Geschrieben am 16. Dezember 2017 von für Bücher, Crimemag, CrimeMag Dezember 2017

Buch: Norbert F. Pötzl: Casablanca 1943

casa»Schau mir in die Augen, Kleines!«

  • von Bodo V. Hechelhammer.

 … »Ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft« oder »Spiels noch einmal Sam«, sind weltberühmte (deutsche) und unsterbliche Filmzitate, die jeder mehr oder weniger begeisterte Filmliebhaber ohne Probleme sogleich dem entsprechenden Film zuordnen können: »Casablanca«. Ohne Frage ein Kultfilm, der wie kaum ein anderer zu zahlreichen Mythen und Legendenbildungen geführt hat. Kein Film ist bis heute häufiger zitiert, als das meisterliche Werk von Michael Curtiz (1886-1962) aus dem Jahr 1942, mit Humphrey Bogart (1899–1957) und Ingrid Bergman (1915–1982) in den Hauptrollen.[1]

Während des Zweiten Weltkriegs ist die marokkanische »weiße Stadt« Hoffnungsziel zahlreicher politischer Flüchtlinge auf dem Weg nach der Sehnsuchtsstation Amerika. Als der tschechoslowakische Widerstandskämpfer Victor László  mit seiner Frau Ilsa Lund in Casablanca eintrifft und fliehen will, entflammt ein erbitterter Kampf um die dafür notwendigen Transit-Visa zwischen dem bestechlichen Polizeichef Louis Renault, den zunächst egozentrierten amerikanischen Nachtclubbesitzer Rick Blaine und dem deutschen Nazi-Major Strasser.

casa1Doch das Drehbuch ist alles andere als fiktiv gewesen, beschrieb treffend die damalige politische Situation, zu einer Zeit, als die deutsche Wehrmacht scheinbar weltweit auf dem Vormarsch schien. Im Gegensatz zu Cineasten denken Historiker bei Casablanca an die im Januar 1943 dort stattgefundene Geheimkonferenz der Westalliierten, bei der erstmals die bedingungslose Kapitulation der Achsenmächte als offizielles Kriegsziel verkündet und ebenfalls die Verstärkung der Luftangriffe auf deutsche Städte beschlossen wurde.

Doch stehen der weltbekannter Hollywood-Klassiker und die historische bedeutsame Konferenz nur zeitlich zufällig nebeneinander? Nein, so die eindeutige Antwort von Nobert F. Pötzl, Autor des vorliegenden Buches »Casablanca 1943. Das geheime Treffen, der Film und die Wende des Krieges«. Denn beide Ereignisse verbindet weit mehr als man allgemein vermuten könnte. Die Entstehungsgeschichte des Films und die dramatischen Kriegsereignisse Anfang der vierziger Jahre sind vielmehr auf erstaunliche Art und Weise miteinander verwoben, ja Fiktion und Realität haben sich sogar mitunter entscheidend beeinflusst.

casa2Norbert F. Pötzl greift dieses äußerst spannende Thema gekonnt auf und skizziert die Verbindungslinien beider Ereignisse anschaulich und verständlich zu einem Gesamtbild. Pötzl arbeitete von 1972 bis 2013 als Redakteur beim Hamburger Magazin »Der Spiegel«. Doch neben seinem journalistischen Wirken ist er auch als Autor und Herausgeber zu zahlreichen historischen Themen und Persönlichkeiten in Erscheinung getreten, etwa zuletzt »Wolfgang Vogel« (2014).[2]

Das Buch selbst umfasst rund 250 Seiten, beschreibt über acht Kapitel die jeweiligen Hintergründe zur weltpolitischen, militärischen und amerikanischen Ausgangssituation, zu den politischen Protagonisten Franklin D. Roosevelt (1882–1945), Winston Churchill (1874–1965) sowie Charles de Gaulle (1890–1970), zur Konferenz und zur Filmproduktion selbst erklären.

Nobert F. Pötzl führt mit einer ganz besonderen Filmvorführung im »Weißen Haus« in sein Thema ein, zu welcher der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt am Silvesterabend 1942 einige Gäste eingeladen hatte. Auf dem Kinoprogramm des Präsidenten stand ein brandneuer Film aus Hollywood: »Casablanca«. Der Film führte seinen interessierten Zuschauern ein politisch brisantes Thema ihrer Zeit vor Augen, wenn auch in einer Liebesgeschichte melodramatisch gekonnt und bildhaft schön verpackt: Politisch Verfolgte versuchen vor den Nationalsozialisten über das französische Territorium (der mit dem Deutschen Reich kollaborierenden Vichy-Regierung) in Nordafrika nach Lissabon und von dort weiter in die Vereinigten Staaten von Amerika zu fliehen. Der Nachtclubbesitzer Rick Blaine (Humphrey Bogart) mag zu Beginn des Plots dem tschechischen Widerstandskämpfer Victor László (Paul Henreid) bei seiner Flucht vor den Nazis nach Portugal, dem Sprungbrett in die USA, nicht bereitwillig helfen, hat er doch vielmehr den außenpolitischen isolationistischen Standpunkt der USA bis Ende 1941 als Leitbild vor Augen. Doch seine Meinung änderte sich im Verlauf des Films, um am Ende sogar seine große Liebe Ilsa Lund (Ingrid Bergman) für höhere politische Ideale aufzugeben, den deutschen Häscher zu erschießen und sich dem französischen Widerstand gegen die Nazis anzuschließen. Filmhandlung, amerikanische Außenpolitik und Weltgeschehen griffen hierbei ganz gewollt ineinander, wurden gezielt ins Drehbuch geschrieben, denn die cineastische Botschaft war politisch intendiert. »Casablanca« war als amerikanischer Propagandafilm zum Kampf gegen die Nazis, konzipiert, im Einklang mit den Vorgaben der erst 1942 geschaffenen amerikanischen Propagandabehörde »Office of War Information« (OWI).

casa3Zum Zeitpunkt des Drehbuchschreibens und Beginn der Dreharbeiten im Sommer 1942 war die militärische und politische Ausgangslage noch eine ganz andere, als nach der Casablanca-Konferenz im Januar 1943. Der weitere Kriegsverlauf veränderte die der ursprünglichen Filmkonzeption zugrunde liegenden politischen Rahmenbedingungen und Kriegsziele. Amerika war zuvor durch seine isolationistische Haltung gegenüber europäischen Angelegenheiten geprägt. Das Drehbuch wurde entsprechend der veränderten politischen Situation während der Filmproduktion angepasst. Norbert F. Pötzl zeigt hierbei auf, wie und warum der Film entstand, zum Politikum wurde oder nach seiner Premiere Ende November 1942 in New York City zunächst in keinem weiteren Lichtspielhaus zunächst mehr gezeigt wurde. Erst zum Abschluss der Konferenz in Nordafrika, wohl aufgrund von Absprachen zwischen Hollywood und Washington D.C., wurde. »Casablanca« wieder aufgeführt, war nun über die Berichterstattung zur Konferenz das politische Thema  in der Öffentlichkeit  und nicht zuletzt deshalb wurde der in die Kinos kommende Film beim Publikum ein Riesenerfolg. Er gewann sogar drei Oscars wenige Monate später. So wie die Konferenz den Film beflügelte, transportierte der Film die politische Botschaft Amerikas.

In die deutschen Kinos kam der Film erst 1952. Dieser wurde jedoch um fast eine halbe Stunde gekürzt und der ursprüngliche Propagandafilm gegen die Nazis inhaltlich mit einer vollkommen anderen politischen Aussage zu einer harmlosen Romanze verfälscht. Bezüge zu Nazi-Deutschland wurden einfach eliminiert, dass eigentliche Hauptthema weg synchronisiert und der amerikanische Film antiseptisch entpolitisiert. Der arme Victor László mutierte sogar vom verfolgten Widerstandskämpfer zum Physiker und Entdecker seltsamer Strahlen. Gerne hätte man als Leser am Ende der Lektüre daher auch noch weitere Details gerade zu der spannenden deutschen Rezeptionsgeschichte des Films erfahren, mehr über die Beweggründe der politischen Filmzensur in den fünfziger und sechziger Jahren in der Bundesrepublik Deutschland gewusst und wieso der Film erst 1975 in der ARD erstmalig ungekürzt und entsprechend der Originalfassung neu synchronisiert gezeigt wurde. Auch die Übereinstimmungen zu anderen ehemals faschistischen Ländern wie Spanien und Italien, in denen der Film ebenfalls gekürzt und modifiziert aufgeführt wurde, wären durchaus von Interesse gewesen.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass Norbert F. Pötzl einfach ein schönes und lesbares Buch gelungen ist, zum durchgehenden Lesen, wie auch zum gelegentlichen Nachschlagen, welches Film- und Zeitgeschichte zu einem gut verständlichen Bild miteinander verbindet und damit ein ganz neues Verständnis auf »Casablanca«, sowohl auf den Film, als auch auf die Konferenz, vermittelt. Ein Buch, welches Lust darauf macht, den Film gleich noch einmal anzuschauen: mit neuem Blickwinkel. Lesenswert.

Bodo V. Hechelhammer

[1] Vgl. Michael Töteberg (Hg.): Metzler Filmlexikon. 2. Aktualisierte und erweiterte Auflage, 2005, S. 118 f.

[2] Vgl. Norbert F. Pötzl: Mission Freiheit. Wolfgang Vogel: Anwalt der deutsch-deutschen Geschichte, München 2014.

Norbert F. Pötzl: Casablanca 1943. Das geheime Treffen, der Film und die Wende des Krieges. Siedler Verlag, München 2017. 256 Seiten, 20 Euro.

Siehe auch CrimeMag September 2017: „Geheimdienst ist besonders spannend unter kulturhistorischer Sicht.“ Ein Interview mit Bodo V. Hechelhammer, Chefhistoriker des BND, und eine Buchkritik – zu Der Doppelagent Heinz Felfe entdeckt Amerika. Der BND, die CIA und eine geheime Reise im Jahr 1956.
Sowie die Besprechungen von:
John le Carré: Das Vermächtnis der Spione
Hannah Coler: Cambridge 5. Zeit der Verräter

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