Geschrieben am 30. März 2013 von für Bücher, Crimemag

Robert M. Edsel mit Bret Witter: Monuments Men. Die Jagd nach Hitlers Raubkunst

Edsel-Monument-ok.inddDer Stoff, aus dem die Thriller sind

Robert M. Edsels „Monument Men. Die Jagd nach Hitlers Raubkunst“ und seine Kontexte. Prodesse et delectare mit Alf Mayer.

Es ist ein Stoff, der für mehr als ein Dutzend Thriller gut wäre. Was hätte einer wie Ross Thomas aus mancher Episode an Funken schlagen können, wie in seinem Frankfurt-Roman „Der achte Zwerg“, einer der sardonischsten Nachkriegs-Kriminalromane.

Klar, Amerikaner haben mit Kultur nicht viel am Hut, so lautet eines unserer liebsten transatlantischen Vorurteile. Ich weiß noch, wie mich in den Memoiren des Filmregisseurs und WW II-Infantristen Samuel Fuller, „A Third Face – My Tale of Writing, Fighting and Filmmaking“, anrührte, wie er da nach der Einnahme Bonns stracks zu einer bestimmten Adresse eilt und dann im Beethoven-Haus steht, an einem Eckpunkt seiner ganz persönlichen Kompassmarkierung, am Ort dessen, wofür er (auch) in den Krieg gezogen war – für eine der ganzen Menschheit gehörenden Kultur nämlich.

„Tote Taube in der Beethoven-Straße“, sein ziemlich schräger WDR-Tatort von 1972, ist neben allem Genre-Camp eine verquere Hommage an seine Liebe zur deutschen Kultur und eigentlich, hallo ARD-Programmredaktion, einer Wiederbegegnung wert. Sam Fullers Lebenswunsch und Großprojekt war dann „The Big Red One“, ein monumentales Frontschwein-Epos mit Lee Marvin und Siegfried Rauch über seine Kriegs-Division, das 1980 auf 113 Minuten verstümmelt ins Kino kam; vom Filmhistoriker Richard Schickel rekonstruiert, gibt es restauriert eine DVD-Fassung mit 162 Minuten.

big_red_oneKämpfer ohne Maschinepistolen

Geradezu erbärmlich klein war – angesichts all der Millionen Soldaten auf den Schlachtfeldern – die Zahl jener, die auf den Seiten der Alliierten im Sinne von Samuel Fuller unterwegs waren. Es gibt eine andere, große Geschichte über den Zweiten Weltkrieg, die noch nicht erzählt wurde, meint Robert M. Edsel in seiner Vorbemerkung zu „Monuments Men. Die Jagd nach Hitlers Raubkunst“. Und er schreibt: „Was, wenn ich Ihnen sagen würde, dass es an den Fronten eine Gruppe von Männern gab, die im wörtlichen Sinne die Welt retteten, so wie wir sie kennen? Männer, die keine Maschinengewehre mit sich führten und keine Panzer fuhren, Männer, die nicht nur begriffen hatten, wie sehr die großen kulturellen und künstlerischen Leistungen unserer Zivilisation bedroht waren, sondern die sich an die Front begaben, um dagegen etwas zu unternehmen?“

Die Soldaten dieser Art wurden Monuments Men genannt und dienten von 1943 bis 1951 in den Streitkräften der westlichen Alliierten. Lächerliche 350 Männer und Frauen aus 13 Ländern arbeiteten insgesamt für die Sektion „Monuments, Fine Arts and Archives“ (MFAA). Bis zum Ende des Krieges am 8. Mai 1945 waren es nur rund 60, die meisten von ihnen Amerikaner oder Briten. Mit dem D-Day, der Landung in der Normandie am 6. Juni 1944, kam gerade ein Dutzend solcher Kulturgüterschutzoffiziere (oh heilige deutsche Sprache) auf den Kontinent. Das verstärkte sich dann bis zur deutschen Kapitulation auf 125, sie waren für den gesamten westeuropäischen Raum zuständig. Im an Kunstschätzen überreichen Italien waren ganze 20 solcher Offiziere im Einsatz.

Robert M. Edsel und sein Co-Autor Bret Witter beschränken sich in ihrer Rekonstruktion dieser Ereignisse auf hauptsächlich zehn Personen:

  • Major Ronald Edmund Balfour, 1. Kanadische Armee, Historiker in Oxford und Experte für Kirchengeschichte;
  • Schütze Harry Ettlinger, 7. US-Armee, in Karlsruhe geboren und 1938 mit seiner Familie aus Deutschland geflohen;
  • Hauptmann Walter Hancock, 1. US-Armee, Bildhauer aus Missouri;
  • Hauptmann Walter „Hutch“ Huchthausen, 9. US-Armee, Architekt aus Oklahoma;
  • Gefreiter Lincoln Kirstein, 3. US-Armee, Theaterdirektor und Mitbegründer des legendären New York City Balletts;
  • Hauptmann Robert Posey, 3. US-Armee, aus Alabama;
  • Leutnant James J. Rorimer, 7. US-Armee, Kurator des Metropolitan Museum in New York und Experte für mittelalterliche Kunst;
  • Oberstleutnant George Stout, 1. US-Armee, ein Fachmann auf dem bis damals weitgehend esoterischen Gebiet der Erhaltung und Restaurierung von Kunstwerken, der unbestrittene „Anführer“ der überaus individuell auftretenden Monuments Men;
  • Jacques Janjard, Direktor der französischen Nationalmuseen;
  • Rose Valland, die Verwalterin des Pariser Museums Jeu de Paume, der es gelang, die Deutschen über Jahre auszuspionieren und mit diesen Informationen nach der Befreiung von Paris entscheidend beim Aufspüren vieler in Frankreich geraubter Kunstwerke zu helfen.
Hitler schenkt Göring zum Geburtstag ein Gemälde, 1938

Hitler schenkt Göring zum Geburtstag ein Gemälde, 1938

Respekt zeigen – vor der Kultur

Oberstleutnant George Stout aus Iowa, ein Veteran des Ersten Weltkrieges, war einer der ersten Amerikaner gewesen, die begriffen, welche Bedrohung die Nazis für das kulturelle Erbe Europas darstellten. Er drängte Museen und die Armee, eine professionelle Einheit zum Schutz von Kunstwerken und Kulturgütern aufzubauen. Im Sommer 1942 beschrieb er in einer Flugschrift unter dem Titel „Protection of Monuments: A Proposal for Consideration During War and Rehabilitation“ die bevorstehenden Herausforderungen:

„Wenn die Soldaten der alliierten Nationen sich ihren Weg bahnen in jene Länder, die vom Feind besetzt sind, werden sie auf viele Schwierigkeiten stoßen … In Gebieten, die durch Bombardierungen und Feuer verwüstet wurden, befinden sich Kulturgüter, die von den Menschen dieser Regionen oder Städte hochgeschätzt werden: Kirchen, Heiligtümer, Statuen, Bilder und Kunstwerke unterschiedlicher Art. Einige mögen zerstört worden sein, andere beschädigt. Sie alle sind bedroht durch weitere Beschädigungen, durch Plünderungen oder Zerstörung …

Die Sicherung dieser Objekte wird sich nicht auf den Verlauf der Kämpfe auswirken, aber sie wird die Beziehungen zwischen den einmarschierenden Armeen und den Bewohnern dieser Länder beeinflussen … Durch den Schutz dieser Kulturgüter bezeugen wir den Respekt für den Glauben und die Bräuche dieser Menschen und zeigen, dass sie nicht nur einem bestimmten Volk, sondern zum Erbe der gesamten Menschheit gehören.“

Stouts Idee fand Gehör, freilich waren seine Männer nur Geduldete, ohne eigenen Apparat, nicht einmal eigene Fahrer hatten die Monuments Men, und nicht selten mussten sie sich, ohne mit irgendeiner Befehlsgewalt und eben nur mit ihrer Überzeugungskraft ausgestattet, den eigenen Truppen in den Weg stellen, die eine Kirche wegsprengen oder ein historisches Gebäude aus dem Weg räumen wollten. Am 6. August 1945, verließ George Stout Europa, Edsel beschreibt das so:

„Er war jetzt 47 Jahre alt, müde, aber nicht erschöpft. In etwas mehr als 13 Monaten hatte er Zehntausende Kunstobjekte entdeckt, untersucht und verpacken lassen, darunter alle 80 Lastwagenladungen aus Altaussee. Er hatte die Feldoffiziere der MFAA in der Normandie angeleitet, das Hauptquartier der alliierten Streitkräfte dazu gedrängt, den Kulturgüterschutz stärker zu unterstützen und auszuweiten, die anderen Monuments-Offiziere in Frankreich und Deutschland betreut, viele wichtige Nazi-Größen verhört und die meisten Kunstdepots südlich von Berlin und östlich vom Rhein persönlich inspiziert.“

George Stout wird uns bald in Gestalt von George Clooney wiederbegegnen. All diese Namen oben stehen auch hier, weil sie in nicht allzu ferner Zeit uns vertraute Gesichter haben werden: die von Matt Damon, Cate Blanchett, John Goodman, Bill Murray, Daniel Craig und Jean Dujardin. Mit den Dreharbeiten wurde im März in Babelsberg begonnen, Location Scouts wurden im Harz gesichtet, Columbia Pictures/20th Century Fox und Siebente Babelsberg produzieren. Ins Kino soll der Film am 10. Dezember 2013 kommen.

Der Genter Altar (Lammanbetung) mit geschlossenen Flügeln, 1432

Der Genter Altar (Lammanbetung) mit geschlossenen Flügeln, 1432

Ein Wettlauf gegen die Zerstörung

Nun muss es nicht unbedingt ein Ausweis literarischer Güte sein, wenn ein Buch verfilmt wird. Die zu erwartende mediale Öffentlichkeit mag aber helfen, dieser großen Recherche, an der Robert Edsel gute 13 Jahre gearbeitet hat, viele Leser in Deutschland zu finden. Denn neben all dem, was wir an Verbrechen der Nazizeit bislang schon wussten, gehören auch die von Edsel geschilderten kulturellen Ungeheuerlichkeiten auf den Tisch.

Während ihrer Besetzung Europas organsierten Hitler und seine Gefolgsleute den größten Diebstahl der Geschichte, sie schafften mehr als fünf Millionen Kunstobjekte ins Reich. Tausende der größten Kunstwerke der europäischen Kultur wurden an den unmöglichsten Orten versteckt, darunter Gemälde von Leonardo da Vinci, Jan Vermeer oder Rembrandt sowie Skulpturen von Michelangelo und Donatello.

Zu einem weiten Teil war die Arbeit der Monuments Men ein Rennen gegen die Zeit, es gab genügend fanatische Nazis, die zur Zerstörung solcher Werte bereit waren, wenn schon das untergehende Deutschland sie nicht behalten können würde.
Edsel erzählt mit Hilfe von Tagebüchern, Erinnerungen und Interviews, streut Originaldokumente, Fotos und Karten ein und – besonders bewegend – Briefe aus dem Feld nach Hause. Es ist eine breite Leinwand, auf der er malt, mit angenehmer amerikanischer Lakonie, selten mit Pathos, das aber auch seinen gelegentlichen Platz hat und dem man angesichts von Begegnungen mit den bedrohten Kunstwerken oder etwa in den Ruinen von Montecassino oder in der mit Sprengfallen gespickten Kathedrale von Chartres den Respekt nicht verweigern kann.

Edsel schreibt bildhaft, aber nicht kitschig. Sein Buch ist auch ein großes Plädoyer für die abendländische Kunst in ihren vielen Ausformungen. Manche Kirche, in der man als Tourist oder Reisender schon stand, manches im Urlaub besuchte Museum gewinnt hier eine neue, zusätzliche Dimension, und all die Brüchigkeit, „der dünne Firnis unserer Zivilisation“, den Robert Musil in seinem vor dem Zweiten Weltkrieg entstandenen „Mann ohne Eigenschaften“ eine Gestalt zu geben versuchte, lässt hier öfter frösteln.

Im Jahr 1940 ließ Hitler über Goebbels eine Liste von Kunstwerken aus der westlichen Welt erstellen, die früher rechtmäßig Deutschland gehört hätten, die seit 1500 aus Deutschland weggebracht worden waren, deren Künstler deutscher oder österreichischer Herkunft oder in Deutschland in Auftrag gegeben worden oder die in einem deutschen Stil geschaffen worden waren. Nach seinem Verfasser benannt, dem damaligen Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, wurde diese Liste als Kümmel-Bericht bekannt. Auf ihr befand sich zum Beispiel „Die Anbetung des Gotteslamms“, besser bekannt als der Genter Altar, von Hubert und Jan van Eyck geschaffen und 1432 vollendet.

Genter Altar, im geöffneten Zustand, Die Festtagsseite

Genter Altar, im geöffneten Zustand, Die Festtagsseite

Edsel widmet diesem Kunstwerk und seinem Raub ein ganzes Kapitel, es ist prototypisch für seine Liebe zum anschaulichen Detail, das sein Buch zu einem kleinen Hausschatz werden lässt, zu einer Kulturgeschichte der besonderen Art. Zu Recht rühmt er die realistische Manier der Altarbilder, wie ihr detaillierter Realismus die Malerei grundlegend veränderte und den Boden bereitete für die nördliche Renaissance, und verknüpft dann die Kunst mit dem Krieg: „500 Jahre später, im Mai 1940, rollte über die Berge und Wiesen, die in van Eycks Meisterwerk so lebendig dargestellt worden waren, der ‚Blitzkrieg‘ hinweg, und sie wurden von deutschen Truppen besetzt.“

StollenSalzbergwerkAltausseeDiese Geschichte hat darauf gewartet, erzählt zu werden

Viele interessante Kapitel weiter stehen die Monuments Men am 21. Mai 1945 dann in einem Bergwerksstollen am österreichischen Altausee. Sie finden 6577 Gemälde und hunderte Kisten voller Kulturgüter, darunter auch den Genter Altar. Allein im Zuständigkeitsbereich der 7. US-Armee wurden damals 175 Kunstdepots ausfindig gemacht. Der mit seinen Eltern wegen ihrer jüdischen Herkunft in die USA geflohene Monuments Man Harry Ettlinger entdeckt in einem Bergwerk bei Heilbronn den von den Nazis geraubten Schatz seines Großvaters: eine wertvolle Sammlung von signierten Exlibris und Originaldrucken deutscher Impressionisten.

Im Abschnitt „Die Nachwirkungen“ führt Edsel seine Recherchen bis ins Heute fort, und noch einmal wird ganz ohne Ausrufezeichen deutlich, wie wenig bekannt die Geschichte dieser Kulturschützer doch bis heute geblieben ist. In seinem Vorwort rührte mich eine Stelle zu Tränen. Der 98-jährige Lane Faison Jr., als Monuments Man und OSS-Offizier im Sommer 1945 am Verhör deutscher Offiziere am Altausee beteiligt und dann als Kunstlehrer am Williams College der Lehrer späterer Museumsdirektoren wie Thomas Krems (Guggenheim), James Wood (Getty) oder Kirk Varnedoc (Museum of Modern Art), ergreift da nach einem langen Gespräch mit Edsel – und nach der ihm sein erstes Buch über die Rettung von Kunstschätzen in Italien durch die Monuments Men, „Rescuing Da Vinci“ , gezeigt hat – die Hand des Autors und sagt: „Mein ganzes Leben habe ich darauf gewartet, Sie kennenzulernen.“

Ja, die Geschichte der Monuments Men musste erzählt werden – und gut, dass George Clooney eine Kinogröße ist. Kein schlechter Regisseur dazu. Das Drehbuch zu „Monuments Men“ stammt von ihm und Grant Heslov, mit dem er bereits „Good Night, and Good Luck“ geschrieben hat. Alexander Desplat wird für die Musik verantwortlich sein, die Filmcrew ist die von Ben Afflecks „Argo“ den Clooney und Heslov produzierten. Es sind also Jungs, die wissen, was sie tun. Und sie haben einen Stoff, aus dem die Thriller sind. Wie sagte Samule Fuller einmal: „Stories only happen to people who can tell them.“

Alf Mayer

Robert M. Edsel mit Bret Witter: Monuments Men. Auf der Jagd nach Hitlers Raubkunst (Monuments Men: Allied Heroes, Nazi Thieves and the Greatest Treasure Hunt in History; Center Street, New York 2009). Aus dem amerikanischen Englisch von Hans Freundl. St. Pölten/Wien: Residenz Verlag 2013. 560 Seiten. 26,90 €. Verlagsinformationen zum Buch.
Foto: Genter Altar geschlossen: wikimedia commons, PMRMaeyaert; geöffnet: wikimedia commons, gemeinfrei. Foto Hitler und Göring: wikimedia commons, genannte Urheber: Bundesarchiv_Bild_183-H00455, derivative work: Emma7stern. Foto Stollen: wikimedia commons, Dominik Stadler.

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