Unser Rabbi, der Killer
– Tod Goldbergs Mafia-Farce „Gangsterland“ ist nicht sehr realistisch. Aber sehr vergnüglich, Mike Wuliger hat sich amüsiert.
Falls Sie Mitglied einer jüdischen Gemeinde sind und Ihnen Ihr neuer Rabbiner irgendwie komisch vorkommt, sollten Sie Tod Goldbergs „Gangsterland“ nicht lesen. Es könnte sie weiter verunsichern.
Sal Cupertine ist ein erfolgreicher Auftragskiller der Mafia in Chicago. Hunderte Jobs hat er bereits effizient erledigt, ohne je belastende Indizien zu hinterlassen. Bis er eines Tages einen Blackout hat und in einem Hotel drei FBI-Agenten umbringt, minutiös aufgezeichnet von einer Überwachungskamera. Bei so was versteht das Bureau keinen Spaß. Die Mafia auch nicht. Sal muss verschwinden.
Zum Glück ist Sals Cousin Ronnie ein hohes Tier bei der Cosa Nostra. Deshalb wird der erfolglose Killer nach dem Debakel nicht, wie sonst üblich, von den eigenen Leuten umgelegt, sondern schonend entsorgt: Ronnie bringt ihn in Las Vegas unter – als Jugendrabbiner der jüdischen Gemeinde Beth Israel. Die Stelle ist gerade freigeworden, weil der bisherige Amtsinhaber unter ungeklärten Umständen gestorben ist.
Zwar ist Sal kein Jude. Sein Name steht kurz für Salvatore, nicht Salomo. Doch was ihm an religiösem Hintergrund fehlt, macht er durch sein fotografisches Gedächtnis wett. Binnen weniger Wochen hat er sich durch Tanach, Talmud und Midrasch gebüffelt. Und was er über Seelsorge wissen muss, lernt er von seinem Vorgesetzten, Rabbi Kales. Sal, oder wie er jetzt heißt, David Cohen, müsse sich keine Sorgen machen, versichert ihm sein Mentor. Die Gemeindemitglieder hätten von Judentum keine Ahnung. Und selbst falls er halachisch mal komplett danebenliegen sollte, sei das auch kein Beinbruch: „Wir Reformjuden sind für alle Interpretationen offen.“
Gangsters & Gojs
Offen für vieles ist auch Rabbi Kales selbst. Seine Gemeinde betreibt er als erfolgreiches Wirtschaftsunternehmen. Nicht nur großzügige, steuerabzugsfähige Spenden und exorbitante Schulgebühren für den Nachwuchs der Yuppie-Mitglieder spülen Geld in die Kassen von Beth Israel und in die Taschen des Rabbiners. Viel Einkommen generiert auch die Nutzung des jüdischen Friedhofs durch die Mafia, die dort Leichen entsorgt. Den Kontakt zur organisierten Kriminalität hat Kales‘ Schwiegersohn Bennie Savone geknüpft, der obwohl Gangster – und noch schlimmer, Goj –, sich aktiv in das Gemeindeleben einbringt.
Sal Cupertine wird derweil in seiner neuen Rolle als Rabbi David Cohen immer sicherer. Vor allem seine Perlen talmudischer Weisheit finden großen Anklang; keiner der „Schweinefleisch fressenden Juden“, wie Rabbi Kales sie nennt, merkt, dass es sich häufig um Zitate aus Bruce-Springsteen-Songs handelt. Dumm nur, dass der suspendierte FBI-Agent Jeff Hopper auf eigene Faust Sal nachschnüffelt und ihn fast erwischt. Zum Glück besinnt der Rabbi sich im entscheidenden Moment auf die fachlichen Kompetenzen seines früheren Berufs. Danach kann er seine weitere geistliche Karriere planen. Mit Hilfe und im Auftrag von Cousin Ronnie schaltet David Cohen Rabbi Kales und Benny Savone aus und das, ohne sie umzubringen. „Nicht auf meinen Bogen bau ich/mein Schwert wird mir nicht helfen“, wie es in Psalm 44,6 geschrieben steht.
Nicht, dass Sal plötzlich gewaltlos geworden wäre. Als neuer Chef von Beth Israel denkt er bereits darüber nach, wie das erfolgreiche Racket expandieren und die Konkurrenz beseitigen kann. Zum Beispiel könnte man das Zentrum der benachbarten konservativen jüdischen Gemeinde abfackeln …
Natürlich geht es in Wirklichkeit weder in jüdischen Gemeinden, noch bei der Mafia so zu wie in dem Buch. „Gangsterland“ ist eine vergnügliche, rabenschwarze Farce, reine Pulp Fiction. Wenn Quentin Tarantino Jude wäre und schreiben könnte – dieser grandios haarsträubende Thriller könnte von ihm stammen. Also, machen Sie sich keine Sorgen über den neuen Rabbiner Ihrer Gemeinde. Er ist wahrscheinlich völlig harmlos. (Siehe dazu Kosher Nostra bei CrimeMag)
Mike Wuliger
Tod Goldberg: Gangsterland. Novel. Berkely, CA: Counterpoint 2014. 387 Seiten. 17,95 Euro. Informationen zu Buch und Autor.