Geschrieben am 17. August 2011 von für Bücher, Litmag

Charlotte Roche: Schoßgebete

Roches Debüt „Feuchtgebiete“ hat CULTurMAGs Tina Manske gut gefallen (zur Rezension), da sind wir natürlich gespannt auf den Nachfolger. Christina Mohr checkt für uns den Hype – und findet ein erstaunlich ernsthaftes Buch.

Fuck the Pain Away

– Charlotte Roches zweiter Roman „Schoßgebete“ ist ein Missverständnis, bzw. ein Buch, das Missverständnissen Tür und Tor öffnet. Das fängt schon beim Titel an: Die schlüpfrige Zweitbedeutung der „Feuchtgebiete“ erschloss sich erst beim Lesen. „Schoßgebete“ dagegen kalauert in your face und das auch nur mittelwitzig. Der Text dazu ist kein bisschen witzig, was „Schoßgebete“ umso unpassender dastehen lässt.

Roche beginnt zwar ohne Umschweife mit einer drastischen, expliziten Sexsituation im Hause ihrer Heldin, es wird jedoch schnell klar, dass hier nichts lustig oder besonders erotisch ist. Auch die Fäkalpoesie der „Feuchtgebiete“ findet sich in „Schoßgebiete“ kaum, abgesehen vom konstruiert und obligat anmutenden Fadenwurmbefall Elizabeths und ihrer Tochter, anlässlich dessen man kurz Einblick in diverse Polöcher erhält.

Roches Elizabeth ist neurotisch, paranoid, regelrecht „geistesgestört“, ein Wort, das in „Schoßgebete“ häufig vorkommt. Das biografische Paket, das Elizabeth zu tragen hat, ist kaum zu schultern und man empfindet die Last in aller Schwere mit, weil man bei „Schoßgebete“ quasi automatisch tut, was man laut Germanistikseminar bei keinem Roman machen darf: die AutorIn mit dem Erzähler-Ich gleichzusetzen.

Charlotte Roche verschweigt nicht, dass „Schoßgebete“ ihre eigene, psychotherapeutisch gefilterte Lebensgeschichte ist, inklusive quälend minutiös erzählter Familientragödie, die man nur mit Lesepausen überstehen kann. Roches Elizabeth ist bei aller „Geistesgestörtheit“ bis in die kleinste Faser selbstreflexiv, sie kann jede ihrer Handlungen aus ihrer besonderen Vergangenheit heraus definieren und erklären, sei sie noch so paradox und unverständlich. Ein Therapie-Profi eben, die sich ohne ihre Therapeutin schon „zwanzigmal umgebracht hätte, wobei einmal ja völlig ausreicht, wenn man es richtig macht“. Elizabeth sehnt den Tag herbei, an dem ihre Tochter alt genug ist, um für sich selbst sorgen zu können, damit sie (Elizabeth) sich endlich umbringen kann.

Durch Spießigkeit in die stabile Seitenlage

Wer jetzt noch einen saftigen Sexroman erwartet, ist wahrscheinlich so gestört wie Elizabeth selbst. Denn klar, es geht um Sex, in Elizabeths Kopf sogar die ganze Zeit (auf den Buchseiten hingegen nicht!). Aber: „Meine Angsterregung ist nur durch Sexerregung zu überlagern“, weiß Elizabeth von ihrer Therapeutin. Fuck the Pain Away. Elizabeth versucht, ihr Leben durch dezidierte Spießigkeit in die stabile Seitenlage zu bringen: Gute Manieren am Esstisch sind oberstes Gebot, ebenso wichtig sind korrekte Mülltrennung, Biowaschmittel und -essen, das Einteilen der Menschen und ihrer Handlungen in gut und böse.

Grund für Elizabeths Sehnsucht nach Halt und Konstanz ist – natürlich, möchte man anfügen – die Rastlosigkeit ihrer Mutter, die von ihren fünf Kindern mit ungezählten Partnerschaften und Umzügen viel zu viel verlangte. Die zudem ihren Töchtern vermittelte, dass (Hetero-)Sex etwas Schlechtes sei, da er nur dazu diene, die patriarchale Herrschaft des Mannes zu stärken. Gegen diese Haltung kämpft Elizabeth mit Verzweiflung und Trotz. Um ihren eigenen Mann, das „Sexmonster“ und „Liebe ihres Lebens“ zu halten, geht Elizabeth sogar mit ihm zusammen in den Puff; als Garantieleistung für ihre Ehe sozusagen. Denn diese Ehe muss ewig halten, das hat sich Elizabeth zur Lebensaufgabe gemacht.

Man ahnt: Überforderung droht. Ständig. Aber auch darüber ist sich Elizabeth im Klaren, thematisiert ihre Überforderung und gibt sie an die Leser weiter, die am Ende, wenn Elizabeth aufstöhnt, „Puh! Der Trip beginnt!“, sehen müssen, wo sie bleiben.

Christina Mohr

Charlotte Roche: Schoßgebete. München: Piper Verlag 2011. 288 Seiten. 16,99 Euro. Foto: © Jochen Schmitz. Aktuelle Lesetermine finden Sie hier. Zur Rezension von Feuchtgebiete.

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