Geschrieben am 10. Dezember 2011 von für Bücher, Crimemag

Anne George: Mörderische Verstrickungen

Mord zum Kuscheln

Cozys kann man relativ schnell als trivial abqualifizieren. Tatsächlich aber prägen sie immer noch und immer wieder das vermutlich breitenwirksamste Bild von „Krimi“.  Am Beispiel eines Romans der cozy-notorischen Anne George hat sich Henrike Heiland mit ein paar grundsätzlichen Implikationen vermeintlich unschuldig-harmloser Unterhaltung beschäftigt.

Agatha Christie hat es vorgemacht, Scharen von Krimiautoren machen es nach: Der kuschelige Landhauskrimi mit moralisch in die Höhe gerecktem Zeigefinger macht weiterhin hartnäckig Umsatz. Die 2001 verstorbene Anne George ist da nur eine von vielen. Zehn Jahre nach Erscheinen in den USA bringt dtv nun ihren achten Krimi um zwei ermittelnde Südstaatenschwestern im Rentenalter heraus, Titel und Cover lassen die Leserinnen nicht im Unklaren, worauf sie sich einstellen müssen.

Manchmal wünscht man sich eineiige Zwillinge, die Morde aufklären, nur um die Formulierung „wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten“ nie wieder hören zu müssen. Anne Georges Schwestern, beide haben die sechzig schon hinter sich gelassen, könnten nämlich auch nicht unterschiedlicher sein: die eine schlank und eher ruhig und bürgerlich, eine ehemalige Englischlehrerin mit Hund, Ehemann und erwachsener Tochter, die andere üppig und extrovertiert und männerfressend, was sie über mehrere Ehen hinweg (nie geschieden, immer verwitwet) sehr reich gemacht hat. Die Ex-Englischlehrerin wird von ihrer Schwester „Maus“ genannt, sie nennt die andere „Schwesterherz“. Acht Bücher lang stolpern sie in ihrer hübschen, ländlichen Umgebung über diverse Leichen. Diesmal ist die Frau von Cousin Luke (gennant „Reiher-Luke“, weil ihm beim Autofahren gerne mal samt aller Konsequenzen schlecht wird) mit einem Schlangenprediger durchgebrannt, und als die Schwestern Luke beim Suchen helfen, finden sie in dessen Kirche eine tote junge Frau. Kurz darauf ist auch der Schlangenprediger tot, gebissen von einer Schlange, aufgefunden im Wagen der durchgebrannten Frau.

Alles Weitere ist in der Anlage bekannt: Wir haben einen überschaubaren Kreis an mehr oder weniger Verdächtigen, die alle der Reihe nach abgehakt werden. Am Ende war’s der, von dem man es am wenigsten gedacht hätte, oder Moment, eigentlich war der doch von Anfang an irgendwie suspekt, oder?

No sex, no fun

Das ist formula fiction. Leicht zu schreiben, leicht zu lesen. Phasenweise auch leicht zu verkaufen, besonders dann, wenn gerade die berühmten Schlachteplatten angesagt sind, da braucht so manche Leserin ein Gegengewicht. In Deutschland wird der Cozy mehr und mehr vom Regiokrimi  abgelöst – hübsche Landschaften, dörfliches Gebaren, gerne viel Albernheiten, die Abgründe tief genug, um leicht zu erschauern, aber nicht so tief, um Albträume zu bekommen. Die Fernsehsender nennen es „Krimi light“, in der ARD haben sie gerade den Reihentitel „Heiter bis tödlich“ unters Volk gebracht.

Zwei Dinge scheinen, wenn man sich die Beschreibungen des Subgenres auf den einschlägigen Fanseiten durchliest, ganz wichtig: kein Sex (wenn, dann nur leicht angedeutet), keine Gewalt (auch die nur zwischen den Zeilen). Wenn gestorben wird, dann bitte schnell und schmerzlos. Und wenn jemand sterben muss, dann bitte jemand, der es verdient hat.

In „Mörderische Verstrickungen“ sind die Opfer allein schon durch ihre Mitgliedschaft in einer Schlangensekte dazu verdammt, dass ihnen Unheil zu widerfahren hat. Natürlich kommen noch ein paar mehr Minuspunkte aufs Moralkonto, und die beiden Schwestern haben nach einer Menge Ermittlungsarbeit, die zum Großteil aus der Auswertung von Klatsch und Tratsch besteht, den Übeltäter ganz klar im Visier.

Harmlos?

Es ist alles sehr harmlos und sehr unaufgeregt. Wie man es erwartet, wenn man „Mord ist ihr Hobby“ einschaltet, zum Beispiel. Angela Lansburys Gesichtsausdruck beim Auffinden einer Leiche wie auch beim Stellen eines Täters ist legendär: dieses Entsetzen, diese Entrüstung! Kurz: Die Welt ist dort noch schwerstens in Ordnung, und das gesamte Cozy-Business untermauert die in den 20er Jahren aufgekommene Theorie, Menschen würden gerne Krimis lesen, weil da am Ende die Weltordnung wiederhergestellt sei. (Richtig schwer gestört wird sie ja auch nicht, denn, wie erwähnt, die Opfer haben es verdient.) Daher cozy, kuschelig, wohlig.

Anne George hat keinesfalls vorgehabt, das Genre zu revolutionieren, sie reiht sich lediglich bei den Rita Mae Browns, den Martha Grimes’ und den anderen zeitgenössischen Agatha Christies ein. Wer’s also mag: Ihr Stil ist witzig, ihre Dialoge pointiert, da kann man nicht meckern. Etwas überstrapaziert die Information, wer wann was isst, wie die Witterung ist und ob man mit dem Hund gehen kann. Auch viel Platz erhalten die Töchter der Schwestern, eine bekommt nämlich gerade ein Kind, die andere reist durch Europa und will bald ein Kind. Ständig wird mit der Nichte telefoniert und mit der Tochter gemailt, man ist eng vernetzt. Dramaturgisch haben die Themen mit dem Fall bzw. dessen Auflösung nur sehr am Rande zu tun, transportieren aber umso deutlicher das Werteschema der erzählenden Figur (und möglicherweise auch der Autorin und im nächsten Schritt wohl auch das der Leserin): Frauen sind am Glücklichsten, wenn sie verheiratet und mit vielen Kindern gesegnet sind. Eine gewisse Frömmigkeit, so sie nicht im Sektenwahn gipfelt, ist durchaus gerne gesehen. Und regelmäßiges Essen ist auch sehr wichtig. Oh heile Welt.

Was will das Subgenre?

Was einen dabei wirklich umtreibt, ist die Frage: Wie beurteilt man jetzt so ein Werk? Handwerklich stimmt so weit alles, das Buch ist genau das, was es sein will und soll, Anne George hat also ihren Job ordentlich gemacht. Man muss sich wohl als Nächstes fragen: Was will das gesamte Genre?

Da müsste man weit ausholen und darüber nachdenken, warum sich der Mensch überhaupt für Geschichten von Mord und Totschlag interessiert. Der Mensch interessiert sich auch für Klatsch und Tratsch in der Nachbarschaft, was den Cozy so beliebt macht: Er beherbergt Figuren, die man so ungefähr kennt oder gerne kennen würde. Menschen wie du und ich. Und die Neugier, die Sensationslust ist uns offenbar angeboren. Vom Verbrechen hören, es aber nicht sehen müssen. Erfahren, wer der Täter ist, aber sich nicht zu viel mit den psychologischen Hintergründen auseinandersetzen müssen. Einfache Motive: Eifersucht oder Habgier. Liebe oder Geld. Bloß nicht zu genau hinter die Kulissen schauen. Und unbedingt die heile Welt drumherum installieren, damit klar ist und für immer klar bleibt: Wir in der heilen Welt, wir sind die Guten. Die Abweichler, das sind die Bösen. Man erkennt sie schnell, die Bösen. Sie ticken anders. Sie gehören nicht dazu. Schon bei Agatha Christie war klar: Wer die bürgerliche Moral verletzt, wird schnell zum Opfer oder eignet sich wunderbar als Täter. Dieses konservative Gesellschaftsbild transportiert der Cozy, zieht die Leserinnen in die kuschelige Gewissheit, dass am Ende doch alles „gut“ wird. Vor lauter Miträtseln und „Ach, das hätte ich jetzt aber nicht gedacht“ werden Aussagen über Richtig und Falsch, werden Glaubensbekenntnisse, werden politische Äußerungen nur am Rande zur Kenntnis genommen. Sind das Bewertungskriterien? Aber ja. Handwerk – unbedingt wichtig, aber Thema und Aussage – deshalb schreibt man doch, deshalb liest man doch. Unterhaltung – ja, aber Vorsicht, das Argument, man wolle doch „nur unterhalten“ werden, ohne sich noch Gedanken über das machen zu müssen, was die Welt im Inneren zusammenhält, man wollte „einfach nur abschalten“, ist kein Argument, denn in seiner ganzen vermeintlichen Oberflächlichkeit ist der Cozy an sich in seinen Genrekriterien eine gesellschaftspolitische Aussage, über die man sich Gedanken machen muss. Es stirbt nur, wer unsympathisch ist, es gar verdient hat? Dazu muss jemand einen Wertekatalog erstellt haben, was sympathisch macht und was nicht, was die Todesstrafe verdient und was nicht. Wenn der Täter erst einmal gefasst ist, ist die Welt wieder in Ordnung? Dazu muss jemand festgelegt haben, was „in Ordnung“ für die Leserinnen zu bedeuten hat. Keine Darstellung von Sex? Klingt christlich-konservativ. Keine Darstellung von Gewalt? Aber einen Krimi lesen wollen.

Und bei uns?

Bei aller Heimattümelei, die sich im deutschen Fernsehen mit den Vorabendserien breitmacht: Diese Gesellschaftsbilder sind (nicht immer, aber) nicht selten ein paar Schritte weiter als im US-importierten Cozy. In mindestens zwei SOKOs haben Kommissarinnen Kinder bekommen, ohne einen Mann dazu zu haben. Wahrscheinlich eine produktionstechnische Notwendigkeit, weil die Darstellerinnen in Wirklichkeit schwanger waren und man ihnen kein Familienleben reinschreiben wollte. Aber man hätte es tun können, das mit dem Familienleben. Man hat es gelassen. Bei Anne George und ihren Kolleginnen hätten sich diese Frauen ganz hervorragend zum Opfer geeignet. Schließlich stirbt nur, wer es verdient hat.

(Anne George war übrigens mit ihren Gedichten für den Pulitzer Preis nominiert.)

Henrike Heiland

Anne George (Christiane Filius-Jehne): Mörderische Verstrickungen (Murder Carries a Torch, 2001). München: dtv 2011. 304 Seiten. 8,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Anne George Homepage.

Cozy:

Stephen D. Rogers:  hier

A Guide to Cozy Mystery (and Other Favorite) Books and DVDs

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