Geschrieben am 21. März 2012 von für Bücher, Litmag

Kathrin Fischer: Generation Laminat. Mit uns beginnt der Abstieg

Die Angst vor dem sozialen Abstieg

– Kathrin Fischers porträtiert die „Generation Laminat“. Von Joachim Feldmann.

Die großformatige Anzeige hatten wir aus der Tageszeitung ausgeschnitten und in unserer WG-Küche an die Wand gepinnt. Sie zeigte einen milchgesichtigen Teenager, der kurz zuvor eine international begehrte Tennis-Trophäe gewonnen hatte. Neben dem Bild prangte der Spruch: „Es ist ein gutes Gefühl, wenn Leistung zu Erfolg wird“. Das Logo und der Name des Auftraggebers fanden sich, wenn ich mich recht erinnere, unter dem Slogan: Deutsche Bank. Wir liebten diese Anzeige, verkörperte sie doch auf idealtypische Weise all das, was wir am sogenannten Zeitgeist der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts verabscheuten.

Ich hatte gerade mein Studium beendet, jobbte bei einem Energieversorger und hielt es für sinnlos, das Referendariat zu absolvieren, da es keine Lehrerstellen gab. Meine beiden Mitbewohner konnten sich ebenfalls keine großen Karrierehoffnungen machen. Alle drei träumten wir von einer auskömmlichen Halbtagsstelle, um möglichst viel freie Zeit der Produktion unserer kleinen Literaturzeitschrift widmen zu können. Wie öde das Angestelltendasein war, durfte ich ja täglich erleben. Und als eines Tages mein Kollege W., während er sinnierend aus dem Fenster blickte, vor sich hin murmelte, dass er, wenn das viele Geld nicht wäre, längst etwas anderes machen würde, war mir wieder einmal klar, was ich nicht wollte. Die Grenzen des Wachstums, von denen in den siebziger Jahren die Rede gewesen war, schreckten uns nicht.

Damals dürfte Kathrin Fischer, deren Porträt der „Generation Laminat“ mich zu diesem kleinen Ausflug in die eigene Biografie angeregt hat, kurz vor dem Abitur gestanden haben. Und merkwürdigerweise erinnert sie sich, obwohl ein Jahrzehnt jünger als wir, an ein ähnliches Lebensgefühl: „Als Jugendliche habe ich mir nichts erträumt für meine Zukunft, außer: dass alles so bleibt, wie es ist. Ich hatte schließlich alles, was ich brauchte. Hermann-Hesse-Romane und Sade-Platten, alte Männerhemden und ein Teegeschirr, Urlaube auf Sylt, dezidierte Ansichten, ein eigenes Pferd und mit achtzehn einen weißen R4.“ Doch während ich dieses Zitat abschreibe, fallen mir einige Unterschiede auf. Dass die Hermann-Hesse-Phase hinter uns lag und wir statt Sade Miles Davis hörten, sind noch die geringsten. Ferien auf Sylt aber oder ein eigenes Auto? Unsere Jugend hatte ganz anders ausgesehen. Wer seine Kindheit in den sechziger und frühen siebziger Jahren verbringen durfte, erinnert sich natürlich an langsam wachsenden Wohlstand, doch so komfortabel, wie es die 1967 geborene Journalistin beschreibt, ging es nicht zu. Und das weiß sie natürlich. „Womöglich gehöre ich der ersten Nachkriegsgeneration an, die sich für ihre Zukunft nichts erträumte als die Fortsetzung der Gegenwart“, schreibt Kathrin Fischer. Doch selbst dieser bescheiden anmutende Traum ging nicht in Erfüllung. Dem elterlichen Parkettboden entronnen, müssen heutige Mittvierziger mit billigem Kunststoffbelag vorliebnehmen. Der „Generation Laminat“ droht zwar gewiss, zumal es sich bei der Autorin und ihren Freunden fast ausschließlich um Akademiker handelt, keine Verelendung, aber doch die Erfahrung des sozialen Abstiegs. „Die Kollegen, die jetzt in Frührente gehen, verdienen als Rentner mehr als ich während meiner Berufstätigkeit“, gibt Erich, einer ihrer Gewährsleute zu Protokoll, während der Informatiker Jörg berichtet, wie er nach dem plötzlichen Verlust eines gut dotierten Jobs fast zum Hartz-IV-Empfänger geworden wäre. Jetzt arbeitet er wieder für erheblich weniger Geld und spielt Lotto in der unbegründeten Hoffnung auf ein sorgenfreies Leben.

Ein ausgesprochen konzentriertes Buch

Für Kathrin Fischer sind solche Erfahrungen symptomatisch für die Erosion der Mittelschicht. „Mit uns beginnt der Abstieg“ lautet entsprechend programmatisch der Untertitel ihres Buches. Denn betroffen ist unsere Gesellschaft als Ganzes. Die Autorin diagnostiziert einen Zerfall des Gemeinwesens in großem Maßstab. Und ihre Ursachenforschung führt sie von der zunehmenden Verinnerlichung einer krankmachenden Leistungslogik über die Abgründe des deutschen Steuerwesens bis hin zur globalen Finanzwirtschaft. Was allerdings wenig verheißungsvoll nach einem thematischen Rundumschlag klingt, ist tatsächlich ein ausgesprochen nachdenkliches und konzentriertes Buch. Der subjektiv erzählende Stil wirkt so einladend, dass man die Lektüre vor allem als Diskussionsangebot wahrnimmt. Denn nicht alles, was sie über unsere Gegenwart zu berichten weiß, scheint mir eine generelle Erfahrung zu sein. Ein prämienverwöhnter Facharbeiter bei VW oder BMW, der sich auf die Streitkraft einer starken Gewerkschaft verlassen kann, wird sicherlich weniger von Abstiegsängsten geplagt als ein Universitätslehrer mit Zeitvertrag. Und die Studienrätin im sicheren Beamtenverhältnis wird vielleicht auch nicht unbedingt die Sorgen einer freiberuflichen Rundfunkredakteurin teilen. Doch das schmälert den diagnostischen Wert dieses Buches nicht.

Die drei jungen Männer aus der Wohngemeinschaft, von denen ich zu Anfang erzählte, produzieren übrigens noch immer eine Literaturzeitschrift, obwohl aus dem existenzsichernden Halbtagsjob nichts geworden ist. Das Energieunternehmen, bei dem ich damals die Zeit bis zum dann doch angetretenen Referendariat überbrückt habe, ging einige Jahre später in einem großen Konzern auf, der sich alsbald daran machte, die Mitarbeiterzahlen zu reduzieren. Knapp über 50-Jährige wurden mit mehr oder weniger großzügigen Pensionsregelungen in den Ruhestand geschickt und ganze Abteilungen „outgesourct“. Dass die Angestellten dort heute noch die Zeit haben, aus dem Fenster zu schauen und über die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit nachzudenken, glaube ich nicht.

Joachim Feldmann

Kathrin Fischer: Generation Laminat. Mit uns beginnt der Abstieg. Knaus Verlag 2012. 288 Seiten.16,99 Euro.

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