheligen (natürlich auch stinkenden und vor Blut schwappenden) Knast zu holen. Disco wiederum gehört, man ahnt es, zu den Schurken, die den Gatten des Models und den Arbeitgeber von Africa überfallen haben. Auch die diversen Nebenfiguren – ein Bulle voller ekliger Pusteln und dessen Blag von Sohn, ein versoffener, dreckstarrender und stinkender (!) Quacksalber, widerliche Dealer, fette, geile, stinkende (!) Weiber, diverse Gangsterbosse und Gehilfen (meistens stinkend!) und ausgekochte, brutale Kids, korrupte Bullen, ein veritabler Kannibale aus dem Kongo (naja, irgendwo aus dem Herzen der Finsternis halt) und dessen ukrainische Hure und, last, not least, ein seltsamer Serialkiller, der am Rande der Handlung eher grämlich „serialkillt“ – sie stehen alle in einem funktionalen Vektorensystem, das am Ende peinlich säuberlich aufgelöst wird und keine Reste lässt.

Grausamkeiten galore

Das zeigt Roger Smith als beeindruckenden Handwerker, als Plotter von Gnaden, als Spannungstechniker. Obwohl, hat man das Prinzip durchschaut und das hat man schnell, interessiert eigentlich nur noch der Blutzoll des „wie“. Wenn Piper im Transporter sitzt, besteht kein Zweifel daran, dass er ausbricht. Es interessiert nur, welche Grausamkeiten er diesmal begeht. Das hat wenig mit den berühmten, aber sowieso irrelevanten „Regeln des Genres“, nichts mit dem Leser als heimlichem Komplizen des Bösen (auch so ’ne psychologisierende Hohlformel) zu tun, das ist schlichte, wenn auch wirkungsvolle Effekthascherei.

Denn so mechanisch das exzessive Töten abläuft und niemand verschont, nicht Greis, noch Kind, noch Hund, noch Frau, so kalkuliert hört es bisweilen auf: Wenn fabulöse Rettung in allerletzter Sekunde angesagt ist oder um das Opfer unmotiviert und eher wenig plausibel (wenig plausibel in der vom Autor gesetzten Logik des Schlachters, klar) für noch grausamere Quälereien aufzusparen (worauf es dann prompt entkommt – das war schon bei Karl May immer die motivatorische Achillesferse, die sturzdummen Edgar-Wallace-Filme tickten auch so). An solchen Stellen schimmert das Alberne, das Gewollte und Konstruierte des Baukastens eines eminent cleveren Autors durch, der dringend internationale Karriere machen will. Aber das kann man ja gut verstehen und ist schon okay.

Fiktion und Wirklichkeit

Das Kap und die Republik Südafrika liefern durch ihre prekäre soziale und historische Situation mit Gewaltkriminalität, latentem und offenem Rassismus, Korruption, ethnischen Partikularinteressen und überhaupt der enormen Kluft zwischen Arm und Reich das ideale Setting für rasante, schnelle und elegant geschriebene Thriller wie die von Roger Smith. Der aber benutzt seine Art von Kriminalliteratur weniger als eine Art „Verständigungstexte“ oder als Teil eines südafrikanischen Diskurses über die Lage der Nation oder als soziale Anklage oder als Aufklärung über schlimme Zustände oder was immer man noch in dieser Richtung vermuten könnte. Smith spricht auch deutlich nicht zu seinen Landsleuten (und deutlich nicht aus literarischen Gründen), die schließlich genau wissen, was in ihrem Land abgeht. Man merkt, dass der Adressat seiner Erzählung das internationale Publikum, der Weltmarkt ist – kleine, verräterische Stellen, in denen er zum Beispiel erklärt, was das anscheinend populärste tabloid ist: „Die Sun: die Boulevard-Tageszeitung als eine Art Zerrspiegel der Cape Flats – voll mit reißerischen Geschichten über Mord, Vergewaltigung und Inzest.“ Das muss man nur Leuten erzählen, die die Presselandschaft des Landes nun gar nicht kennen.

Auch der Serialkiller, der lange Zeit nur am Rande der Handlung ein wenig mürrisch sein narratives Dasein fristet und erst zum Schluss als Metzel-Funktionale gebraucht wird, sonst aber ästhetisch in dem Buch nichts zu suchen hat, ist deutlich eine Geste: Eine Verbeugung an den vermuteten mainstream-Geschmack der diversen Märkte, die zeitgeistig nun mal gerade auf Serialkiller stehen.

Zudem arbeitet Smith zusätzlich noch ein paar afrikaklischeeige „Folkorismen“ ein, die ebenfalls mit dem Roman höchstens funktional zu tun haben, aber Bilder und Vorstellungen eines Publikums bedienen, das sich ein Afrika ohne Voodoo, Kannibalismus und Kindersoldaten nicht vorstellen kann und will (selbst wenn west- oder zentralafrikanische Zustände nicht unbedingt auch am Kap herrschen, da wollen wir nicht kleinlich sein). Max Annas hat neulich den Verdacht geäußert, dass Roger Smith mit seinen Romanen die Angst der in ihren Wohlstandsghettos verbarrikadierten Weißen vor den gewalttätigen, schwarzen Horden fiktional formuliert bzw. auf diesen Reflex zielt. Das ist sicher eine sinnvolle Lesart. Die andere könnte sein, dass Smith den ganzen Rott und das gewalttätige Dekor zu nichts anderem zuspitzt und konzentriert, als zu einem dem Umfeld einfach plausibel angepassten Thriller.

Verwundungen

Denn literarisch bieten Smith’ Romane dem Chaos kein Pendant. Keine Visionen, keine Halluzinationen, keine Brechungen, kein Hauch Komik. Statt dessen bevölkern sorgfältig komponierte Kunstfiguren auch dieses Buch – außer dem weißen Fotomodell sind alle Beteiligten körperlich versehrt – mit Brandwunden, Narben, Ekzemen, künstlichen Brüsten etc.; auch hier überwiegt die Symbolik das Realistische, das Typische die Individualität. Genauso wie die Überzeichnung des ubiquitär Ekelhaften und die insistierende Redundanz, mit der es immer wieder unterstrichen wird, dem Reportagehaften das Stilisierte entgegensetzt.

Smith’ Romane mischen sich nicht in Südafrika ein, wie das beispielsweise die Kuba-Romane von Leonardo Padura, die Algerien-Romane von Yasmina Khadra oder auch Deon Meyers Werk in Südafrika selbst tun, und so wie wir „Erstweltler“ es gerne und beifällig sehen: Weil in allen genannten Fällen Literatur, gar Kriminalliteratur direkt noch im Politischen siedelt und so aus der allgemeinen Evasivität herausgehalten werden kann, was in unseren Breiten schon längst unter temps perdu zu verbuchen ist. Smith ist insofern anders, als er diesen Weg thematisch und formal nicht geht. Er liefert grandiose Reißer, bei denen das Setting und die Handlung passen, kühles production design nach konventionellen Mustern und Rastern, perfekt gemacht, statt Empörung mit heißem Herzen. Das sagt schon etwas aus über Südafrika – aber nicht so, wie wir uns das vielleicht wünschen.

Das Grauen existiert, durch Literatur geht’s garantiert nicht weg. Dann aber kann man wenigstens überall funktionierende, spannende Thriller draus machen. Und das ist Smith wahrlich gelungen.

Thomas Wörtche

Roger Smith: Blutiges Erwachen (Wake Up Dead, 2010). Roman.
Aus dem Englischen von Jürgen Bürger & Peter Torberg.
Stuttgart: Tropen/Klett-Cotta. 357 Seiten. 19,90 Euro.

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