Geschrieben am 27. April 2011 von für Bücher, Litmag

Matthias Politycki: London für Helden

Schmeckt im Abgang wie nasser Feudel

– Matthias Politycki hat ein erfrischend amüsantes Epos über einen Streifzug durch Londoner Pubs mit raren Ale-Spezialitäten fabriziert. Von Peter Münder.

Man kann London auf den Spuren von Jack the Ripper in Whitechapel erkunden, eine Dickens-Tour machen, eine Spionage-Tour mit sachkundiger Führung zu ehemaligen toten Briefkästen und Treffpunkten der berüchtigten fünf KGB-Doppelagenten Philby, Burgess, Blunt, MacLean und Cairncross absolvieren – oder aber auf dem „Ale-Trail“ all die Pubs erkunden, in denen ganz besondere Ale-Sorten mit so exotischen Namen wie „Mr. Scrooge“, „Polar Bear“, „Hobgorlin“ oder „Bishop’s Finger“ angeboten werden. Was für eine fabelhafte Idee! Doch als der Hamburger Autor Matthias Politycki („Jenseitsnovelle“) seinem Freund, dem „Pfalzgraf“ diese gemeinsame Expedition ins Bierreich vorschlug, war der äußerst skeptisch:

„Die seien ihm von Anfang an suspekt gewesen,
die schmeckten bestenfalls very British,
wären nicht kompatibel mit ´ner Kontinentalkehle
die löschten keinen Kennerdurst.“

Schließlich triumphiert dann doch das ethnologisch-soziologische Erkenntnisinteresse: „Auf der Suche nach dem einen, dem erlösenden Schluck, nach der einen erlösenden Erkenntnis“ wurden schließlich in einem aufreibenden Trial-and-Error-Prozess vierundzwanzig Pubs zwischen Victoria Park und Wapping ebenso gründlich studiert wie die Konsistenz dieser merkwürdigen Ale-Sorten. Was soll dieses blassbraune Bier überhaupt sein? Es ist ja weder süffiges Bitter noch pechschwarzes Stout, aber als eine Art Hopfen-Hybrid ein Kompromiss ganz unterschiedlicher Ansprüche und Geschmacksrichtungen. Beim Zug durch die Ale-Gemeinde wurden die beiden Bierexperten vom Kontinent angesichts ihres unübersehbaren Kennerdursts sofort in Fachsimpeleien über die Vorzüge und Nachteile des Ale sowie diverser anderer Biersorten verwickelt; Wirte und Tischnachbarn outeten sich meistens schnell als ultimative Ale-Experten und dann ging es auch meistens zur Sache.

Denn nach der Kritik des Teutonen-Duos am muffigen Feudelgeschmack oder einem nichtssagenden Abgang im Stil einer „Altbierbowle für Schnabeltassentrinker“ fühlten sich die Briten verpflichtet, das hohe Lied auf die einheimische Braukunst und andere Errungenschaften von „Great“ Britain anzustimmen: Schließlich habe man zwei Weltkriege und eine Fußball-WM gewonnen, die Deutschen aber nur dreimal die WM. Immerhin kommen sie mit einer netten Damenriege ins Gespräch, die in einem der Pubs als Dart-Mannschaft antritt und fröhlich mit den Trinkern herumschäkert. Im diffusen Ale-Nebel, der sich dann wohl allzu schnell in ihren systemrelevanten Gehirnwindungen einnistete, verflüchtigten sich leider andere interessante Erfahrungen. Kein Wunder, Ale trinken heißt ja erst mal, diesen extrem muffigen Härtetest überleben.

Liebevoll-filigrane und ironisch distanzierte Präzision

Nicht nur harte Kampftrinker, auch anglophile Schöngeister und Freunde kauziger Kuriosa dürften über „London für Helden“ entzückt sein: Der wunderbare trocken-sarkastische, selbstironische Tonfall, dieses süffige, in freien Versen fabrizierte Trinker-Epos, die Sottisen über all die selbsternannten britischen Bierexperten, die sich zu großen Hopfen-Gurus und den „wahren“ Erfindern des Reinheitsgebots stilisieren und letztlich doch nur einen in hübschen Fläschchen kredenzten Stoff produzieren, der dann wie „Wildschweinbräu“ oder „im Abgang nach feuchtem Feudel schmeckt“ – das ist einfach grandios und so durchtränkt mit abgeklärten Hintergrund-Kommentaren, dass man diesen 95 Seiten starken Forschungsbericht (inklusive authentischer Fußnoten!) über skurrile Pubs und niedrigprozentige Ale-Sorten (meistens unter 4 Prozent!) viel zu schnell hinter sich hat.

the-ale-trail

Das muffige Feudel-Fazit dieser quirligen Quest kennen wir ja bereits, aber die in eleganten freien Reimen verdichteten Impressionen skurriler Pub-Szenarios fängt Politycki mit einer so liebevoll-filigranen und ironisch distanzierten Präzision ein, dass sie hier nochmals zitiert werden soll:

„Ob dicke Blondinen in lustigen Rüschenblusen und
erstaunlich kurzen lustigen Röckchen
zum Karaokesingen und Klatschen animierten
oder ´n gesetzter Herr zur quiz night,
ob´s nach vielen Runden Jägermeister roch oder
nach ´ner Tracht Prügel
ob der Barkeeper aus Australien kam und selber ausgiebig ´n Kopf über Berry Good Ale schüttelte
oder ob die Wirtin jede Bestellung mit ´nem immergleich
barschen „O.k. darling“ quittierte,
ob Old Speckled Hen aufgetischt wurde,
Dog´s Bollocks oder Polar Bear,
Schlußendlich schmeckte alles nach Skunk Triple FFF
Oder, ganz eigentlich, jawohl,
nach altem Feudel.“

Man stelle sich vor, Winston Churchill hätte den Briten „Blood, Sweat and Ale“ versprochen – wäre er dann gleich aus dem Amt gejagt worden? Und was hätte James Bond mit einem Pint „London Pride“ angestellt? Miss Moneypennys Dauerwelle damit nachgetönt? Oder Wayne Rooney – der würde mit einem „Tom Wood´s Hop and Glory“ doch höchstens seine Stiefel putzen. So kommt man bei Betrachtungen über Sinn und Zweck des Ale schnell ins Grübeln. Wir klinken uns ein beim Verachtungsschluck auf dieses obskure hellbraune Gesöff – egal ob „London Pride“ oder „Spitfire“ –, greifen aber lieber zum eleganten Prosecco. Denn „London für Helden“ ist genauso prickelnd leicht und anregend wie ein Spitzen-Prosecco; im Abgang sogar so köstlich wie echter Taittinger-Schampus!

Peter Münder

Matthias Politycki: London für Helden. The Ale Trail. Hamburg: Hoffmann und Campe 2011. 95 Seiten. 18,00 Euro.
Neben dem Buch wurde auch eine sehr schöne Hörbuchfassung produziert, in der Peter Lohmeyer und Matthias Politycki diese Expedition ins Bierreich lebendig werden lassen: Verlag Antje Kunstmann 2011. 60 Minuten. 14,90 Euro. Zur Homepage des Autors geht es hier, eine Leseprobe finden Sie hier.