Geschrieben am 22. März 2014 von für Bücher, Crimemag

Bloody Chops

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Bloody Chops – schnell, unparteiisch und gerecht

Heute choppen Joachim Feldmann (JF) Jan Costin Wagners „Tage des letzten Schnees“, Alf Mayer (AM) Robert B. Parkers „Die Tote im Paradies“ &“ Eiskalt“ und Sophie Sumburane (SoSu) William Shaws „Abbey Road Murder Song“.

Jan Costin Wagner_Tage des letzten SchneesKunstgewerbe?

(JF) Wer ein Kapitel seines Romans mit den Worten „Zur selben Zeit, in einer Geschichte, die nicht erzählt wird“ überschreibt, lässt keinen Zweifel an seinem Kunstanspruch, lädt die Formulierung doch zu wilden Spekulationen über die Fallstricke des Narrativen ein. Oder, um es mit einem klassischen Satz aus dem Deutschunterricht der Mittelstufe zu sagen: „Hier möchte uns der Autor zum Nachdenken bringen.“

Solchen Sperenzchen hat es der Kriminalschriftsteller Jan Costin Wagner zu verdanken, dass seine Bücher auch vom gewöhnlichen Feuilleton ernst genommen werden. Andere wiederum, und ihr Rezensent gehörte bislang zu ihnen, halten die Kriminalromane um den finnischen Ermittler Kimmo Joenntaa vor allem für aufgeblasenes Kunstgewerbe. Auch in Wagners neuem Epos „Tage des letzten Schnees“ gibt es – siehe oben – reichlich Gründe, dieses Urteil aufrechtzuerhalten. Und doch berührt diese über weite Strecken bemerkenswert sachlich erzählte Geschichte von Verlust und Trauer ihren Leser auf seltsame Weise. Wagner hält sich nicht lange mit den Motiven seiner Figuren auf – er schildert ihre Handlungen und deren Konsequenzen, vermittelt dabei aber den Eindruck, man stünde ihnen nahe. Das ist gekonnt.

Andererseits räumt er dem Zufall eine Macht ein, die seiner Fiktion nicht zuträglich ist. Wagner-Fans wird das nicht stören, im Gegenteil. Schließlich sorgt der Zufall dafür, dass eines der Rätsel, die seinen Helden umgeben, zum Teil gelöst wird. So gelangt der Roman an ein zwar schmerzhaftes, aber nicht in jeder Hinsicht unglückliches Ende. Das gilt natürlich vor allem für den Leser, der das Buch in dem Gefühl, nun mehr über die Abgründe der menschlichen Existenz zu wissen, zuklappen darf.

Jan Costin Wagner: Tage des letzten Schnees. Roman. Berlin. Galiani 2014. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zum Autor.

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Robert B. Parker_Die Tote im ParadiesEin Kerl mit Eiern

(AM) „Ich erfand Jesse Stone, um es mal mit einer Erzählung in der dritten Person zu versuchen, und zwar mit einer Figur, die in keiner Hinsicht fertig entwickelt war. Jesse hat ein Problem mit Alkohol und mit seiner Ex-Frau, Spenser ist komplett, Jesse ist ein ‚work in progress‘. Außerdem wollte ich über einen Cop und eine Kleinstadt-Polizei schreiben.“ Ein Cop, der trinkt – Klischee, ich hör dich trapsen. Und dann auch noch einer mit dem „Bad Blond Girl Disease“, direkt aus den von Robert B. Parker bewunderten Romanen Raymond Chandlers, etwa aus „Farewell, My Lovely“, wo es heißt: „It was a blonde. A blonde to make a bishop kick a hole in a stained-glass window.“ (Solch einer ‚damsel in distress‘ erweist gerade auch Benjamin Black Tribut mit dem Pastiche „The Black-Eyed Blonde“.)

Allen Klischeeabgründen zum Trotz gehören die Jesse-Stone-Romane mit zum Besten aus dem Werk des am 18. Dezember 2010 über seiner Schreibmaschine hingesunkenen Robert Brown Parker. Nach Jahren, in denen er sich ein wenig in den Spenser-Romanen festgefahren hatte – 39 wurden es zwischen 1974 und 2011 –, wirken die Jesse-Stone-Romane wie ein Befreiungsschlag. „Heiliger Strohsack“ sagt man sich in ihnen als Leser immer wieder. Zehn Romane entstanden zwischen 1997 und 2011. Der Pendragon-Verlag aus Bielefeld hat sich an ihre verdienstvolle Werkausgabe gemacht. Im letzten Jahr erschienen „Das dunkle Paradies“ (Night Passage, 1997) und „Terror auf Stiles Island“ (Trouble in Paradise, 1998) – Besprechung siehe hier –, nun sind die Bände drei und vier dran, „Die Tote in Paradise“ (Death in Paradise, 2001) und „Eiskalt“ (Stone Cold, 2003).

Robert B. Parker_EiskaltNicht der wichtigste, aber bei Parker ein erfrischender Aspekt: Es wird ungeniert übers Vögeln geredet, und nicht nur das. Parkers Privatdetektiv Spenser geht all die Jahre einmal ein wenig fremd und wird von seiner Burgdame abgestraft. „Haben Sie gerade meiner Sekretärin in den Ausschnitt geschaut?“, lautete 1974 der allererste Satz, den die Psychologin Susan Silverman an Spenser richtete. In Otto Penzlers „The Lineup. The World’s Greatest Crime Writers Tell the Inside Story of Their Greatest Detectives“ (2009) lässt Parker als einziger seinen Helden im Verbund auftreten: Susan hat Spenser überredet, einer Collegestudentin ein Interview zu geben und greift selbst ohne Bedenken ein, wenn ihr Kerl sich zu sehr bei einer Frage ziert.

Ich stelle mir vor, wie Parkers für ihre drastische Ausdrucksweise in ganz Boston gefürchtete und bewunderte Frau Joan, mit der er, obwohl mehr als 30 Jahre als Paar getrennt, zeitlebens unter einem Dach wohnte, eines Tages zu ihm sagte: „Geht dir dein politisch korrekter Scheiß nicht auf den Keks? Schreib doch mal über einen Kerl, der seine Eier nicht nur auf der Straße einsetzt, sondern auch im Bett.“ (dazu mehr auf CrimeMag)

Robert B. Parker: Die Tote im Paradies (Death in Paradise, 2001 2014. Roman. Deutsch von Bernd Gockel. Bielefeld: Pendragon Verlag 2014. 310Seiten. 10,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Robert B. Parker: Eiskalt (Stone Cold, 2003). 2014. Deutsch von Bernd Gockel. Bielefeld: Pendragon Verlag 2014. 348 Seiten. 10,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zum Autor.beil12

 

William Shaw_Abbey Road Murder Song… it don’t mean a thing …

(SoSu) Der erfahrende Detective Cathal Breen wird zur Leiche einer jungen Frau gerufen und kotzt am Tatort in die Büsche. Im London des Jahres 1968 ticken die Uhren in vielerlei Hinsicht anders als heute, doch dieser Gag zieht sich durch die literarischen Jahrzehnte. Und auch sonst kommt „Abbey Road Murder Song“ zu großen Teilen konventionell daher. Das Mädchen wurde erwürgt, nackt in einem Hinterhof abgelegt und bleibt zunächst namenlos. Die Ermittlungen führen lange ins Nichts, wirklich lange. Zusammen mit Constable Helen Tozer, einer Polizistin in Probezeit, ermittelt Breen so vor sich hin, fällt zwischendurch vom Baum, als er die Katze eines Mädchens retten will, und macht es dem Leser schwer, Spannung zu empfinden. Erst die Spur, die zu den Beatles führt, scheint ein wenig Schwung ins Geschehen zu bringen, entpuppt sich die junge Kollegin doch als eingefleischter Beatles-Fan. Doch Shaw versteht es glänzend, auch den vielversprechendsten Szenen noch den Schwung zu nehmen. Nach großen Schritten in Richtung Lösung macht Shaw eine drastische Kehrtwende und lässt Breen ohne Tozer plötzlich in einem anderen Fall ermitteln, auf eigenen Vergangenheitsspuren wandeln und den Leser zurück in den ursprünglichen Lesetrott gleiten.

„Abbey Road Murder Song“ ist ein solider Erstling, mit funktionierenden, wenn auch nicht besonders originellen Protagonisten, die neben beruflichen Problemen viel mit sich selbst und einander zu tun haben. Als Frau ist Helen Tozer bei der Polizei eher ein Fremdkörper, bekommt das auch immer wieder zu spüren, behauptet sich schließlich aber doch. Allerdings sind besonders diese Stellen des Romans auch die, an denen der Leser stutzt. Was sollen diese sexistischen Sprüche? Ach ja, wir befinden uns im Jahr 1968. So richtig will der Roman den Zeitgeist nicht treffen, das Swinging Killing London für den Leser nicht spürbar machen. Schließlich ist der dann froh, als die Ermittlungen an Fahrt aufnehmen, es gibt weitere Opfer und eine vage Verbindung in die britische Ex-Kolonie Biafra im Herzen Afrikas. Allerdings ist diese sehr willkürlich gezogen und extrem spät thematisiert. Aus der Geschichte heraus ergibt sich keine Notwendigkeit, gerade diesen Völkermord als Hintergrund zu wählen. Auch der Mordfall selbst könnte zu jeder anderen Zeit passiert sein. Alles in allem ein Erstling mit Entwicklungspotenzial. Die Figuren sind ungewöhnliche Charaktere mit eigenen, wenn auch schon reichlich auserzählten Geschichten ‒ wäre das Buch um die Hälfte kürzer, wäre es sicher auch rasant genug, um richtig spannend zu sein.

William Shaw: Abbey Road Murder Song (A Song From Dead Lips, 2013). Roman. Deutsch von Conny Lösch. Berlin: Suhrkamp nova, 2013. 472 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zum Autor. Zur Homepage von Sophie Sumburane.

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