Geschrieben am 14. Dezember 2011 von für Bücher, Litmag

Haruki Murakami: 1Q84 (Buch 3)

Hey, der ist Japaner

– Als ich die Liste der Neuerscheinungen dieses Jahres durchging, blieb ich an diesem gezifferten Titel hängen. Ich hatte den Autor schon einmal unter den Bestsellern gesehen und konnte das nicht so recht in Einklang bringen mit dem Gemunkel, dass Murakami „hochwertige“ Literatur schreibt. Vielleicht, dachte ich mir, ist das der seltene Mechanismus der Märkte, der sonst nach einer Nobelpreisverleihung greift, nur ohne Nobelpreis. Außerdem: Hey, der ist Japaner.

Ich werde relativ viel zitieren.

Man soll ja immer mit etwas Gutem anfangen, dann das Negative kritisieren und mit einem positiven Aspekt das Gespräch beenden. Hier ist, was ich aufgeschrieben habe:

1. Japan ist ein interessantes Land.

2. Was mich nicht ganz so wütend gemacht hat:

2.1 Die Geschichte und ihr doch etwas alberner Fantasmus. Es gibt zwei verschiedene Welten. Zum einen die „normale Welt“ im Jahre 1984 und zum anderen die fantastische im Jahre 1Q84, von der im fiktiven Buch „Die Puppe aus Luft“ erzählt wird; die aber dann doch relativ real ist.
Probieren Sie das mal, das fasst es:
„» […] Die Puppe aus Luft ist ja kein langer Roman. Geschildert wird darin eine Welt, in der die Little People ein und aus gehen. Die Heldin ist ein zehnjähriges Mädchen, das in einer isolierten Gemeinschaft lebt. Die Little People erscheinen ihr heimlich des Nachts und fertigen eine Puppe aus Luft an. In der Puppe liegt eine Art Klon des Mädchens, und die Beziehung zwischen Mother und Daughter entsteht. Außerdem [das ist kein Witz, das steht hier wirklich, das ist nicht von mir] hat diese Welt zwei Monde. Einen kleinen und einen großen, vielleicht als Symbole für Mother und Daughter […]«“

2.2 Die Erzählmechanismen. Murakami widmet sich pro Kapitel je einem der drei Protagonisten; außer gegen Ende, da geht sein System nicht mehr ganz auf, aber mein Gott. Immer wieder verbindet der Autor 1984 und 1Q84 durch weitere Figuren, Gegenstände oder zurückliegende Handlungen, würzt das Ganze mit ein paar billigen Cliffhangern, sodass so etwas wie Neugier entsteht, herauszufinden, in welcher Welt oder welcher Zeit sich die Figuren befinden.

2.3 Die Figuren. Ushikawa ist ein Allerweltsdetektiv, sein Ziel ist es, Aomame, die mit einem Mord am sogenannten „Leader“ einer Sekte in Verbindung gebracht wird, ausfindig zu machen. Seine Kennzeichen sind viel rauchen, so viel wie sonst nur in RüdhJvdJüadeDuSs (Hyperlink), und Dinge clever kombinieren. Etwas interessanter sind Aomame und Tengo. Aomame hat also diesen „Leader“ umgebracht und versteckt sich vor ihren Verfolgern; außerdem sucht sie Tengo. Tengo hat Sex mit einer Krankenschwester und einen im Koma liegenden Vater. Außerdem war er der Ghostwriter des Buches „Die Puppe aus Luft“. Tengo und Aomame sind füreinander bestimmt, wie man so sagt.

3. Was mich unheimlich wütend gemacht hat:

3.1 Die Sprache. „Little People“, „Mother und Daughter“ oder „Leader“. Was soll das! Das ist so albern! Little People!!! Gott verdammt!

3.1.1 Manche Überschriften. Spannung und Dramatik verspricht Kapitel 5 „Wir kriegen Sie“ oder auch Kapitel 18 mit „Wenn rotes Blut fließt“. Wohingegen absolute Spitzentitel wie „Augen voller Mitgefühl“, „Allein, aber nicht einsam“ oder „Ich lasse deine Hand nie mehr los“ den Leser auf einen äußerst berührenden Abschnitt des Buches einstimmen.

3.1.2 Das Pathos.
„Vielleicht kann ich ihn beim nächsten Mal wirklich erreichen, dachte sie. Sie schloss die Augen und überließ sich der Sehnsucht.“
„Ich bin nichts weiter als eine Maschine, dachte er. Eine leistungsstarke, ausdauernde, gefühllose Maschine.“
„Viel Wissen bringt viel Verantwortung mit sich.“
„Ich bin am Nordpol der Vernunft gelandet, dachte Aomame. Nördlich von hier existiert nichts mehr, nur leeres Chaos.“
Für so einen Mist gibt es keine Entschuldigung.

3.1.3 Die Dialoge.
„»Ich habe immer davon geträumt, so in deinen Armen zu liegen«, flüstert Aomame ihm, in ihrer Bewegung innehaltend, ins Ohr.
»Mit mir zu schlafen?«
»Ja.«
»Die ganze Zeit, seit du zehn warst?«, fragte Tengo.
Aomame lachte. »Nein, ein bisschen älter war ich da schon.«
»Ich habe mir genau das Gleiche vorgestellt.«
»In mir zu sein?«
»Ja«, sagte Tengo.
»Und? Ist es so, wie du es dir vorgestellt hast?«
»Ich kann es noch gar nicht so richtig fassen«, sagte Tengo ehrlich. »Ich habe das Gefühl ich träume.«
[Und sie darauf!!:]
»Aber es ist kein Traum!«
»Es ist fast zu schön, um wahr zu sein.«“
[Das steht genauso in diesem Buch, von dem die FAZ sagt, es sei Murakamis Meisterwerk. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.]

4. In Japan wurde der Filzstift erfunden.

Wissen Sie, vielleicht habe ich das Buch nur falsch eingeschätzt. Dieser Dialog am Ende geht genauso weiter. Ich lachte laut und las die Stelle vielen Menschen vor. Wir alle lachten herzlich und erfreuten uns an diesem albernen Koitus-Dialog. Vielleicht ist es ja eine perfide Satire. Vielleicht aber auch nur schlecht gemacht.

Ich würde nicht so auf dem Buch rumhacken, wenn der Autor nicht ein etablierter alter Mann wäre, der unter anderem den Franz-Kafka- und den Jerusalem-Literatur-Preis erhalten hat. Und eine schlechte Übersetzung scheidet als Entschuldigung auch aus, ich habe von Ursula Gräfe zwei fantastische Übersetzungen von Kenzaboru Oe gelesen. Alles makellos. Ruhm und Ehre. Ich denke, dass Murakami gerne Oe wäre. Und wahrscheinlich hat er sogar mehr Bücher als sein Vorbild verkauft, doch den Nobelpreis wird Murakami, anders als Oe, nicht gewinnen. Das muss er auch nicht, für die Bestsellerlisten reicht es auch so.

J.S. Gosze

Haruki Murakami: 1Q84. Buch 3 (1Q84, Book 3, 2009). Aus dem Japanischen übersetzt von Ursula Gräfe. Dumont 2011. 578 Seiten. 24,00 Euro.

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