Geschrieben am 1. September 2012 von für Bücher, Crimemag

Jakob Arjouni: Bruder Kemal

Kayankaya kehrt zurück

– Jakob Arjounis Kayankaya-Romane waren immer eher etwas für Leute, die „sonst keine Krimis“ lesen, aber sie gehörten immer zum Hintergrundrauschen des Genres. Jetzt kommt ein fünfter Roman, „Bruder Kemal“ – Joachim Feldmann hat ihn in milder Stimmung gelesen …

Alle paar Jahre erfindet Jakob Arjouni einen neuen Fall für Kemal Kayankaya. Seinen ersten Auftritt hatte der türkischstämmige Privatschnüffler aus Frankfurt 1986. Im linken Hamburger Buntbuch Verlag erschien der Kriminalroman „Happy Birthday, Türke“. Der Rezensent, damals selbst noch ein manchmal sehr kritischer junger Mann, bescheinigte dem gerade 22-jährigen Debütanten, er schreibe so bierernst, als hätte er gerade das Genre erfunden, und neige gerade deshalb zu unfreiwilliger Komik. Andere Leser hatten offenbar mehr Spaß mit Kayankaya. Doris Dörrie machte aus „Happy Birthday, Türke“ einen ansehnlichen Film, und Arjouni wechselte zu Diogenes, wo man seit den siebziger Jahren hartnäckig daran arbeitete, der Spannungsliteratur Klassikerstatus zu verschaffen. In dem Zürcher Verlag erschienen bereits damals Autoren wie Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Patricia Highsmith und Ross Macdonald in Ausgaben, die schon äußerlich wenig mit der oft lieblos produzierten Massenware zu tun hatten, die sich bevorzugt in den Regalen des Bahnhofsbuchhandels fand. (Dass sich auch unter all den Ullstein-, Scherz- und Basteikrimis so mancher potentielle Klassiker verbarg, soll hier allerdings nicht verschwiegen werden.)

Überschätzt …

Besseres, als Diogenes-Autor zu werden, hätte Arjouni also gar nicht passieren können. Denn plötzlich interessierte sich auch das Feuilleton für den jungen Kriminalschriftsteller, und damit Kritiker, die sich ansonsten wenig mit dem Genre befassten. Anders nämlich lässt sich das überschwängliche Lob, das Jakob Arjouni nun zuteilwurde, kaum erklären. Seine Kriminalromane gehörten „zum Besten, was in den letzten Jahren in deutscher Sprache in diesem Genre geleistet wurde“, hieß es beispielsweise in der „Neuen Zürcher Zeitung“, und Maxim Biller verstieg sich gar zu der Behauptung, Arjouni schreibe „die besten Großstadtthriller seit Chandler“. Nun ja. Sicherlich sind die Kayankaya-Romane, deren fünfter, „Bruder Kemal“, in diesen Tagen erscheint, ein respektabler Versuch, den hartgesottenen Detektivroman auf deutsche Verhältnisse zu übertragen. Doch den direkten Vergleich mit seinen amerikanischen Vorbildern sollte man Arjouni ersparen. Und damit sind nicht nur die Klassiker, Chandler, Hammett, Macdonald, gemeint. Selbst ein Routinier wie der 2010 verstorbene Robert B. Parker dürfte zu seinen besseren Zeiten unterhaltende Romane dieses Kalibers im Dreimonatsrhythmus produziert haben.

Müde Scherze und heimische Idylle

Gleich zwei Fälle sind es, die Kayankaya in „Bruder Kemal“ unerwartete Probleme bereiten. Zum einen soll er eine verschwundene Sechzehnjährige zu ihrer Mutter zurückbringen. Der andere Auftrag führt den sich gerne proletarisch-rau gebenden Ermittler auf die Frankfurter Buchmesse, um den marokkanischstämmigen Verfasser eines skandalträchtigen Romans vor gewaltbereiten Islamisten zu schützen. Um das Mädchen ausfindig zu machen, braucht Kayankaya nicht lange. Bei der unvermeidlichen Befreiungsaktion aus den Fängen eines als Fotokünstler getarnten Zuhälters allerdings stolpert der Detektiv über die, ebenso unvermeidliche, Leiche. Nicht die des Bösewichts übrigens. Dieser wird mit ein paar gezielten Schlägen außer Gefecht gesetzt und als mutmaßlicher Täter präpariert. Genretypische Komplikationen schließen sich an. Obwohl der Pseudofotograf unter Mordverdacht in U-Haft kommt, traut die Polizei der Sache nicht. Auch sein Onkel, Oberhaupt einer Gruppe fundamentalistischer Muslime, hält ihn für unschuldig. Womit sich übrigens eine Verbindung zu Kayankayas zweitem Auftrag herstellt. Das sollen zumindest die Leser denken. Tatsächlich wird Arjouni diesen Teil des Plots erfunden haben, um eine Reihe müder Scherze über den Literaturbetrieb anbringen zu können. Eine gute Idee war das nicht. Zum Ende hin nimmt der Plot wieder Fahrt auf. Es kommt zum Showdown und zur Entlarvung des wirklichen Täters. Beide Ereignisse haben allerdings nur bedingt miteinander zu tun, denn Kayankaya hat seine eigene Vorstellung von Gerechtigkeit.

So kommt die Welt zwar nicht wieder in Ordnung, die heimische Idylle, die Arjouni seinem Ermittler mit zunehmendem Alter gönnt, aber schon. Und so darf es auch gerne bleiben.

Joachim Feldmann

Jakob Arjouni: Bruder Kemal. Kayankayas fünfter Fall. Roman. Zürich: Diogenes Verlag 2012. 225 Seiten. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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