Der unzuverlässige Autor
‒ Grisham-Romane sind normalerweise David-gegen-Goliath-Geschichten. Das gilt auch im weitesten Sinn für sein neues Buch „Das Komplott“ Ex-Anwalt gegen das FBI. Aber ansonsten ist Zoë Beck nicht sehr zufrieden …
Malcolm Bannister ist Anwalt, oder vielmehr war er einer, bevor er ins Gefängnis kam. Sein Verbrechen: Als kleiner Provinzadvokat wurde er unwissentlich in riskante Geldwäscheaktionen verwickelt und trotzdem ohne Gnade zu zehn Jahren Haft verurteilt. Er fühlt sich vom FBI mindestens genauso reingelegt wie von den Leuten, die ihn ausgenutzt und denen er somit die Anklage zu verdanken hat, und dass sich seine Frau von ihm scheiden lässt, sein Sohn ihm fremd wird und sein Vater sich für ihn schämt, setzt er der Bundesbehörde ebenfalls auf die Rechnung.
Nach fünf Jahren im Gefängnis allerdings bekommt er die Chance auf einen Deal: Ein Bundesrichter wird zusammen mit seiner Geliebten erschossen, und Malcolm behauptet zu wissen, wer der Täter ist. Die Beamten des FBI sind seit Monaten an dem Fall dran und kommen keinen Schritt weiter. Sie gehen zunächst noch widerstrebend, dann aber mit großem Elan auf den Deal ein. Malcolm nennt ihnen den Mörder, und sobald gegen diesen Anklage erhoben wird, kommt der Ex-Anwalt ins Zeugenschutzprogramm. Mit allem, was dazugehört: chirurgische Eingriffe, um sein Aussehen zu verändern, eine neue Identität, neue Wohnung, neue Kleidung, neue Sprechweise. Noch nie sei es vorgekommen, dass jemand im Zeugenschutzprogramm von denen aufgespürt worden war, vor denen er sich verstecken musste, sagen die Männer vom FBI. Doch nur wenige Tage später tritt der unwahrscheinliche, weil eben nicht unmögliche Fall ein: Die Familie des Mannes, den Malcolm dem FBI als Mörder geliefert hat, weiß, wo er sich versteckt und sinnt auf Rache.
Normalerweise leben die Romane von John Grisham davon, dass sich die Kleinen gegen die Großen behaupten, dass das Gute gegen das Böse eine Chance hat und diese gegen alle Widerstände nutzt. In „Das Komplott“ kommen nun keine Großkanzleien vor, gegen die man etwas unternehmen müsste, aber wir haben den naiven, dazu noch schwarzen Provinzanwalt, der sich gegen Ungeheuerlichkeiten zu wehren hat. Es ist eine persönliche Rachegeschichte, wenn sich Malcolm gewisse Gesetzeslücken zunutze machen will, um das FBI – so viel kann man schon sagen – reinzulegen. Hier wird nicht Gutes getan, nur Schlechtes gerächt.
Ebenfalls etwas verstörend und in dem Ausmaß ungewohnt bei Grisham: der extrem unzuverlässige Ich-Erzähler. Nicht eine emotionale Regung darf man ihm abnehmen, stets muss man misstrauisch sein. An sich ist das nichts Schlechtes, es kann interessant sein, alles hinterfragen. Das führt hier allerdings dazu, dass man an Malcolm gar nicht herankommt. Man mag ihn rückblickend verstehen, aber dass man der Figur – gerne – folgt, bleibt tatsächlich aus, ebenso wie die Spannung in der Geschichte. Was steht eigentlich auf dem Spiel? Was soll hier überhaupt bewiesen werden? Kaum weiß man es, ist man auch wieder so enttäuscht ob des Motivs hinter der ganzen Scharade. „Das Komplott“ liest sich wie ein durchschnittlich konstruierter, in Teilen märchenhaft überhöhter Plot, und selbst die systemkritische Komponente, die das Buch haben könnte, wird durch Grisham selbst ausgehebelt, wenn er im Nachwort schreibt, er habe so gut wie gar nicht recherchiert und sich das alles ausgedacht. Neben dem unzuverlässigen Erzählen auch noch einen unzuverlässigen Autor zu haben, trübt die Geschichte noch weiter ein. Nein, schade, das war’s diesmal leider nicht.
Zoë Beck
John Grisham: Das Komplott (The Racketeer, 2012). Aus dem Amerikanischen von Bea Reiter, Imke Walsh-Araya. München: Heyne Verlag 2013. 448 Seiten. 22,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur offiziellen Website von John Grisham. Zur Homepage von Zoë Beck geht es hier. Henrike Heiland über Der Anwalt. TW zu Das Geständnis.