Geschrieben am 15. September 2016 von für Bücher, Crimemag

Drei Romane: Sonja Hartl vergleicht: Girls-Girls-Girls

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Drei Bücher sind in diesem Jahr erschienen, die „Girls“ im Titel tragen. Sie erzählen von Mädchen, die mit Gewalt in Kontakt kommen, von ihrem Umgang mit und den Auswirkungen dieser Erfahrung. Dabei verbindet Emma Clines „Girls“, Rebecca Thorntons „The Girls“ und Chevy Stevens „Those Girls“, dass es auch um die Beziehung der zwischen 14- und 17-jährigen Mädchen zueinander geht – und stets ein Dreiecksverbund eine Rolle spielt. – Von Sonja Hartl.

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In Emma Clines „Girls“ sind die Mädchen schon im ersten Satz präsent: „Dass ich aufsah, lag am dem Gelächter, dass ich weiter hinsah, an den Mädchen.“ Denn diese drei Mädchen, die die Erzählerin Evie Boyd 1969 in der Nähe von Los Angeles erblickt, waren anders als alle Mädchen, die die 14-Jährige damals kannte. Sie hatten Haare, „lang und ungekämmt“, trugen Schmuck, und „schienen über allem zu schweben, was um sie herum geschah, tragisch und abgehoben. Wie Fürstinnen im Exil“. Diese Mädchen wurden gesehen, sie wurden wahrgenommen und genau danach sehnt sich Evie, die seit der Scheidung ihrer Eltern bei ihrer Mutter wohnt. Schon bald wird sie die Mädchen kennenlernen und insbesondere zu Suzanne eine Bindung aufbauen. Sie wird sie besuchen, auf einer Ranch in den Hügeln, auf der sie mit anderen Menschen in einer Kommune leben und sich um Russell scharen; sie wird alles versuchen, auch dazuzugehören – nicht wegen Russell, sondern wegen Suzanne und der Leichtigkeit, mit der sie durchs Leben zu gehen scheint, wegen der Nähe zu diesen Mädchen.

Es folgt nun eine überwiegend von der erwachsenen Evie im Rückblick erzählte Geschichte, die sich an den Kult um Charles Manson anlehnt und mit deutlichen Verweisen arbeitet – beispielsweise ist Suzanne erkennbar an Susan Atkins angelehnt. Jedoch spart Emma Cline die Bösartigkeit Mansons in Russell aus – beispielsweise misshandelt und demütigt er die Frauen und Mädchen nicht vor allen anderen –, die gewalttätigen Abgründe bleiben aber durch die Verweise allzu präsent, so dass der Sprache und dem Erzählstil bei allen poetisch schönen Sätze letztlich (und gerade im Vergleich zu bspw. Madison Smartt Bells „Die Farbe der Nacht“) die Radikalität, ja, der Schmutz fehlen. Emma Cline will, dass ihre Protagonistin am Rand bleibt, aber sie will auf das schillernde, abstoßend-faszinierende und aufmerksamkeitserregende Zentrum der Extreme nicht verzichten – und diese Entscheidung erweist sich in diesem fraglos bemerkenswerten Debüt zunehmend als erzählerisches Problem, dessen Folgen sich insbesondere in der Erzählgegenwart zeigen. So wird die 14-jährige Evie zum Oralverkehr und Geschlechtsverkehr „überredet“. Erscheint diese Wahrnehmung aus der Perspektive einer 14-Jährigen noch verständlich, stellt sich schon die Frage, warum einer erwachsenen Frau beim retrospektiven Erzählen nicht auffällt, was ihr dort geschehen ist.

„The Girls“ ist daher insbesondere in den Momenten gut, in denen sich Cline auf die Wahrnehmung der Welt durch ein heranwachsendes Mädchen konzentriert. Hier findet man einfühlsame und originelle Sätze, mit der die Gefühls- und Erfahrungswelten eines Teenagers deutlich werden. Erst spät klingt zudem eine gesellschaftliche Deutungsmöglichkeit an: Evie hat – wie später auch die Medien – „die Mädchen“ mythisch überhöht. Bei ihr ist es Ausdruck einer Sehnsucht, bei den Medien des Unverständnisses, das „Mädchen“ – besser gesagt: Frauen – Gewalttaten begehen, ja, eine Mutter und ihr kleines Kind töten, grundlos. Doch Evie ahnt die Wut, die hinter diesen Taten steckt, sie spürt sie selbst, wenn sie mal wieder sexualisiert oder bevormundet wird.

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Die Gemeinschaft von Mädchen bestimmt auch das Leben der Erzählerin von Rebecca Thorntons „The Girls“. Im Jahr 2014 ist die Mitte 30-jährige Josephine Grey als Archäologin bei Ausgrabungen in Jordanien, als sie plötzlich eine Mail von ihrer ehemaligen besten Freundin Freya Seymour erhält, die sie besuchen möchte, um mit ihr zu reden. In kapitelweisen Wechseln zwischen der Erzählgegenwart und der Erinnerung an die Ereignisse 1996 zeigt Rebecca Thornton nun, welche Auswirkungen Erwartungsdruck auf junge Mädchen haben kann. Josephine ist von Kindesbeinen an bestrebt, alles unter Kontrolle zu haben und alle Erwartungen zu erfüllen, sie ignoriert die Folgen für ihr Leben und ihre Psyche. Sie beneidet ihre Freundin Freya um deren Freiheit, deren Lebenslust, aber ihr Bestreben, bloß kein Risiko einzugehen, verhindert, dass sie ebenso durchs Leben geht. Als sie nun zur Schulsprecherin gewählt wird, ist sie ihrem Ziel, nach Oxford zu gehen und alle zu beeindrucken, einen entscheidenden Schritt näher gekommen. Doch die Ereignisse einer Nacht, an die sie sich nicht erinnern kann, bringen ihre Freundschaft mit Freya und damit ihr Fundament ins Wanken.

Rebecca Thornton bedient sich des typischen Handlungsortes eines Elite-Mädcheninternats, um von Teenagern zu erzählen, die ihren Weg finden müssen. Als Figuren wählt sie indes nicht eine Außenseiterin, sondern die leistungsstarke Anführerin sowie deren beliebte Freundin. Leider ist das „große Geheimnis“ jener Nacht, das erst am Ende des Romans preisgegeben wird, sofort zu erahnen, auch bleibt durch die Beschränkung auf Josephines Perspektive sowie eine überfrachtete, überlange Gegenwartshandlung jegliche Spannung auf der Strecke und das Interesse klein. Insbesondere im ersten Drittel des Buchs gibt es zu viele Beispiele dafür, wie Josephine in der Gegenwart die Menschen auf Distanz erhält, zu viele Erwähnungen, dass sie ja nichts über sich preisgeben würde, und in der Vergangenheit zu viele Verweise auf den Druck, den sie sich auferlegt, die Hürden, die sie zu meistern hat. Hier wäre es besser gewesen, entweder auch Freya eine Perspektive zu geben – oder auf alternierende Kapitel zu verzichten und eine lange Rückblende einzuflechten. Denn grundsätzlich bietet die Anlage der Geschichte eine gute Ausgangsbasis für einen spannenden Roman.

Auch „The Girls“ von Rebecca Thornton ist in den Passagen besser, in denen es um die Welt der Heranwachsenden geht. Leider verhindert aber die Struktur des Romans eine größere Empathie, eine differenzierte Abhandlung des Erwartungs- und Gefalldrucks, die auf den Mädchen lasten, und sie verharmlost letztlich auch das Ausmaß der Taten der Mädchen, die über die üblichen Eifersüchteleien unter Teenager weiter hinausgehen.

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Viel zu lang ist „Those Girls“ von Chevy Stevens geworden, das einen konventionell unterhaltsamen ersten Teil und zwei sehr schwache folgende Teile hat. Im Mittelpunkt stehen die drei Schwestern Jess, Courtney und Dani, 14, 16 und 17 Jahre alt. Seit ihre Mutter tot ist, leben sie allein mit ihrem Vater auf einer Farm in Kanada und schlagen sich irgendwie durch. Ihr Vater trinkt, ist gewalttätig und die drei Mädchen haben im Grunde genommen nur sich. Dann eskaliert eines Abends ein Übergriff des Vaters, sie töten ihn und fliehen in Richtung Vancouver. Als ihr Wagen lieben bleibt, lassen sie sich von zwei Jungs helfen und werden von ihnen festgehalten und vergewaltigt, bis ihnen eines Tages die Flucht gelingt. Damit ist der Roman aber erst an der Hälfte angekommen. Denn: die Vergangenheit lässt sich nicht abschütteln – und fortan behandelt Chevy Stevens die Folgen dieser Taten, ohne sie jemals psychologisch aufzuarbeiten. Vielmehr klingt immer wieder ein Konservatismus durch, der sich insbesondere an der sexuell aktiven Courtney zeigt. Ihr Vater misshandelt sie, weil sie eine Affäre mit einem verheirateten Mann hat, indem er ihr eine heiße Pfanne ins Gesicht drückt, ihre „Verfehlung“ also für jeden sichtbar anprangert. Ihre Schwestern helfen ihr, aber eine weitere Strafe erhält sie bei der Entführung, als sie ihre kleine Schwester beschützen will. Sie wird diese Erlebnisse niemals verarbeiten und ihre Nichte abermals in Gefahr bringen. Ein Weg, sich selbst zu befreien, oder nur Frieden zu finden, ist ihr nicht vergönnt.

Abgesehen von der Handlung, die für über 400 Seiten zu schwach ist, werden zu viele Details erwähnt, durch die Widersprüche nicht ausbleiben – sowohl in konkreten Taten wie der Flucht als auch in dem Verhalten der drei Mädchen und psychopathischen Jungs. Es bleibt schlichtweg ein Rätsel, wie die drei Mädchen einer weitaus gefährlicheren Situation entkommen und dann auf die Jungs hereinfallen können – und wie sich Handschellen plötzlich von alleine öffnen. Nach der ersten Flucht wird dann vor allem versucht, Spannung mit Wiederholung zu erzeugen. Die grundsätzlich interessanten Themen werden indes höchstens angedeutet: wie es nicht nur für Mutter, sondern auch die Tanten ist, mit einem Kind zu leben, das in einer Vergewaltigung gezeugt wurde; oder wie die Täter mit ihrem Leben weitermachen, ihre Tarnung aufrechterhalten und worauf sich ihre Stellung in dem Ort begründet – um nur einige Beispiele zu nennen.

Obwohl die drei Bücher stilistisch sehr unterschiedlich sind, fällt zum einen auf, das stets eine Ich-Perspektive gewählt wird, um von den Erfahrungen zu erzählen, und zum anderen, dass eine Verarbeitung der Gewalterfahrung kaum erfolgt. Bei Chevy Stevens gibt es nur Rache und Tod, bei Rebecca Thornton immerhin eine Therapie für die Probleme, die die Protagonistin aufgrund ihrer psychisch kranken Mutter hat, die Gewalt der einen Nacht wird in einem Gespräch gelöst. Bei Emma Cline zeigen sich die Folgen der Extreme und der Gewalt lediglich in einer Ziellosigkeit der erwachsenen Evie. Ohnehin versuchen nur Chevy Stevens „Girls“ aufzubegehren, aber das führt in eine Wiederholung der ausgeübten und erlebten Gewalt. Stattdessen durchzieht alle drei Bücher eine mehr oder minder ausgeprägte Passivität – so als ginge es darum, die Ereignisse und damit auch das Leben schlichtweg auszuhalten.

Sonja Hartl

Emma Cline: The Girls. Übersetzt von Nikolaus Stingl. Hanser 2016. 352 Seiten. 22 Euro.

Rebecca Thornton: The Girls. Übersetzt von Tobias Schumacher-Hernández. Rowohlt 2016. 416 Seiten. 9,99 Euro.

Chevy Stevens: Those Girls. Was Dich nicht tötet. Übersetzt von Maria Poets. Fischer Taschenbuch 2016. 464 Seiten. 9,99 Euro.

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