Geschrieben am 12. März 2011 von für Bücher, Comic, Crimemag

Bloody Chops

Bloody Chops,

heute als Solo von Thomas Wörtche.

Schauerroman

– Wie bekommt man einen arg gealterten Auguste Dupin, Geister auf Droge, Anubis, Grand Guignol, Herrn Beyle (Hugo, nicht Henry) und grünes Ektoplasma (oder so) spuckende Medien  zusammen? Am einfachsten unter dem Schlagwort „Schauerroman“, wie eine Figur des ziemlich lustigen Auftaktcomics zur Serie „PIK AS. Die Fantastische Detektei“ namens „Die Parapsychologin“ meint, als die herausgeschnittenen Augen einer medialen Zwergin in einem Kristallglas gefunden werden.

Zeichner Jacques Lamontage und Texter Thierry Gloris treiben Scherz und Frohsinn mit den Standardrepertoires aller Crime & Grusel-Schoten des 19. Jahrhunderts. Manchmal altmeisterlich gezeichnet, manchmal seltsam verzerrt und unheimlich luzide. Man schaut begeistert die Bilder an und nimmt den Rest weniger ernst, aber das ist schon okay.

Auguste Dupin – aus dem somnambülen Dandy ist ein reichlich vierschrötiger Kerl mit Halbglatze geworden – bekommt ein Azubi. Und das Azubi ist weiblich, was aber nicht hindert, sich mit dem furchtbaren Azathoth anzulegen … Oder so  … denn natürlich ist die Handlung wesentlich sinnfrei, aber wirklich sehr amüsant. Schauderlich schön eben…

Thierry Gloris/Jacques Lamontagne: PikAs. Die Fantastische Detektei I. Die Parapsychologin (AS PIK: La Naine aux Ectoplasme, 2010). Comic. Deutsch von Tanja Krämling. Bielefeld: Splitter Verlag 2011. 48 Seiten. 13,80 Euro.
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True Crime

Ganz anders der Versuch, mit einem klassischen französischen Comic-Konzept in der ästhetischen Tardi-Nachfolge True crime als Comic zu erzählen. Der noch aktive Renseignements Géneraux Mann (= R.G. = ist der Geheimdienst der französischen Nationalen Polizei – ja, sowas haben die Franzosen) Pierre Dragon und sein Ko-Autor und Zeichner, der Schweizer Frederik Peeters, versuchen sich an Authentizität mit höchstem artifiziellem Quotient. Kleine, miese Episoden aus dem Polizei-Alltag, in denen es um Warenpiraterie, Terrorismus, Menschenhandel und Sklavenarbeit geht, um Frust, um verpfuschtes und durch den Job kaputt gemachtes Privatleben, um politische Intrigen und kleine, lästige Reibereien mit Kollegen, um guten und schlechten Sex, um Gewalt der strukturellen und physischen Art, um das Pinkeln in Flaschen und andere Unbequemlichkeiten mehr.

Und es geht, wie die Titel der beiden bis jetzt erschienen Bände „Riad an der Seine“ und „Bangkok-Belleville“ zeigen, um die Verflechtung von westlicher Konsumgesellschaft und drittweltlicher Ausbeutung. „R.G.“ ist, wie das in Frankreich gute Sitte ist,  dezidiert politisch. Mit Haltung. Auch wenn diese Haltung erstaunlich klischeefrei und differenziert ist. Für Comics sind beide Bände sehr handlungsstark, obwohl (oder weil) sie keinen ausgefeilten Plot haben. Aber eben relevante Dinge erzählen, anstatt irgendwelchen schauerromantischen Fidelwipp. Ob dann die narration gezeichnet oder vertextet ist, ist in diesem Fall irrelevant. Die Bilder stützen die Geschichte, die Geschichte verlangt nach diesen Bildern. Feines Projekt…

Pierre Dragon/Frederik Peeter. R.G. Riad an der Seine (Ryad-sur-Seine, 2007) /Bangkok-Belleville (Bangkok-Belleville, 2008). Comics. Deutsch. von Kai Wilksen. Hamburg: Carlsen 2009 u. 2011; 108 resp. 106 Seiten.  je 16,90 Euro.
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Gewalt

Gerade erschienen ist die deutsche Ausgabe von Randall Collins magistraler Arbeit: „Violence. A Micro-Sociological Theory“ unter dem Titel „Dynamik der Gewalt. Eine mikrosoziologische Theorie“. Ein kapitales Buch über das, was Kriminalliteratur viel mehr als ihre ominöse „Form“ definiert: Über Gewalt in ihrer unendlichen Ausdifferenzierung in Gesellschaft, Familie, Sport, Politik, Terrorismus und vor allem im zwischenmenschlichen Alltag.  Randall geht es um „Gewaltsituationen“, um reale, um inszenierte, um funktionalisierte Gewalt. Und um unser aller Vergnügen daran. Das sich zum Beispiel an dem Vergnügen an Mord und Totschlag als Thema noch des bescheuertsten Grimmis manifestiert. Wir werden uns noch ausführlicher mit Randalls Buch beschäftigen, aber als Beleg für die Vermutung, dass es keine unschuldige Lektüre von Grimmis oder eine unschuldige Produktion dieser Dinger gibt (es sei denn, sie seien als Schund im Gewande des Harmlosen gemeint), sei Randall für kommende Diskussionen vorgemerkt. Und ja, das Buch ist nicht einfach wegzuschmökern. Warum auch?

Randall Collins: Dynamik der Gewalt. Eine mikrosoziologische Theorie. (Violence. A Micro-Sociological Theory, 2008). Deutsch von Gennaro Ghirardelli (1-6) und Richard Barth (7-12). Hamburg: Hamburger Edition 2011. 735 Seiten. 39,00 Euro.
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Hamburger Edition

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