Eine Geschichte voller Pfeffer
– Andrej Iwanovs „Hanumans Reise nach Lolland“ erzählt von den illegal in Europa lebenden Menschen auf eine bislang noch nicht gelesene Weise: bissig, böse, pointiert. Von Ulrich Noller
Hanuman träumt eigentlich von Soho, New York. Amerika ist für einen indischen Illegalen in der dänischen Provinz natürlich aber viel zu weit weg. Deshalb träumt Hanuman nebenbei noch einen kleineren Traum, den von der Insel Lolland nämlich, dem „dänischen Ibiza“, wo das Leben so leicht sein soll wie die Frauen schön. Allerdings ist auch Lolland ewig entfernt, wenn man weder Geld hat noch Aufenthaltsstatus.
Der Inder ist Verrückter von der sympathisch-überdrehten Sorte, ständig ist er auf dem Sprung, permanent propagiert er neue „große“ Ideen. Und irgendwie hat ihn das Schicksal mit Sid zusammengebracht, der ebenso illegal ist und zu Fuß aus Estland nach Dänemark kam. Zusammen haben sie sich – inoffiziell, klar – in einem Asylbewerberheim eingeschlichen. Und zusammen tun sie alles, um das Leben zu genießen und aus der verhassten dänischen Provinz rauszukommen, und sei es nur nach Lolland.
Hanuman ist ein Schwätzer vor dem Herrn, er kaut anderen die Ohren ab und redet sich selbst häufig beinahe um Kopf und Kragen. Sid spricht weniger. Dafür schreibt er die Geschichte der beiden auf. Und das klingt zum Beispiel so: „Hanuman war von der dänischen Proviz ganz übel. Blumenkästen auf den Fensterbrettern des Landgasthofs Gammel kro, und hinter den Fensterscheiben, wie in einem Aquarium, gebeugte, ängstlich mit kleinen Messern Würstchen zersägende Alte.“
Keine Betroffenheitsprosa
Schon dieser Romaneinstieg in die Welt von Hanuman und Sid hat es in sich, und Andrej Iwanov kann das Niveau im Weiteren locker halten: diese Geschichte ist in jeder Hinsicht voller Pfeffer. Andrej Iwanow, geboren 1971 in Tallin, erntete mit „Hanumans Reise nach Lolland“ viel Kritikerlob und wurde sogar für den russischen Booker Price nominiert. Der Autor hat lange in Dänemark gelebt und in einem Flüchtlingslager gelebt – daher auch seine intime Detailkenntnis des „Milieus“, die man dem Roman auf jeder Seite anmerkt.
Das Besondere daran: Dies hier ist keine Betroffenheitsprosa und auch kein politisches Lehrstück. „Hanumans Reise nach Lolland“ erzählt vom Leben der Illegalen auf bislang noch nicht gelesene Weise: bissig, witzig, pointiert; als Schelmenroman und Gaunergeschichte. Und stets mit einem bösen Blick aufs vermeintliche Paradies vieler Flüchtlinge, der es in sich hat: für Sid und Hanuman ist die dänische Provinz nichts anderes als der Vorhof der Hölle.
Ulrich Noller
Andrej Iwanov: Hanumans Reise nach Lolland (Puteshestvie Hanumana na Lolland, 2011). Aus dem Russischen von Friederike Meltendorf. Kunstmann Verlag 2012. 320 Seiten. 19,95 Euro. Foto: Antje Kunstmann Verlag.