Geschrieben am 5. Dezember 2017 von für Bücher, Litmag

Emilio Lussu: Ein Jahr auf der Hochebene

 

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Wie Kain und Abel

Die iatlienische Seite des Dolomitenkrieges – Alf Mayer über Emilio Lussus Klassiker „Ein Jahr auf der Hochebene“.

Der Folio-Verlag hat ihn jetzt wieder in einer gediegen schönen Ausgabe zugänglich gemacht, den Klassiker der italienischen Antikriegsliteratur, ergänzt um ein sehr interessantes und informatives Nachwort und eine bebilderte Biografie. Emilio Lussus „Ein Jahr auf der Hochebene“ wurde 1970 von Francesco Rosi mit Gian Maria Volonté als „Bataillon der Verloren“ (Uomini contro) verfilmt, in der Klarheit der darin inszenierten Klassengegensätze war es das marxistische Gegenstück zu Kubricks „Wege zum Ruhm“ (Paths of Glory): die Militärhierarchie als Spiegel gesellschaftlicher Machtverhältnisse.

hochebene lussuDer Sarde Emilio Lussu war 1916/17  junger Offizier bei der „Brigata Sassari“ auf der italienischen Seite der Dolomitenfront. Das „Jahr auf der Hochebene“, 1938 im Exil in Paris erstmals veröffentlicht, ist der ungeschminkte, lakonisch und ungekünstelt vorgetragene Bericht eines Kriegsjahres, frei von Pathos und Sentimentalität, schroff und hart wie die Landschaft, in dem sich das alles abspielt. Den Stellungskrieg des Ersten Weltkrieges gab es nicht nur auf den Kraterfeldern Flanderns sondern auch in der Senkrechten, mitten im Gebirge. Gekämpft wurde am und im Berg, Stollen untergruben Stollen. Von 1915 bis 1918 gingen sich die Gebirgstruppen Italiens und Österreich-Ungarns in den Steilwänden der Dolomiten im Kampf um ein paar Felsbrocken und Felshöhen, die kaum jemand betrat und niemandem von Nutze waren, buchstäblich an die Kehle. Wie bei Kain und Abel war es oft ein Felsbrocken, mit dem man im Nahkampf am Berg den Gegner erschlug.  Alleine an „Isonzo-Schlachten“ zählte man deren zwölf.

nolit uominicontro-aDas Gehirn glucksen hören wie in einer Flasche …

„Jede Handbreit Boden erinnerte uns an ein Gefecht oder an die Gräber gefallener Kameraden. Wir hatten Schützengräben, Schützengräben und wieder Schützengräben erobert“, heißt es bei Lussu schon auf der ersten Seite. Das Buch ist Roman, Tagebuch und Tatsachenbericht, unterlegt von einer feinen Ironie. „Es lebe der König“ kann das Regiment gemeinsam „brüllen, als wäre es eine einzige Silbe“. Die Augen eines scheinbar absolut kaltblütigen Generals „rotieren schwindelerregend, sie glichen den Rädern eines rasenden Autos“. Ein Griechisch-Professor und Kamerad berichtet von der Angst wahnsinnig zu werden. Auch Lussu fühlt, wie die Wogen des Wahnsinns sich nähern. Er glaubt, „das Gehirn in der Schädelhöhle glucksen zu hören wie das Wasser in einer Flasche, die man schüttelt“. Es gibt irre Episoden – am berühmtesten wohl die mit dem General, der sich ins feindliche Feuer stellt und seine Soldaten auffordert, es ihm nach zu tun. Es gibt „Geschehnisse, die man noch auf dem Sterbebett vor Augen haben wird“.
altopiano lussu

Lussu (1890 – 1975) war ein Literat wider Willen, das Exil zwang ihn zum publizistischen Broterwerb. Er war Politiker, ein Freund Antonio Gramscis, revolutionärer Sozialist, Mitbegründer der GL, der Bewegung Giustizia e Libertà, er war ins Exil verbannt, 1946 dann Minister der ersten Nachkriegsregierung, bis 1968 blieb er Senator. Ein Linkssozialist. Über weite Strecken ist seine Biografie die Geschichte des italienischen und europäischen Antifaschismus. Sein „Jahr auf der Hochebene“ hat als deutschsprachige Entsprechung jene Teile aus „Die Letzen Tagen der Menschheit“ von Karl Kraus, die Uwe Nettelbeck uns als „Dolomitenkrieg“ eingerichtet hat (CulturMag-Besprechung hier). 

Emilio Lussu: Ein Jahr auf der Hochebene (Un anno sull’altipiano, 1938, US-Titel: Sardinian Brigade). Aus dem Italienischen und mit einem Nachwort von Claus Gatterer. Mit einer ausführlichen Biografie. 1968 im Wiener Volksbuchverlag erstmals auf Deutsch erschienen. Roman, Halbleinen. Folio Verlag, Wien und Bozen 2017. 256 Seiten, 24 Euro. Verlagsinformationen.

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