Geschrieben am 7. Dezember 2013 von für Bücher, Crimemag

Jörg Armbruster: Brennpunkt Nahost

Armbruster_Brennpunkt300Weiter hochexplosiv: der Nahost-Dampfkessel

‒ Die großen Erwartungen an den Arabischen Frühling sind innerhalb von zwei Jahren durch repressive Militärs und aggressive Islamisten pulverisiert worden: Syrien ist in der Region der brutalste Kriegsschauplatz, an dem man auch vor Giftgaseinsätzen nicht zurückschreckt; in Ägypten, Libyen und Tunesien stecken die Protestbewegungen und Systemveränderungen in einer Sackgasse. Der ehemalige ARD-Krisenreporter und Nahost-Experte Jörg Armbruster liefert Rückblicke und Analysen und wagt in seinem spannenden Buch „Brennpunkt Nahost“ einen Ausblick auf weitere Entwicklungen. Eine Besprechung von Peter Münder.

Was ist bloß los im Nahen Osten? Ist es wirklich erst zweieinhalb Jahre her, dass die 6.-April-Bewegung mit ihren Anti-Mubarak-Protesten in Kairo den Arabischen Frühling in Gang brachte und mit liberal-demokratischem Impetus weitere Protestbewegungen beflügeln konnte? Nun scheint dieser Aufbruch schon wieder gescheitert zu sein ‒ der Repressionsapparat schlägt nach der Machtübernahme der Militärs und der Inhaftierung Mursis sowie weiterer Muslimbrüder jedenfalls so unbarmherzig zu wie zu Mubaraks Zeiten und lässt in Kairo die Revolutionäre der ersten Stunde verhaften. Kritisch sieht es auch in Tunesien und Libyen aus, wo trotz der Beseitigung des Gaddafi-Regimes hochgerüstete Milizen weite Regionen beherrschen und keineswegs eine Demokratisierung in Gang gesetzt haben. Und das Schlachtfeld Syrien war auch schon vor den mörderischen Giftgaseinsätzen so unübersichtlich geworden, dass eine Unterstützung oppositioneller Splittergruppen im Kampf gegen das Assad-Regime wohl eher den diversen terroristischen Dschihad-Grüppchen zugutekäme. Welche Gruppe welche Ziele verfolgt, lässt sich kaum noch objektiv feststellen.

Bashar al Assad (Foto: Fabio Rodrigues Pozzebom / ABr/wikimedia commons)

Bashar al Assad (Foto: Fabio Rodrigues Pozzebom / ABr/wikimedia commons)

Das Versagen des Westens?

Aber inwiefern trug zum Scheitern progressiver Bewegungen auch das „Versagen des Westens“ bei, wie der Untertitel von Armbrusters Buch suggeriert? Jörg Armbruster war als Krisenreporter lange in Kairo stationiert, er hat aus den Problemzonen immer wieder berichtet und war am Karfreitag 2013 in Aleppo von einem Heckenschützen schwer verletzt worden. Er kann die brisanten Konflikte im Kontext der Protestbewegungen gegen autoritäre islamische Regime kompetent analysieren.

Hintergründe

Sehr erhellend ist Armbrusters Rückblick auf die türkisch-syrischen Beziehungen der letzten fünf Jahre, vom gemeinsamen freundschaftlichen Badeurlaub Erdogans und Assads im türkischen Badeort Bodrum 2008 bis zum erbitterten Konflikt 2011, der beinah zum offenen Krieg zwischen Syrien und der Türkei geführt hätte. Für den Alawiten Assad waren die rebellischen Sunniten im eigenen Land unerträglich geworden, zudem unterstützte Erdogan, der sich als islamistische Lichtfigur profilieren wollte, die Sunniten und tolerierte die im türkischen Grenzgebiet untergetauchten syrischen Oppositionsgruppen, die sich im syrischen Nationalrat (SNR) zusammengeschlossen hatten. Verschärft wurde der Konflikt zwischen Erdogan und Assad noch dadurch, dass sich Erdogan bei seinem Besuch im „neuen Ägypten“ während der Aufbruchsstimmung im September 2011 als Heilsbringer bejubeln ließ. Nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ arrangierte sich Assad daraufhin mit der kurdischen PYD-Partei ‒ einem Ableger der PKK ‒ und überließ deren Kämpfern nach dem Abzug seiner eigenen Truppen aus dem Nordosten Syriens das Gebiet für Attacken auf den türkischen Erzfeind. So eskalierte dieser Konflikt, dessen weitere Entwicklung unberechenbar und hochbrisant bleibt.

Hamed Abdel-Samad_Untergang-der-islamischen-weltIslamischer Faschismus?

Vom Islamkritiker Hamed Abdel-Samad („Der Untergang der islamischen Welt“, Droemer Knaur 2011) werden diese autoritären islamistischen Systeme übrigens als faschistoid eingestuft, er spricht offen von einem „islamischen Faschismus“ ‒ so lautet auch der Titel seines neuen, im Frühjahr 2014 erscheinenden Bandes. Gegen ihn wurde, wie ehedem gegen Salman Rushdie, eine Mord-Fatwa verhängt. Der deutsch-ägyptische Politikwissenschaftler Abdel-Samad, Mitglied der deutschen Islamkonferenz, ist wohl der scharfsinnigste und glaubwürdigste Islamkritiker und daher bei Islamisten besonders verhasst. Er kennt sich bestens aus in der Religionsgeschichte und im Koran, er beruft sich auf die aufklärerisch-liberalen Phasen, die es im mittelalterlichen Nahen Osten gab und er fordert eine konsequente Entrümpelung und Modernisierung des Koran ‒ für verblendete Fundamentalisten natürlich eine Todsünde. Der Koran ist nach seiner Ansicht „in der vormodernen Gemeinde aus dem siebten Jahrhundert entstanden und hat im 21. Jahrhundert nichts zu suchen“. Daher sollte man den Koran auch endgültig entmachten und aus dem politischen Diskurs verbannen, so Abdel-Samad.

Auch Jörg Armbruster geht auf die enormen Defizite einer Bevormundung und permanenter Indoktrination durch verblendete Islamisten ein, die sich etwa in Ägypten ins alltägliche Privatleben einmischen und kleinkarierte Verhaltensregeln vorschreiben wollen. Damit würden auch dringende Reformen, die auf der Prioritätenliste ganz oben stehen sollten, verhindert. Doch der jetzt eingeschlagene Kurs des Verfassungsrats, nach der Devise „Mehr Militär, weniger islamistische Indoktrination“ zielt darauf ab, nun immer gnadenloser liberal-demokratische Gruppen zu verfolgen und Zivilisten vom Militärgericht verurteilen zu lassen. Das ist ein provozierender Rückschritt zu den Praktiken während der Mubarak-Ära und sorgt für neue Unruhen und Demonstrationen.

Waren die Proteste und Aufstände in Ägypten, Tunesien, Libyen und Syrien also vergeblich, fragt sich Armbruster angesichts der neuen Repressionen, die den alten staatlichen Terror perpetuieren. Da die Systeme auch nach den Aufständen zum größten Teil mit denselben Polizei- und Geheimdienst-Beamten weiter funktionierten, da es keine grundlegenden wirtschaftlichen Reformen gab und sich im Alltag der meisten Menschen kaum etwas zum Besseren veränderte, meint Armbruster, habe sich nach der Machtübernahme durch die Muslim-Bruderschaft schnell gezeigt, dass die alten verkrusteten Strukturen mitsamt den korrupten Machenschaften und den inkompetenten, überforderten Wirtschaftsbürokraten intakt geblieben waren. Statt effizienter Reformen, Verschlankung des Beamtenapparats oder der Bekämpfung der Korruption gab es aber von Mursi und seiner Clique nur Bevormundungen und Ermahnungen, die jedem Ägypter einen im Koran angeblich vorgeschriebenen islamischen Lebensstil aufzwingen wollten.

Die Kairoer Muslimbrüder waren jedenfalls stärker daran interessiert, in langwierigen Studien das korankonforme Heiratsalter junger Mädchen zu bestimmen, als sich um Wirtschaftsreformen oder die Verringerung der beängstigend hohen Jugendarbeitslosigkeit zu kümmern. Die neue Tamarod-Protestbewegung rebellierte gegen diese völlig überforderte, inkompetente Religionsdiktatur der Muslimbrüder; der dann erfolgte Sturz Mursis sowie die Machtübernahme durch eine brutale Militär-Clique kam für sie jedoch völlig überraschend.

 Karl Sharro (Quelle: karlremarks.com)

Karl Sharro (Quelle: karlremarks.com)

Gegen einen kurzsichtigen pseudomoralischen Interventionismus

Weil die Forderung nach der Intervention der NATO, EU oder den USA fast schon zum Automatismus geworden ist, wenn es um Krisenbewältigung in besonders heiklen, von Unruhen und Revolten heimgesuchten Regionen geht, blenden wir einen Exkurs zur kontroversen Interventionismus-Debatte ein. Der in London lebende Nahost-Experte, Architekt und Blogger Karl Sharro (Karl reMarks) hat sich in seinem Aufsatz „Selbstbestimmung für Arabien“ (Novo Argumente II/2013) strikt gegen eine solche Einmischung von außen ausgesprochen ‒ mit Argumenten, die ich für sehr plausibel halte. Nach der westlichen Militärintervention in Libyen und dem niedergeschlagenen Aufstand in Bahrein sei nämlich, laut Sharro, in Nahost-Krisengebieten eine passive, erwartungsvolle Haltung gefördert worden, die ganz auf die internalisierte Logik des Interventionismus vertraut und nicht mehr auf die eigene Kraft. Die vielen syrischen Splittergruppen mit ihren ethnischen und konfessionellen Bruchlinien konnten nie eine vereinte Opposition gegen das Assad-Regime bilden, sie erwarteten aber vom Westen eine militärische Intervention. So reduzierte sich laut Sharro die Haltung der politischen Eliten auf den Status von Zuschauern, die keine Kontrolle mehr über die Aufstände übernehmen konnten oder wollten:

„Der krasseste Ausdruck dieses falschen Schwerpunkts und ein trauriger Anblick war das Betteln syrischer Oppositionsführer um eine Intervention des Westens und der Golfstaaten, anstatt alle Anstrengungen auf die politische Organisation vor Ort zu konzentrieren“, konstatiert er. Kurzatmig und zwischen Extremen operierend, hatte die westliche Intervention in Libyen laut Sharro einen Übergang zur Demokratie während der Post-Gaddafi-Ära verhindert ‒ so wurde dem libyschen Volk „ein leerer Sieg und ein unkontrollierbarer Staat geschenkt, der inzwischen vom Radar westlicher Medien und Politiker verschwunden ist“.

Schuldzuweisungen bleiben natürlich nicht aus, wenn über Interventionalismus diskutiert wird: Die syrische Opposition will ihre eigenen Fehler rechtfertigen und für das Scheitern des Aufstandes den Westen verantwortlich machen. Unaufrichtig, zynisch und heuchlerisch sei jedoch die Haltung des Westens, denn auf der verzweifelten Suche nach moralischer Sinnstiftung habe man es mit unberechenbaren interventionistischen Abenteuern geschafft, dieses defizitäre Politik-Konzept in die ganze Welt zu tragen ‒ was der Erz-Interventionist Tony Blair mit seiner Unterstützung des ägyptischen Militärs und des Putsches gegen Mursi eindrucksvoll beweise. Das düstere Fazit Sharros lautet: „Nach den katastrophalen Interventionen in Afghanistan und Irak haben deren Befürworter nur wenig aus den Erfahrungen gelernt. Ohne zu übertreiben, darf behauptet werden, dass ein gesundes Verständnis von Politik und vom Kampf für Demokratie nur zu haben ist, wenn wir den perversen Einfluss des Interventionismus beseitigen“.

Nahost-Experte Jörg Armbruster (Copyright: Christel Korte/Westend Verlag)

Nahost-Experte Jörg Armbruster (Copyright: Christel Korte/Westend Verlag)

Fazit

Jörg Armbruster beurteilt die Entwicklung in Ägypten und Tunesien zwar auch sehr kritisch, er urteilt in seinem Fazit aber: „Die Syrer wären froh, hätten sie die Probleme der Ägypter oder Tunesier.“ Er versucht, einen langfristig angelegten Friedensprozess in Syrien zu entwickeln und macht detaillierte Vorschläge: Ein Waffenstillstand für sechs Monate, Verhandlungen aller Beteiligten am runden Tisch, Teilnahme der Arabischen Liga, Aufgabe aller Privilegien durch den Assad-Clan, Entschärfung der heiklen Beziehungen zwischen Iran und den sunnitischen Golfstaaten. Das bedrohliche Szenario, das sich nach dem Scheitern eines solchen Versuchs entwickeln könnte, wäre jedoch extrem deprimierend, denn Russland würde auf jeden Fall seinen Militärhafen in Tartus behalten und Assad sowie die iranischen Mullahs und die Hisbollah würden sich dann im Süden Syriens festsetzen ‒ ein solcher schiitischer Block würde von den Nachbarländern als direkte Bedrohung angesehen und die nächste Eskalationsstufe im brodelnden Nahost-Kessel wäre absehbar.

Eine Beruhigung dieser bedrohlichen Lage ist jedenfalls nicht in Sicht, so kann man Armbrusters Prophezeiung für ein eventuelles Scheitern dieses Verhandlungskonzepts deuten: „Eine solche Konzentration von Macht, Miliz und Militär vor der Haustür Israels und anderer verbündeter Staaten wird der Westen nicht hinnehmen, fast zwangsläufig muss er im Falle eines Falles militärisch eingreifen. Ob sich Assads Freund Russland aus einem solchen Konflikt heraushalten wird, ist mehr als fraglich.“ Immerhin, so Armbruster, hätten die Verhandlungen zur Vernichtung der syrischen C-Waffen in Genf ja ein vielversprechendes Ergebnis gebracht und würden ein schwaches Licht am Ende des Tunnels erkennen lassen. Auch wenn einige Details seines Vorschlags von Kritikern als weltfern abqualifiziert würden. Es brodelt also weiter im Nahost-Kessel, auch wenn der Sprengmittel-Räumdienst bereits mobilisiert ist. Für den Beobachter dieser bedrohlichen Szene ist es immerhin beruhigend, sich in einer so scharfsinnigen Analyse wie „Brennpunkt Nahost“ einen umfassenden Überblick verschaffen zu können.

Peter Münder

Jörg Armbruster: Brennpunkt Nahost. Die Zerstörung Syriens und das Versagen des Westens. Frankfurt: Westend Verlag 2013. 217 Seiten. 17,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor.
Karl Scharro: Selbstbestimmung for Arabien. In: Novo Argumente Nr. 116, Herbst 2013, S. 157‒163
Kenneth Roth: Syria: What chance to stop the slaughter? In: The New York Review of Books, 21. Nov. 2013, S. 1‒18
Charles Glass: Syria: On the way to genocide? In : The New York Review of Books, 5. Dez. 2013, S. 47‒50

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