Geschrieben am 26. November 2011 von für Bücher, Crimemag

Lorraine Adams: Crash

Ja, toll, aber …

Romane können durchaus sperrig sein. Das ist weder verboten noch per se schlecht. Aber auch nicht per se gut. „Crash“ von Lorraine Adams ist sehr sperrig. Aber warum? fragt sich Thomas Wörtche.

Ja, so schlicht ist es manchmal vielleicht: Lorraine Adams ist die Gattin von [[Richard Price]]. Der hat jüngst mit einem Roman namens „Cash“ reüssiert, also bietet sich „Crash“ für die Gattin an, ist doch klar. Zum Glück spielt immerhin ein Flugzeugabsturz eine Rolle, aber den via Paratext „Titel“ zur inhaltlichen Dominante zu machen, ist ein wenig heikel.

Tatsächlich weiß man nicht so genau, um was es in diesem Roman geht. Ein sehr geheimer US-Geheimdienst bringt einen Air Force Jet zum Absturz, um eine neue Technologie auszuprobieren. Die Pilotin überlebt und wird auf lebensgefährliche Mission in den Iran geschickt, wo sie am Ende in einem Zimmer, auf einem Stuhl sitzend auf etwas wartet …

Zudem geht es um das Innenleben einer Washingtoner Zeitung, die explizit nicht die Post sein soll. Aber natürlich ist die [[Washington Post]] gemeint und Insider haben vermutlich noch viel mehr Freude an den Figuren und Vignetten, die Lorraine Adams aus diesem Milieu erzählt. Gemeint ist Typisches: Wie geht die vierte Gewalt mit ihrem Auftrag um, die Öffentlichkeit zu informieren? Das kommt auch polemisch-präzise rüber: „Die Wahrheit“ ist ein ziemlich rares und hehres Gut, das in der medialen und sozialen Wirklichkeit eigentlich gar nicht vorkommt. Alles ist Material, alles Interesse, ob Weltpolitik oder Redaktionsinterna. Ein Spiel um Einfluss, Macht, Manipulation. Das ist nichts Neues, aber dieses Nichts-Neue inszeniert Lorraine Adams passagenweise brillant. Überhaupt – die Stärke des Romans sind situative Miniaturen: eine intrigante Party der Washingtoner Polit-Elite, Redaktionsrankünen, Positions- und Hahnenkämpfe.  Ebenso gelungen die sehr pointillistisch angelegten Porträts von Journalisten: zum Beispiel das eines Nachtredakteurs, ein Schwarzer mit sehr weißer Haut, der aus guten Gründen auf Karriere verzichtet und eine schwarze Frau als investigative Journalistin (im guten alten Woodward/Bernstein’schen Sinn) aufbauen möchte. Oder Charakterstudien von Geheimdienstleuten und Militärs. Allen voran die der Pilotin Mary Goodwin, ahnungsloses Opfer der Regierungspolitik, manipulierte Handlangerin einer Geheimdienststrategie, die niemand versteht, und die auch nicht sonderlich kompetent erscheint.

Pointe?

Alle diese Einzelteile, diese Sequenzen und Passagen, Dialoge und Introspektionen sind so wohlgelungen, dass man am Ende des Buches erstaunt feststellt, dass der narrative Faden fehlt. Wozu der ganze Aufwand? Wo ist die Pointe, wo der Punkt?

Nichts löst sich auf, alles passiert irgendwie, alles verweigert Konsistenz. Und dann bemerkt man zudem, dass man manchmal das Gefühl hatte, in einem Roman von [[David Ignatius]] zu sein (der Subplot mit dem iranischen Atomwissenschaftler zum Beispiel ist ein typischer Ignatius-Plot) oder einem maliziös mehrbödigen Dialog von Ross Thomas zuzuhören oder eine Jerome Charyn’sche Reihung disparater Befindlichkeiten und Deskriptionen zu lesen. Man kann Echos von Charles McCarrys Politthrillern finden, Paranoia à la James Grady, elegante Salon-Szenen in der Manier von John le Carré und switches der Realitätsebenen wie bei Robert Littell.

Wo aber bleibt Lorraine Adams? D. h., was interessiert sie, was wollte sie mit dem Buch? Der Roman hat keinen Vektor, keine Richtung. Er hat „Elemente von …“, aber er „spielt“  nicht mit diesen Elementen aus Politthriller und Gesellschaftsroman. Er beschreibt einlässlich, komplex und manchmal auch unnötig kompliziert, aber was genau beschreibt er? Wo ist seine Ästhetik aufgehoben, denn reine Ästhetik, reine narrative l´art pour l´art ist angesichts der „starken“ Themen keine Option. Und suspense ist kein Faktor, vermutlich nicht aus Unfähigkeit, die Story „spannend“ aufzuziehen, sondern weil Lorraine Adams ganz andere Intentionen gehabt haben mag.

Polit-Thriller? Kein Polit-Thriller? Meta-Polit-Thriller?

Dennoch ist nicht zu leugnen, dass der Roman stofflich- thematisch ein lupenreiner Polit-Thriller ist. Ein Meta-Politthriller kann er nicht sein, weil die meaning-of-structure von „Polit-Thriller“ nicht in Frage gestellt, nicht dementiert, nicht relativiert wird.

Nichts gegen die berühmte „Ratlosigkeit“, mit der der berühmten Formel gemäß, der Autor den Leser zurücklässt (nur ganz schlichte Exegeten kommen an solchen Stellen mit der Schablone, „der Leser“ konkretisiere schon einen irgendwie richtigen „Sinn“ der ganzen Affaire).

Die Ratlosigkeit, die „Crash“ – auch der Bezug zu J.G. Ballard/David Cronenberg funktioniert nicht, um noch eine letzte Rettungsmöglichkeit für den deutschen Titel auszuschöpfen – auslöst, ist frustrierend.

Die Ambition der Autorin, einen post-postmodernen Roman geschrieben zu haben, der ein Polit-Thriller sein könnte, aber um Himmelswillen nicht sein darf (weil die Form vielleicht als trivial verstanden wird? So wie Irene Dische unsinnige Bücher über Killer schreibt, die aber keine Kriminalromane sein dürfen, weil man in avancierten Kreisen keine seriösen Kriminalromane schreibt, cf. auch Silvia Bovenschen) liegt wie ein Bleigewicht über dem Text. Man hat teilweise tolle Stellen gelesen, aber letztlich ergibt sich daraus nur die fahle Frage: Na und?

Thomas Wörtche

Lorraine Adams: Crash (The Room and the Chair, 2010). Roman. Deutsch von Miriam Mandelkow. Zürich/Hamburg: Arche 2011. 397 Seiten. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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