Meuterei im PalmenClub
von Frank Schorneck
– Die Sommerferien nahen, und der deutsche Urlauber steht in diesem Jahr vor der schwierigen Entscheidung, wo auf der Welt man noch einigermaßen guten Gewissens Urlaub machen kann zwischen Terrorangst und Flüchtlingsbooten. Annette Pehnt, die – was kinderlosen Lesern möglicherweise unbekannt ist – nicht nur für ihre „erwachsene“ Prosa mehrfach ausgezeichnet wurde, hat sich in ihrem neuen Kinderbuch eines weniger offensichtlichen und gern übersehenen Aspektes angenommen, das sich im Schatten der Palmen versteckt: der Kinderarbeit im Urlaubsparadies.
Philip ist ein unsportlicher, dicklicher, zehn Jahre alter Junge, der mit seinen Eltern einen Cluburlaub macht. Er beobachtet dort die Mädchen in blauen Kleidern, die stetig hinter den Touristen her putzen. Im Gegensatz zu einem früheren Aufenthalt in diesem Club vor mehreren Jahren hinterfragt Philip diesmal die Rolle der Mädchen, die doch eigentlich zur Schule gehen müssten. Als die Mutter murmelt, „im Grunde ist es Kinderarbeit“, wiegelt der Vater umgehend ab: „Damit müssen wir uns nicht den Urlaub verderben.“
Auf einer zweiten Erzählebene wird der Alltag von Anuka, einem dieser Mädchen, erzählt. Das Waisenmädchen ist stolz auf seine Arbeit, mit der es sich und seine Brüder versorgt. Das Konzept „Urlaub“ ist ihr fremd und ihr Blick auf die Eigenarten und das Gebaren der Gäste in vielfacher Hinsicht entlarvend. Mit ihren beiden Brüdern und einer Katze hat Anuka eine kleine Familie und ist in aller Armut glücklich, denn die Hotelleitung ist nett und zahlt verhältnismäßig guten Lohn. Doch dann wird Anukas Bruder Stefane krank und das Mädchen gerät in einen Gewissenskonflikt zwischen Pflichterfüllung auf der Arbeit und der Verantwortung gegenüber ihrem Bruder. Ihre Freundin Valencia hilft ihr und verliert hierdurch sogar ihre Arbeit. Da solidarisieren sich die Urlauberkinder überraschend mit den kindlichen Bediensteten…
Annette Pehnt nähert sich dem brisanten Thema Kinderarbeit in sehr homöopatischer Dosis: Die Kinder werden vergleichsweise gut behandelt und bezahlt. Aber selbst so macht Pehnt gut das Nebeneinander zweier vollkommen unterschiedlicher Welten innerhalb des Urlaubskosmos deutlich. Zwei unterschiedliche Erzählperspektiven helfen ihr dabei: Philip schildert als Ich-Erzähler seine Urlaubserlebnisse, während Pehnt sich für die Schilderung von Anukas Lebenswelt eines personalen Erzählers bedient. Leider wählt Pehnt einen Schulaufsatz als Anlass für Philips Erzählung und verärgert damit auf den ersten Seiten mit einem extrem unglaubwürdigen Einstieg. Den Tonfall eines Schulaufsatzes trifft sie leider nicht. „Ich bin, wenn ich ehrlich sein soll, nicht der Schnellste“ – schreibt das ein Zehnjähriger, wenn die Lehrerin und Mitschüler die Adressaten sind?
Von dieser handwerklichen Schwäche abgesehen, die man bis zur überflüssigen letzten Seite nahezu ausklammern kann, schärft dieses Buch den Blick für soziales Ungleichgewicht, ohne mit simplen Lösungsansätzen aufzuwarten – denn was aus Anuka und ihren Freunden wird, sobald die Urlaubssaison beendet ist, lässt die Geschichte offen. Aber zumindest für Philip ändert sich manches.
Annette Pehnt: Alle für Anuka. Mit Illustrationen von Jutta Bauer. Hanser Verlag, 144 Seiten, 12,90 Euro.