Geschrieben am 6. August 2011 von für Bücher, Crimemag

Petros Markaris: Faule Kredite

Mit Vorschuss und Souflaki

– Petros Markaris liefert mit „Faule Kredite“ den passenden Krimi zur Griechenland-Krise. Aber hatte er das Land lebenslustiger Vorschusskünstler nicht immer schon in einer Perma-Krise gesehen? Wann war Athen denn schon mal krisenfrei? Von Peter Münder

Nun auch noch ein Wettskandal in der ersten Fußball-Liga mit lebenslangen Sperren für die Präsidenten und saftigen Strafen von je 300 000 Euro  für die beiden Vereine AO Kavala und Olympiakos Volos, wie die Zeitungen gerade meldeten –  die griechische Krise scheint inzwischen alle Bereiche des Alltags zu unterwandern und kein Ende zu nehmen. Aber was sind gegen diese korrupten Schiebungen bei den Kickern und die damit einhergehende Desillusion über die schönste Nebensache der Welt schon all die milliardenschweren Rettungsprogramme für die marode Wirtschaft und den angeknacksten Euro? Korrupte Wirtschaftskapitäne, Politiker und Beamte, vermüllte Straßen, streikende Taxifahrer und Protestdemos, dazu noch die ewigen Staus in Athen – offenbar ist Griechenland zur miesen Vorhölle mutiert, an der auch der Infernoexperte Dante seine Freude gehabt hätte.

Foto: Regine Mosimann / Diogenes Verlag

Petros Markaris,  74, dieser brillante Romancier und Gesellschaftskritiker, hat all die Krisensymptome, die Tendenz hin zur finalen Mega-Krise schon seit Jahren mit bissigem Witz, lässiger Selbstironie und hinreißenden Dialogen beschrieben und sich dabei auch mokiert über die phlegmatischen Landsleute, die sich offenbar mit allen miesen Exzessen jetzt und immerdar abfinden. Und die Verantwortung für ihre Misere meistens irgendwo im hohen Norden ausmachen.

Dass die Krise ernst ist, merkt der Leser schon daran, dass sich Kommissar Kostas Charitos im neuesten Band „Faule Kredite“ nun von seinem alten Fiat Mirafiori getrennt und sich eine nichtssagende Seat-Plastikschüssel zugelegt hat: Nicht nur die Pannenanfälligkeit der  vertrauten alten Rostlaube war dafür ausschlaggebend, sondern auch die Hochzeit seiner Tochter: Im alten Fiat wollte Charitos die Braut nicht zur Kirche fahren. Aber nun, wo er finanziell auf dem letzten Loch pfeift, wird alles rigoros eingedampft und auf  zwangsverordneter Sparflamme gekocht. Ausgerechnet jetzt erwischt es den mit vierzehn Monatsgehältern bisher ganz gut versorgten Charitos, der sich mit Lohnverzicht und steigender Inflation abfinden muss und sich darüber schwarz ärgert. So zynisch und verärgert hat man den umgänglichen Kommissar jedenfalls noch nie gehört: „Angesichts der bevorstehenden drastischen Lohnkürzung werden wir aus Spargründen gezwungen sein, sogar noch unsere Scheiße zu trocknen, um sie weiter zu verwerten. Anderthalb Monatsgehälter weniger, das ist für niemanden ein Klacks.“

Exit Finanzhai

In seinem siebten Fall muss Kommissar Charitos in besonders brutalen heiklen Mordfällen ermitteln: Insgesamt vier Bank-Manager und Finanzhaie werden umgebracht, mit am Körper befestigten Schildern aufgefunden, auf denen nur ein schlichtes „D“ steht – was natürlich wilde Spekulationen in Gang setzt. Dann ist die Stadt plötzlich zugekleistert mit Plakaten und Stickern, auf denen die Bevölkerung zur Verweigerung von Kreditzahlungen aufgefordert wird. Die Stimmung gegen die Banken wird gefährlich aufgeheizt. Wer will sich hier mit brutalen Kopf-ab-Aktionen an selbstherrlichen „Masters of the Universe“ rächen?

Wieder liefert Markaris ein ebenso aktuelles wie scharfsinniges Krisen-Szenario, das er zum präzisen gesellschaftskritischen Panorama ausweitet und mit erhellenden Einsichten über den renditeträchtigen griechischen Alltag dekoriert.

Im „Nachtfalter“ betätigte sich ein dubioser Nachtklubbesitzer als Sponsor drittklassiger Fußballvereine, über die er eine Geldwaschanlage betreibt und dabei noch legal Steuern hinterziehen kann, in „Live!“ zeigte er die Athener Großbaustelle im Olympia-Wahn: Alles muss bombastischer, teurer, grandioser werden, führt aber nur zu mehr Korruption, Täuschungen und Bauruinen und zum Selbstmord eines ruinierten Baulöwen vor laufenden Kameras. Die  Verlogenheit der Medien thematisierte er in „Hellas Channel“, die Aktivitäten obskurer nationalistischer Terroristen in „Der Großaktionär“.

Nun hat Markaris  also, geplant als Trilogie, mit „Faule Kredite“ als erstem Band, die Finanzkrise im Visier. Hat dieser große Realist aber nicht auch immer die mentale Krise seiner Landsleute im Blick gehabt? Ist er nicht deshalb so begeisternd als scharfsinniger Analytiker, weil er eben keiner dieser rechthaberischen Buchhalter ist, die ihre Nase nur über eine Firmenbilanz halten und sofort von Wettbewerbsverbesserung und Milliardenkrediten faseln? Während die bei den Griechen verhasste Troika IWF, EU und Weltbank meint, das Griechen-Dilemma mit der Maxime  „Darf’s noch eine Milliarde mehr sein?“ lösen zu können, zeigen die Romane von Markaris, wie sich liebgewordene Verhaltensmuster verfestigen und als Phlegma, Korruption oder Betrugsmanöver gegen eine marode Bürokratie mobilisiert werden – daran werden auch milliardenschwere Rettungsschirme nichts ändern.

Der Zola unserer Tage

Petros Markaris ist der Emile Zola unserer Tage: Er zeigt die Alltagsprobleme in einem kriselnden Mikrokosmos – und gleichzeitig auch den größeren gesellschaftlichen Rahmen, der zur allgemeinen Trägheit, zum Arrangieren mit korrupten Machenschaften und der Misere allgemeiner Unzulänglichkeiten verleitet. Dass die griechische Krise hausgemacht ist, würden weder Markaris noch sein cleverer Kommissar bestreiten. Übrigens gab es schon 2007 in „Der Großaktionär“ Hinweise über das Treiben der drei Clans Papandreous, Karamanlis und Mitsotakis, die Griechenland über Jahrzehnte ausplünderten, jeweils ihre Klientel bedienten und die gegenwärtige Krise mit verursacht haben.

Dieser Goethe-Übersetzer, Dramatiker und Krimiautor Markaris, der ja studierter Volkswirtschaftler ist und sich als kompetenter Beobachter in die  kontroversen Krisendebatten einschalten kann, zeigt sich in „Faule Krediteat his best: Die Dialoge sind wie gewohnt bissig und komisch, Charitos‘ Streitereien mit der überprotektiven Ehefrau Adriani sind voller köstlicher Pointen wie etwa folgender Seitenhieb gegen sein fürsorgliches, oft aber auch nervig-dominantes  Heimchen am Herd: „Wenn sie all ihre Sprüche  aufschreiben würde, könnten wir sie an die T-Shirt-Industrie verkaufen und uns eine goldene Nase verdienen.“

http://www.youtube.com/watch?v=1XsZ3k2QkPQ

Zum Erfolgsrezept gehört natürlich die kantig-kauzige Art der Hauptfigur: Charitos lässt sich nicht von seinen publicitygeilen Vorgesetzten unterbuttern und verfolgt auch gern seine eigenen Ermittlungswege; außerdem kann er seinem bornierten Intimfeind Stathakos von der Anti-Terrortruppe überzeugend Paroli bieten. Doch zu wirklicher Größe läuft er auf, wenn er seine eigene Eitelkeit selbstironisch entlarvt und demonstriert, dass er eben kein souveräner Besserwisser ist, sondern Schwächen hat wie jeder Pavlos und Dimitros auch: „Ich stolzierte aus Gikas‘ Büro, aufgebläht wie ein Truthahn in der Woche vor Weihnachten“, karikiert er etwa seinen Stolz über ein schwer erarbeitetes Erfolgserlebnis (in „Nachtfalter“).

Sicher geht es ihnen jetzt mitten der Krise nicht so fabelhaft, von dionysischer Lockerheit ist bei den armen Griechen nicht mehr viel zu spüren. Ihren Frust kompensieren  sie jetzt am liebsten mit Hasstiraden gegen die Troika oder kanalisieren ihn gleich direkt auf  die Kanzlerin in Berlin. Andererseits  sind die Hellenen aber auch zu beneiden, denn mit einem so wunderbaren Autor und seinen grandiosen Romanen kommt man dann doch bestimmt glänzend gelaunt und als positiver Denker durch die verflixte Krise – sicher auch ohne faule Kredite.

Peter Münder

Petros Markaris: Faule Kredite. Aus dem Neugriechischen von Michaela Prinzinger. Zürich: Diogenes 2011. 397 Seiten.  22,90 Euro.
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