Geschrieben am 5. April 2014 von für Bücher, Crimemag

Malcolm Mackay: Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter

Malcolm Mackay_Der unvermeidliche Tod des Lewis WinterKiller gesucht, erstklassige Sozialleistungen geboten

– Gangsterromane aus dem UK sind immer sehr willkommen, weil sie meistens nicht so tun, als ob das organisierte Verbrechen gleich „la mafia“ sein müsste. Außerdem bilden sie ein sinnvolles Gegengewicht zu der Flut der Polizeiromane mit ihren ganzen benevolenten Verbrechensbekämpfern und -aufklärern. Die Tradition ist aber fruchtbar – und manchmal kommen ganz wunderliche Bücher dabei raus: Malcolm Mackays „Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter“ ist so ein Ding. Thomas Wörtche hat es gelesen und ist verblüfft.

Was für ein Wirrwarr der Paratexte. Hinten drauf der Sunday Telegraph: „Brutal, geistreich, brillant geschrieben“, vorne drin alle Merkmale leichter Grimmi-Kost mit der launigen Aufzählung der handelnden Personen – das war schon Anno Tobak bei Rowohlts schwarzen Krimis keine gute Idee. Na ja, und der Titel ist auch ein bisschen aufgeblasen. Anyway, never judge a book und so … Nur „brutal“ ist bei diesem ersten Band einer Trilogie über den Glasgower Killer Calum Maclean gar nichts. Im Gegenteil, der Grundkonflikt des Romans ist schon eher treuherzig charmant: Soll der nette Killer weiterhin freiberuflich arbeiten oder ist ihm soziale Absicherung im unkündbaren (resp. nur final kündbaren) Arbeitsverhältnis für ein dito nettes, kleines, aber aufstiegsorientiertes Syndikatchen lieber – mit allen Sozialleistungen und Vorzügen, die eine solche Festanstellung nun mal hat? Bis diese Frage sich entscheidet, muss Maclean einen miesen kleinen, eigentlich harmlosen Dealer namens Lewis Winter umbringen.

How to become a killer?

Und wie das geht, wie das so ist mit dem Killen und mit dem Arbeiten für Gangster im UK, mit den Bullen, den korrupten und den ganz korrupten, mit dem Spitzeln, den Informanten, mit guten und mit schlechten Frauen, mit Schalldämpfern und Skimasken, das erzählt uns Mr Mackay in aller Ausführlichkeit. Man hat fast den Eindruck, dass sich festangestellte Killer in Glasgow und sonst wo auf der Insel – in beiden Irlands gewiss auch, da bin ich ganz sicher – fast auf die Füße treten. Schön für uns ist, dass Mackay das alles in ganz kurzen Sätzen erklärt, was das Buch intellektuell absolut barrierefrei gestaltet. Da muss sich niemand über Komplexität und Fremdwörter und lange Sätze beschweren, da muss man mit, da hilft selbst die „Brutalität des Nicht-Wissen-Wollens“ (wie Stefan Niggemeier neulich mal über Menschen schrieb, die keine Ahnung haben, aber eine Meinung) nichts – dieses Buch kann man gar nicht missverstehen. Das ist gut, denn wenn man es durch hat, hat man einen ganzen Fernuni-Kurs zum Thema „Wie werde ich ein erfolgreicher Killer in Schottland“ absolviert.

Blöd nur, dass man den Eindruck hat, auch Mackay freue sich kindlich an den Früchten seiner Recherchen: „Die Leute stehlen Autos und bringen sie in die Werkstatt. Dort werden sie umgespritzt. Kriegen ein neues Kennzeichen. Alle Erkennungsmerkmale – zum Beispiel die Motorblocknummer – werden abgefeilt und beseitigt. Ein falscher Wartungsschein wird erstellt. Dann wird der Wagen in den Süden gebracht und irgendwo jenseits der Grenze verlauft.“ Dass Menschen so etwas Furchtbares tun können … By the way: Was mag die Grenze im Süden sein? Die schwer bewachte schottisch/englische Grenze? Oder die zu Frankreich, Belgien, Holland? Da gehen Autos mit dem Steuer auf der anderen Seite besonders gut. Und blöd auch, dass es so etwas wie „Genre-Wissen“ gibt, Mackay aber das Rad neu erfinden möchte.

Lobenswert

Na ja, das ist alles schon ein bisschen ungerecht. Immerhin stellt sich Mackay in die Tradition der guten, alten britischen Gangsterromane von Ted Lewis bis Howard Linskey (auch hier). Und er versucht lobenswerterweise, den Beruf „Gangster“ oder „Killer“ als ganz normalen Beruf zu denken, geschäftsmäßig, nicht psychopathisch (Psychopathen sind nicht gerne gesehen, so lernen wir), mit Karrierechancen, milieuangepassten Umgangs- und Kommunikationsformen, mit Schnittstellen zu der andere, zu der „seriösen“ Geschäftswelt, die analog tickt. „Brillant“ ist das ganz und gar nicht, eher tapsig, aber in die richtige Richtung weisend.

Fröhliche Paratext-Fidelwippereien schubsen den Roman auf eine falsche Rezeptionsspur. Gutgelaunte und herzige Lesetipps kann man so sicherlich generieren – ob das im Sinne des Romans ist, weiß ich nicht so recht.

Thomas Wörtche

Malcolm Mackay: Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter (The Necessary Death of Lewis Winter, 2013). Roman. Deutsch von Thomas Gunkel. Frankfurt: Fischer Taschenbuch 2014. 382 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.

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