Geschrieben am 25. Mai 2011 von für Bücher, Litmag

Marco Dzebro: Dorian

Postkarten ohne Idyll

– In Zeiten von Facebook mit einem „Postkartenroman“ zu debütieren, klingt ziemlich gewagt. Der 1977 geborene Marco Dzebro hat es geschafft, für solch ein anachronistisch klingendes Vorhaben einen Verlag zu finden: Den noch jungen Verlag Asphalt & Anders, der sich in der Eigendarstellung als „urban und rau“ beschreibt. Von Frank Schorneck.

Als urban und rau ließe sich auch „Dorian“ charakterisieren, nur als Roman funktioniert dieses Buch überhaupt nicht. In einer Art Vorbemerkung wird den folgenden Texten eine fiktive Herausgeberschaft zugeordnet. Demnach habe der Autor Marco Dzebro in unregelmäßigen Abständen Postkarten aus New York erhalten, von einem Absender, der sich Dorian nennt und den der Autor nicht kenne. Er habe sich zur Veröffentlichung entschlossen, nachdem seine Nachforschungen nach diesem Dorian erfolglos geblieben seien. Solche Rahmenkonstruktionen sind nichts Neues in der Literatur, häufig werden sie eingesetzt, um Authentizität vorzutäuschen oder aber um dem zentralen Text eine neue Bedeutungsebene hinzuzufügen. Im Falle von Dorian allerdings wirkt diese Konstruktion aufgesetzt, manieriert und eher wie eine unbeholfene Einordnung dessen, was nun folgt.

Abgründiges Stadtproträt

Man sollte sich jedoch davor hüten, das Buch schon an dieser Stelle aus der Hand zu legen, denn in den vorgeblichen Postkartentexten entpuppt sich Marco Dzebro als großes literarisches Talent. In den Prosaminiaturen, die allesamt mit den Worten „Meine Stadt ist…“ beginnen, entwirft er das morbide Portrait einer Großstadt, die nicht zwangsläufig NY sein muss, sondern jede beliebige Metropole sein könnte, die zum alles verschlingenden Moloch mutiert. Verlorenheit, Verkommenheit, Drogen, schneller Sex und Gewalt werden in düstere Poesie gekleidet, die irgendwo zwischen den Großmeistern der Beat-Literatur und Nick Cave anzusiedeln ist. Dorian übt Gewalt aus und erfährt Gewalt. Er ist Teil dieser Stadt, wird von ihr verschluckt und wieder ausgespien. Manche Texte sind von knackiger Kürze, kranke Aphorismen des Elends; andere hingegen entwickeln kleine Szenen, hinter denen sich komplette Lebensgeschichten verbergen – und immer wieder Geschichten vom Sterben.

Die Texte üben einen nahezu hypnotischen Sog aus, einen Taumel durch vordergründigen Glanz und allgegenwärtiges Elend. Erst mit einem letzten „Brief“, adressiert mit „Mein lieber Freund Marco“, wird die dichte Atmosphäre des abgründigen Stadtportraits wieder zerstört. Hätten sich Autor und Verlag getraut, die Pseudo-Rahmenhandlung mit den dubiosen Postkaten zu verwerfen und die Genreeinordnung als Roman sein zu lassen, wäre Dorian eines der originellsten, gewagtesten und provokantesten Prosa-Werke der letzten Jahre. So bleibt leider ein fader Nachgeschmack fehlender Courage und ein Hauch von Etikettenschwindel.

Frank Schorneck

Marco Dzebro: Dorian. Asphalt & Anders 2010. 174 Seiten. 12,90 Euro. Mehr zu dem Buch und Leseproben finden Sie hier.