Fifty Shades of Kitsch & Fifty Shades of Hardcore
‒ Sozusagen unser Kerngeschäft: Sex’n’Crime. Zwei Romane, zwei Möglichkeiten, mit dem Thema umzugehen: Katja Eichingers „Amerikanisches Solo“ & Tamara Faith Bergers „Pussy“. Ein Vergleich von Alf Mayer
Man kann nur hoffen, dass das alles ganz wenig mit Bernd Eichinger zu tun hat. Katja Eichinger, die mit der Biografie „BE“ (Hoffmann und Campe 2012) über ihren zu früh verstorbenen Mann einen achtenswerten Job machte, versetzt sich in ihrem Erstlingsroman in den Kopf eines lächerlichen Gigantomanen. Harry Cubs ist kein Filmproduzent, sondern „Jazzmusiker von Weltrang“, angebetet für ein vor 29 Jahren geschriebenes Stück mit dem Titel „The American Dream“. Seinen eigenen Musikern geht er nach Konzertende aus dem Weg, hält im Keller Giftschlangen, glaubt an einen gerechten Kapitalismus und daran, seinem Publikum wichtige Botschaften zu vermitteln. 30 Jahre Tour haben ihm, wird mehrfach betont, eine immense Menschenkenntnis verschafft. Sollten die Zuschauer (ja, da steht Zuschauer auf Seite 22) während seiner Konzerte je untereinander tuscheln, „wäre das der Moment seiner Niederlage. Sein persönliches Waterloo“.
Das Gift in den Lenden
Die feinen Striche sind nicht Katja Eichingers Ding und Vermögen, hier wird mit grobem Messer geschnitzt – notfalls geht so etwas ja immer als „pulp fiction“ durch. Mich erinnerte das Buch immer fataler an Lore- und an Arzt-Romane. Hatten Harry „die einzigen Französinnen, mit denen er bisher in Berührung gekommen war … immer etwas eingeschüchtert“, es waren die Bardamen der Pariser Jazzclubs mit ihren „schwarzen Miniröcken, ihrer lässigen Erotik und ihren Lasso-Blicken“, stolpert sein Herz, als er auf einem Parkplatz eine französische Stimme telefonieren hört. In der gleichen Nacht tritt er auf seinen Balkon, sieht Licht gegenüber, greift zum vom Vormieter hinterlassenen Fernglas, schließlich ist er kein Voyeur, und erblickt die Telefonistin, splitternackt ‒ „ein herrliches Geschöpf … wie konnte ihm das Leben einen so herrlichen Streich spielen“? Als er realisiert, dass sie sich vor einem Unsichtbaren befriedigt, gibt es kein Halten mehr: „Das Gift schoss in seine Lenden und überwältigte ihn. Er kam innerhalb von Sekunden.“
Diese Passage von Seite 50 bis 52 musste ich mehrfach lesen, um zu glauben, dass solche Prosa tatsächlich im Jahre 2014 geschrieben und gedruckt wird. Aber das war erst der Anfang. Denn Zufall-Zufall-Zufall trappst dafür, dass Mona, wie das Kindchen heißt und sich von einem alten französischen Filmregisseur „die Seele rauben lässt“, in Harrys Keller gerät, wo er sie kurzentschlossen in seinem Panic Room stupst und fortan gefangen hält. Nur zu ihrem Besten, nämlich um sie zu befreien: „Das echte Gefängnis war dein bisheriges Leben.“ Mit einer Magnum (hartnäckig als Pistole bezeichnet, aber es heulen ja auch Martinshörner in L.A.) und seinen Worten hält er sie in Bann, Tampons bringen einen wunderbaren Moment der wertfreien Intimität. Dennoch dräut weiter dieses Gift. Als Mona erst seine Magnum, dann ihn lutscht, „dauert es keine zwei Sekunden“. Uns alle rettet dann eine Schwarze Mamba. Was für eine verklemmte Schmonzette. Kein Wunder, dass so solcher Quadratkitsch es aufs blaue Sofa und in die Talkshows schafft.
Lichtjahre an Qualitätsunterschied und Radikalität liegen zwischen „Amerikanisches Solo“ und dem im gleichen Verlag erschienenen „Pussy“ der Kanadierin Tamara Faith Berger. „Maidenhead“, Jungfernhäutchen, lautet der Originaltitel. Schon die ersten zehn Seiten von „Pussy“ machen klar, dass sich da eine Stimme erhebt, der man überall hin folgen will und wird. Die Ich-Erzählerin Myra, 16 und wild zum Verlust ihrer Jungfräulichkeit entschlossen, macht Urlaub mit ihrer Familie. „Meine Mutter hörte über Kopfhörer Folk und las ein Buch über Frauen in Korea, auf dem vorne ein Schwarzweißfoto drauf war. Na dann, Mama, viel Spaß in deiner tristen Welt. Ich bin in Key West. Und zwar ganz in echt.“ Am Strand liegen College-Girls, „deren Hinterteile sich wie Früchte wölben“, Myra gerät an den viel älteren Elijah, einen Schwarzen aus Tansania. Schon die erste Annäherung ist so aufgeladen, dass die Seiten knistern. „Ich gefalle diesem Mann, und meine Familie weiß nichts davon.“
Bei Eichinger ist Pornografie etwas, das beim Nachbarn passiert und weswegen Harrys Vormieter ein Fernglas hinterließ. „Gegenüber wohnte ein schwarzer Pornoproduzent, der am Pool und im Wohnzimmer Sexpartys gefilmt hatte: Schwarze Männer fickten weiße Frauen“, heißt es da schaudernd. Harry linste mal hinüber, aber findet Pornos unbegreiflich. „Wer wollte schon anderen zuschauen … oder Sex aus der Dose?“, lässt ihn Gouvernante Eichinger sinnieren.
Tamara Faith Berger, die seit mehr als zehn Jahren herausfordernde Texte, Geschichten und Bücher über Sexualität schreibt und sich als Pornoschreiberin ernährte, geht viel, viel weiter. Sie weiß von der Faszination der Internetpornografie, der Komplexität des Sexuellen, der Macht der Lust und der Unterwerfung, kennt ihren Bataille, Foucault, Hegels Dialektik von Herr und Knecht, Simone Weils „Schwerkraft und Gnade“. Der erste Satz „Es gibt Sklaven auf der Welt, und zwar richtige Sklaven …“, steht dort nicht von ungefähr und führt hin zu einer Art zeitgemäßer, sexueller Befreiung. Ohne Zeigefinger, atemberaubend sinnlich und noch auf der Metaebene faszinierend, ist „Pussy“ eine Reise, deren Ernsthaftigkeit, Feuer, Unverblümtheit und Reflektionsniveau einen solche Qualitäten schmerzhaft in vieler anderer Lektüre vermissen lässt, auch in der Kriminalliteratur. Dieses Buch hat Sog und Thrill – ja, es kommt auch die Polizei ‒, und über allem einen Rhythmus und eine literarische Qualität, die staunen lässt. Kirsten Riesselmann hat glorios übersetzt.
„In der Pornographie kommen unser herrisches und unser knechtisches Selbstbewusstsein zusammen … Pornografie ist das befreiende Narrativ, das uns dem Schoß der Familie entreißt … das Geheime und das Familiäre, diese Synthese, müssen wir in unser Leben integrieren“, schreibt Myra in ihrem Aufsatz „Sexsklavinnen. Über Moderne, Fremdheit und Freiheit“.
Alf Mayer
Katja Eichinger: Amerikanisches Solo. Roman. Berlin: Metrolit 2014. 256 Seiten. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Tamara Faith Berger: Pussy (Maidenhead, 2012). Roman. Deutsch von Karin Riesselmann. Berlin: Metrolit 2014. 224 Seiten. 15,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.