Geschrieben am 1. September 2012 von für Bücher, Crimemag

James Sallis: Driver 2

Der Bleifuß-Zarathustra

– James Sallis und sein „Driver“: Diese Erfolgsstory ist einfach schwer zu toppen. „Driver 2“ bietet wieder spannende „On the Road“-Action, einen melancholischen Anti-Helden mit schlagkräftigem Selbsterhaltungstrieb sowie lakonisch abgesonderte Nietzsche-Reflexionen. Von der Mafia angeheuerte Killer sollen Driver ausschalten – ein unwiderstehlicher Noir-Mix vom Feinsten. Peter Münder ist begeistert …

Er will eigentlich nur Gas geben und seine Fahrkünste in Filmszenen demonstrieren, doch dann übernimmt der begnadete Stuntfahrer Driver auch Fluchtfahrer-Jobs für Bankräuber und andere Kriminelle und wird in gefährliche Situationen verwickelt. Als eine Tasche mit 250000 Dollar Mafiageld abhandenkommt  und nicht an die vorgesehenen Empfänger  gerät, sondern beim Driver selbst hängenbleibt, wird es brenzlig für ihn.

Das war die spannende Story des 2006 erschienenen Romans „Drive“, an dessen Erfolg James Sallis, 67, in Phoenix lebender Autor, Kritiker, Musiker und Verfasser einer Biografie („Difficult Lives“, 1993) über Chester Himes, Jim Thompson und William Goodis, eigentlich nie so richtig glaubte.

Dann kam die  grandiose Verfilmung mit dem abgeklärt-somnambulen Ryan Gosling als „Drive“ in die Kinos (Regie: Nicolas W. Refn, Drehbuch: Hossein Amini) und schon war der Driver-Hype zum Kult geworden, und Hollywood wollte von Sallis unbedingt einen Driver Teil 2 haben – jetzt ist er da, nachdem der Meister sich anfangs etwas zierte. Und „Driver 2“ überzeugt  auch wieder: Mit rasanter Action, lakonisch-flapsigen Sentenzen über das Leben und mit düsteren Impressionen aus einem morbiden Ambiente, in dem das Kakerlakenzählen ebenso angebracht ist wie das akribische Ausbaldovern optimaler Fluchtwege. Denn irgendeiner ist immer hinter Driver her, um ihn auszuschalten. Sein Kumpel Felix, „Wüstensturm“-Kriegsveteran mit hübsch tätowierten Messern auf den Armen, bietet ihm Unterschlupf in heruntergekommenen Buden. Und verwickelt ihn in Diskussionen über sogenannte „Letzte Wahrheiten“: „Die Welt ist nie so, wie wir denken“, lautet etwa eine dieser Sentenzen. Hübsch ist auch die profunde Einsicht „Wir sind plötzlich am Leben, flitzen herum wie Kakerlaken, wenn das Licht angeht, und dann gehen die Lichter wieder aus“. Sogar Nietzsche wird bemüht, wenn es um die Suche nach Erkenntnis geht: „Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen“, zitiert ein Westentaschen-Zarathustra. Keine Frage: Driver ist mit seinen 32 Jahren immer noch ein Suchender, der nicht so richtig weiß, wohin die Reise geht. Was ist schon gewiss? Und Sallis präsentiert die verwirrenden Eindrücke, die auf seinen Anti-Helden einströmen, wie ein Anthropologe, der urbane Graffiti als modernes Äquivalent von steinzeitlichen Höhlenmalereien begreift.

Technik

Mindestens so aufregend wie der  Plot ist die Erzähltechnik: Das zeigte Sallis zuletzt  in „Der Killer stirbt“ (Zum Interview von Joachim Feldmann mit James Sallis). Denn mit dem üblichen Aufbröseln eines Kausalnexus, dem genauen Ausleuchten der Motivationsaspekte, dem Überführen eines Täters mit Happy End, läutenden Glocken und klickenden Handschellen hat James Sallis überhaupt nichts am Hut. Und woher und warum ein Killer plötzlich auftaucht, um Driver umzulegen, bleibt auch offen. Sallis liegt das leicht anarchische, experimentierfreudige Zusammenbasteln disparater Segmente  – ungefähr so, wie es Drivers Freund im ersten Band beschrieb, als er sein  innovatives Konzept für ein rasantes Drehbuch  vorstellte: „Virginia Woolf, plus Leichen und heiße Verfolgungsjagden“.

Da Driver auch ein begnadeter Techniker und Tuner ist, kann er sich sein eigenes ideales Fluchtgefährt – einen  gebrauchten Ford Fairlane – optimal frisieren, was ihm nicht nur enormes Selbstvertrauen verleiht. In der Miet-Werkstatt, in der er tagelang unter dem  Motorblock mit sieben Liter Hubraum werkelt, hat der ewige Bastler und Tuner eigentlich seine wahre Heimat gefunden. Übrigens erfahren wir nebenher auch etwas über Drivers Vorgeschichte: Als er elf war, hatte seine Mutter den tobsüchtigen Vater erstochen, dann lebte Driver vorübergehend bei einem fürsorglichen Ehepaar, bevor er Stuntfahrer wurde und untertauchte. Aber dieser biografische Dickens-Realismus  interessiert Sallis überhaupt nicht – es sind die Eckdaten, aus denen er sich den Honig saugt für seine rasante Tour durch Phoenix, über die Highways und in die maroden Apartments mit versifften Kriechtierchen.

Die Tradition …

Dashiell Hammett

Als Chandler- und Hammett-Bewunderer hat sich Sallis einige Aspekte  der behavioristischen Erzähltechnik angeeignet, die Hammett schon im „Malteser Falken“ praktizierte und Chandler in „The High Window“ ausprobierte: Warum jedes banale Detail, jede Situation minutiös beschreiben, erklären, hinterfragen, wenn sich der Leser sowieso seinen Reim darauf machen und wichtige Versatzstücke selbst ergänzen kann? Dieser Mut zur kreativen Lücke soll natürlich auch ein maximierendes Spannungsmoment evozieren. Da bleibt etwa ein bewaffneter Verfolger, der es auf Driver abgesehen hat, in einem Fenster stecken, was Sallis so umreißt: „Driver  sah das Rasiermesser neben dem Waschbecken liegen. Er benutzte es“.

… und Chester Himes

Als James Sallis seine fünfbändige Krimi-Serie um den schwarzen New-Orleans-Kommissar Lew Griffin („Die langbeinige Spinne“ u. a.) begann, hatte er sich so vertieft in die Recherchen für die Biografie über Chester Himes, dass er noch etliche Jahre später empört und erschüttert war, dass man diesen zornigen, hochtalentierten afro-amerikanischen Autor, der  ja erst im Knast (20 Jahre für bewaffneten Raubüberfall, vorzeitig entlassen) Lesen und Schreiben gelernt hatte, über Jahrzehnte so systematisch ausgegrenzt und ignoriert hatte. „Dabei ist er ein eminent wichtiger Autor, aber immer muß ich noch erklären, wer Chester Himes überhaupt war“ erklärte Sallis 2001 in einem „Guardian“-Interview.

Chester Himes

Für Sallis war Himes ein Grenzen sprengender Künstler, ein schwarzer Aufklärer, aber auch der „Vorläufer des Rap“. Irritierend ist allerdings, dass Sallis sich nur marginal mit Himes‘ ätzender Kritik am radikalen amerikanischen Rassismus auseinandersetzte, Himes‘ homosexuelle Facetten völlig ausblendete und die Standardbiografie von Margolis/Fabre nicht zur Kenntnis genommen hatte. Er will einen vergessenen Autor für die Literaturgeschichte retten, betrachtet das Leben und Leiden von Chester Himes aber streckenweise wie einen blassen bibliografischen Beitrag.

Dabei geht es Sallis ja hauptsächlich um den „Mensch in der Revolte“, wie Albert Camus seinen Band 1953 betitelte. Und so ähnlich wie Camus dort die Erzählstruktur der hard-boiled Romane von Chandler und Hammett beschrieb, hat Sallis diese auch in den Driver-Romanen gestaltet: Der Rückzug auf eine sublimierte Innenwelt wird weitgehend ausgeschlossen, weil die brutale gesellschaftliche Realität mit  ihrer Korruption und einem politisch eingefärbten Verbrechertum dies einfach grotesk und abwegig erscheinen ließ. Daher dominieren auch bei Sallis Erzählperspektiven, die auf äußeres Handeln und auf äußere Vorgänge fokussiert sind.

New Frontier

Dass  James Sallis auch den Mythos einer „New Frontier“ beschwört und den zum Killer mutierenden „Lonesome Cowboy“ am Lenkrad am liebsten weiter in den Sonnenuntergang  rasen lassen möchte, wo sich schon die Fata Morgana von Driver/Teil drei andeutet, liegt wohl auch daran, dass hier archaische, existentielle Grundsituationen dramatisiert werden und dieser geniale Crossover-Erzähler gerne mit den faszinierenden Möglichkeiten des Krimi- und Noir-Genres spielt. Herausgekommen ist jedenfalls ein „Noir-Road-Thriller“ vom Feinsten.

Peter Münder

James Sallis: Driver 2 (Driven, 2012). Roman. Deutsch von Jürgen Bürger und Kathrin Bielfeldt. München: Liebeskind  2012. 156 Seiten. 16,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage von James Sallis.

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