Geschrieben am 7. September 2013 von für Bücher, Crimemag, Kolumnen und Themen

George R. R. Martin: Planetenwanderer

Planetenwanderer_geroge_rr_martinArche Noah in einer weit, weit entfernten Galaxis

– George R. R. Martin ist zurzeit als Autor der Vorlage zu „Game of Thrones“ in aller Munde. Aber er kann auch weniger episch. Elly Bösl hat den frühen Episodenroman „Planetenwanderer“ gefunden und sich gut unterhalten.

Irgendwann in ferner Zukunft: Die Menschheit hat sich über das All ausgebreitet, Planeten kolonisiert und sich zum Teil stark verändert. Es gab Begegnungen mit Aliens, die nicht immer konfliktfrei abliefen, und ein Imperium, das vor Jahrtausenden in einem Krieg vernichtet wurde. Haviland Tuf ist ein intergalaktischer Händler, der sich von einer Gruppe Wissenschaftler anheuern lässt, sie mit seinem Raumschiff Füllhorn der Exzellenten Güter und Niedrigen Preise zum sogenannten Seuchenstern zu bringen. Die Forscher haben die Theorie, dass es sich bei der mysteriösen Macht, die in regelmäßigen Abständen beinahe die gesamte Bevölkerung eines Planeten mit schrecklichen Krankheiten überzieht und dafür sorgt, dass die Bewohner fast ausgerottet werden, in Wirklichkeit um ein Relikt aus der Zeit des Imperiums handelt: Ein sogenanntes Saatgutschiff, ein riesiger Raumer, in dessen Cryotanks unzählige Genome, Klone und die biologischen Daten von Tausenden von Lebewesen, Bakterien und Viren aus der gesamten Galaxis beinhaltet. Die Mission zeigt: Die Wissenschaftler hatten recht, und jetzt halten sie einen Schatz in Händen, der unvorstellbare Macht verleiht, das Universum retten könnte – oder komplett vernichten.

So viel Machthunger treibt die Forscher dazu, sich gegenseitig zu bekriegen, und am Ende ist nur noch einer übrig: Der undurchsichtige Haviland Tuf, der das Saatgutschiff, die Arche, in seine Gewalt bringt. Zudem wurde beim Kampf eine seiner Katzen getötet, weswegen sich der findige Händler umgehend daran macht, sie mittels Klonen wieder ins Leben zu rufen. So ein Riesenschiff ist außerdem nicht leicht zu beherrschen, zwischen den einzelnen Kommandostationen müssen mitunter Kilometer zurückgelegt werden, und überhaupt ist die Arche in schlechtem Zustand – nächste Station ist also S’uthlam, die Heimat vieler, vieler, wirklich sehr vieler Menschenabkömmlinge, die sich genau auf zwei Dinge verstehen: Fortpflanzung und Technik. Das kostet natürlich Geld, das sich der frischgebackene Öko-Ingenieur Tuf erst einmal in den Weiten der Galaxis verdienen muss. Und schnell ist klar: Jeder will die Arche haben – egal, zu welchem Preis!

Nicht episch, episodisch!

Vorneweg gleich ein Hinweis für alle „Game of Thrones“-Fans: Nein, „Planetenwanderer“ ist NICHT episch. Es ist ein Episodenroman, dem einzig Tufs Versuch, den Planeten S’uthlam zu retten und zugleich sein Schiff vor den korrupten Politikern zu schützen, etwas wie ein durchgehendes Skelett gibt. Drachen kommen auch keine vor, dafür aber ein Tyrannosaurus Rex. Wer also eine Ice-and-Fire-im-Weltraum-Space-Opera erwartet, wird mit Sicherheit bitter enttäuscht. Wer allerdings kurzweilige Geschichten mit skurrilen Figuren lesen möchte, ist hier an der richtigen Adresse.

Jack Vance

Jack Vance

Wer sich die bibliografischen Daten näher anschaut, stellt schnell fest, dass das englische Original, „Tuf Voyaging“, bereits 1986 erschienen ist. Sicher, im Kielwasser seiner historischen Romane mit Drachen wird jetzt bestimmt noch einiges übersetzt, was bislang nur auf Englisch zu haben war. An sich nicht schlecht, gehöre ich doch zu den Menschen, die mit dem Namen George R. R. Martin primär SF-Kurzgeschichten verbinden. Und genau das hat man hier in der Hand: eine Sammlung von Kurzgeschichten, bei der drei davon, die sich mit S’uthlam befassen, einen gewissen Rahmen schaffen. Erschienen sind sie im Original bereits viel früher, genauer ab 1976. Kein Vorwurf an den Verlag hier also, und die Übersetzung lässt auch keine Wünsche offen. Ebenso wenig der Inhalt: George R. R. Martin erfindet das Genre nicht neu, kann es aber so weit gut bedienen. Das Ergebnis ist ein netter Episodenroman, den man nebenbei gut lesen kann. Und bei dem aus jeder Zeile die deutliche Liebe zu Jack Vance und seinen einzigartigen Figuren durchschimmert.

Ketzer und andere Typen …

Erzählt wird, wie gesagt, in Episoden verschiedene Begebenheiten aus Haviland Tufs Leben als Öko-Ingenieur, beginnend damit, wie er an die Arche kam. Roter Faden ist der Planet S’uthlam, wo Tuf einerseits für irrsinnig viel Geld sein Schiff reparieren lässt, dessen Bewohner, allen voran die s’uthlamesische Hafenmeisterin Tolly Mune, Tuf andererseits permanent die Arche abluchsen möchten. Zudem hat S’uthlam vor allem ein Problem: Die Bewohner vermehren sich unkontrolliert, angetrieben von einem religiösen System, einer Art Kirche des Lebens, das alles verbietet, was dem Leben schaden könnte. Der Planet kann seine Bewohner schon lange nicht mehr ernähren, doch ein Geflecht aus politischen und religiösen Lügen verhindert, dass die Bevölkerung das erfährt.

Geburtenkontrolle einführen? Ketzerei! Doch auch in dieser prekären Lage weiß Tuf sich überaus erfolgreich seiner Haut zu erwehren und kann immer auch das Beste für S’uthlam herausschlagen, Gerissen, aber gerecht. Und immer wieder zieht Tuf los, um anderen Planten zu helfen und nebenbei das Geld für die Reparaturen aufzutreiben. Religion ist, neben der Ökologie, das zentrale Thema, erkennbar schon von weitem durch die einzelnen Titel („Brot und Fische“ etwa oder die Speisungen). Alte Motive werden hier in eine fremde Galaxis importiert, Querverweise, die immer wieder schmunzeln lassen oder nachdenklich machen.

Was gewohnt gut gelingt, sind vor allem die Figuren. Haviland Tuf, der Protagonist, aber nicht immer der Erzähler, ist ein völlig skurriler Typ, schräg gekleidet, der es immer wieder schafft, selbst aus den vertracktesten Situationen zu entkommen, indem er seine Gegner gegeneinander ausspielt. Selbst wenn aus seiner Perspektive erzählt wird, bleibt er dennoch vollkommen opak und ist in der Regel so reduziert, dass er keinerlei Identifikationsfläche bieten kann und den Leser vollkommen auf sich selbst zurückwirft. Man lernt dann nach und nach, diesen Charakter zu deuten, auch wenn Martin es immer wieder versteht, den Leser hinters Licht zu führen, indem er Tuf aus den unterschiedlichsten Motiven Dinge tun lässt, die überhaupt nicht ins Bild passen – etwa, wenn er den Monsterzüchtern auf Lyronica Bestien züchtet, die dann in Grubenkämpfen verheizt werden. Dass dahinter ein ganz anderer, wesentlich genialerer Plan steckt, kristallisiert sich erst gegen Ende heraus, zuvor fühlt man sich ausgetrickst.

Seine Gegenspielerin Tolly Mune von S’uthlam, die er jedes Mal in einer scheinbar ausweglosen Situation zurücklässt, ist ihm ein würdiger Gegner: Immer wieder über die gesamten 500 Seiten hinweg scheinen die beiden eine Partie Schach gegeneinander zu spielen, tricksen sich aus, hauen sich übers Ohr und müssen am Ende doch immer widerwillig zusammenarbeiten, um eine Katastrophe abzuwenden. Sie ist alles, was er nicht ist, und rundum gelungen als schillerndes Gegenstück zu Tuf. Von den Duellen dieser beiden Figuren lebt der Roman, von den Episoden dazwischen lernt man einiges über den Charakter Tufs, trifft auf eine Reihe seltsame Probleme, Planeten und deren Bewohner – Space Opera, gewürzt mit einer Prise Humor.

„Planetenwanderer“ ist vor allem eins: unterhaltsam. Nicht die oberste Liga des Genres, aber unterhaltsam und jedem zu empfehlen, der nach leichter Lektüre für zwischendurch sucht.

Elly Bösl

George R. R. Martin: Planetenwanderer (Tuf Voyaging, 1986). Roman. Deutsch von Berit Neumann. München: Wilhelm Heyne Verlag 2013. 511 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch. Zur Homepage des Autors. Mehr zu Elly Bösl: hier.

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