Geschrieben am 28. September 2011 von für Bücher, Litmag

Hammerbacher/Ziegler (Hg.): Korrespondenzen. Die ersten 10 Jahre. Zugaben

Darin ist ganz viel Poesie

– Zugabe, wird gerufen, Zugabe! Es wird gejubelt und geklatscht: Zugabe! Zugabe! Also kommen die Künstler noch einmal auf die Bühne und zeigen, was sie können. Von Senta Wagner

„Wir feiern. Riskant und radikal, wie immer.“ Mit diesen Worten lädt Verleger Reto Ziegler zur zehnjährigen Jubiläumsfeier des Wiener Verlags Edition Korrespondenzen. Und zur Präsentation einer aus diesem Anlass herausgegebenen poetischen Anthologie, die sich im Untertitel „Zugaben“ nennt. Sie wurde vergangene Woche am 22. September genau an dem Ort vorgestellt, wo im Frühjahr 2001 die erste Buchpräsentation der Edition stattfand, wahrscheinlich noch mit weniger Gästen und Häppchen. Es wird also von zehn Jahren anhaltenden Jubels und Händeklatschens eines interessierten Lesepublikums und einer Kritik ausgegangen, denen nun neben den Autoren und Autorinnen sowie Förderern dieses Geschenk gemacht wird. Die inzwischen auf über achtzig Titel angewachsene Buchreihe mit anspruchsvoller europäischer Literatur und Übersetzungen spricht für sich. Zugleich enthält der Titel der Jubiläumsschrift ein Versprechen und die Motivation, den nächsten Zehnjahresschritt zu tun. Gewagt und idealistisch ist der ja immer noch.

Blick in Dichterarchive

Ein Geschenk ist schön und schillernd verpackt – die vollendete Buchgestaltung ist ein weiteres Markenzeichen der strebsamen Edition. Nun sind die „Zugaben“ innen drin eine Fundgrube leer geräumter Dichterarchive. Sie sind nicht, wie das Typoskript von Ilse Aichinger auf dem Cover vermuten ließe, Beiträge, die sich ums Schreiben und Streichen als kreative Momente der Textgenese drehen. Aichingers beherzt durchgestrichenes, durchgeixtes und überschriebenes Gedicht „Pfandleihe“ findet sich in der Druckfassung zu Beginn des Bandes. Die Trouvaille ist das Ergebnis einer glücklichen Wühlarbeit in dem „Vorlass“ der Dichterin, das Gedicht (vermutlich von 1983) war bis dahin nicht bekannt. Mehr als die Hälfte der männlichen und weiblichen Korrespondenzenautoren und -übersetzer hat daraufhin auf Wunsch der Herausgeber, des Verlagsgründers Franz Hammerbacher und des Verlegers Reto Ziegler, ebenfalls gewühlt und vielfältiges, nicht veröffentlichtes Material aus dem „Entstehungszusammenhang ihrer Korrespondenzen-Bücher“ beigesteuert. Das geht über das reine Streichen und Verwerfen im Schreibprozess hinaus. Es sind viele berückend schöne Gedichte dabei, auch in Übersetzungen aus den Sprachen unserer südosteuropäischen Nachbarn, Notizen, Vorgedachtes, Bilder, Poetologien, Varianten für Prosaschlüsse. Jetzt darf das Material atmen. Das Projekt der Edition Korrespondenzen, verstanden als Dialog mittel- und südosteuropäischer Literatur, entfaltet auch hier seine Wirkung (ein Porträt des Verlags finden Sie hier). Der Entstehungszusammenhang wird im Vorwort nur für manche Beiträge knapp erläutert, für die Gedichte am wenigsten – verzeihlich, Lyrik funktioniert für sich und sie ist besonders lesenswert. Dazu sei die feurige Zugabe von Dragana Mladenović erwähnt, die mit ihrem serbisch-deutschen Gedichtband „Verwandtschaft“ zu den diesjährigen Verlagsneuheiten zählt, in dem sie die Folgen von Krieg und Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien poetisch beleuchtet.

Ziegler mit Buch

Donauwalzer und Listen

Für den Festabend selbst konnten als Lesende der tschechische Dichter Petr Borkovec, Anja Utler, Zsuzsanna Gahse und Margret Kreidl gewonnen werden. Die Lyrik von Borkovec ist Hammerbachers persönlicher coup de foudre, mit seiner bildmächtigen Stimme ist er der Autor der ersten Stunde der Verlagsgründung geworden („Feldarbeit“, 2001). Als Zugabe zur Zugabe „Sonagramm“ liest er aus bereits veröffentlichten Bänden vor. Die Texte erscheinen gleichwertig, die verlegerischen Gründe eines Für und Wider für eine Veröffentlichung sind schließlich mannigfaltig. Und die müssen die Lesenden ja auch nicht kennen. Die Poesie aus den Archiven und Schreibwerkstätten der Dichter und Dichterinnen hat sich gleichsam aus dem Hinterhalt ins gedruckte Buch geschlichen.

Beeindruckend ist die fummelige Silbenzählerei, der sich Zsuzsanna Gahse gebeugt hat, um eine neue Versform zu finden. In dem 2010 erschienenen Werk „Donauwürfel“ umschwärmt sie die Donau in flüssigen zehnzeiligen Zehnsilbern, die jeweils ein praktisches Quadrat ergeben (und zehn praktische Quadrate ergeben je einen Würfel). In den „Zugaben“ beginnt sie die Sache mit neunzeiligen Neunsilbern, was dann aber doch zu sehr nach Walzer geklungen habe. Auch Anja Utler und Margret Kreidl lesen als Zugabe zu ihren Zugaben aus schon veröffentlichten Werken, als ob sich dabei alle etwas wohler fühlten. Die Frau mit den Listen hat es mir angetan. Margret Kreidl verfasst Listen (etwa über Gesicht, Hand, Fuß) und verknüpft diese spielerisch mit Reim. Die Liste ist mehr als die Einkaufliste, sie vermisst ein bisschen die Welt und schafft Ordnung, und eine Liste ist nie fertig. DieZugaben“ sind ein feines, unkonventionelles Geschenk. Danke und herzlichen Glückwunsch!

Senta Wagner

Franz Hammerbacher/Reto Ziegler: Korrespondenzen. Die ersten 10 Jahre. Zugaben. Wien: Edition Korrespondenzen 2011. 170 Seiten. 5,00 Euro.

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