Geschrieben am 30. November 2013 von für Bücher, Crimemag

Alf Mayers „Blutige Ernte“: John le Carré, Frederick Forsyth, Jeremy Scahill

forsyth_todeslisteFrontberichterstattung

– Die neuen Romane von John le Carré und Frederick Forsyth und das Sachbuch „Schmutzige Kriege“ von Jeremy Scahill.

Drei Bücher aus der Wirklichkeit. Ihr Thema: Wie verändert der „Krieg gegen den Terror“ unser Gemeinwesen? John le Carré und Frederick Forsyth, zwei Altmeister der Thrillerliteratur, versuchen in ihren neuen Romanen eine Antwort. Beide beschreiben sie eine Geheimoperation aus diesem verdeckten Krieg. Ihre Weltwahrnehmung als Frontberichterstatter aber könnte unterschiedlicher kaum sein, deshalb wird diese Rezension um eines der wichtigsten Sachbücher des Jahres erweitert, gibt doch auch „Schmutzige Kriege“ von Jeremy Scahill wichtige Hinweise auf den Zustand unserer Welt.

Beginnen wir mit einer Prämisse, die alle drei Autoren teilen und die wirklich Fakt ist. Das Wort hat der ehemalige Journalist Frederick Forsyth, der seit seinem Erstling „Der Schakal“ über ein Attentat auf den französischen Staatspräsidenten de Gaulle als sachlich überaus gut informiert gilt. Forsyths neuer Thriller „Die Todesliste“ beginnt so:

„Im dunklen und geheimen Herzen Washingtons gibt es eine kurze und sehr geheime Liste. Sie enthält die Namen von Terroristen, die als so gefährlich für die USA, ihre Bürger und ihre Interessen gelten, dass sie zum Tode verurteilt worden sind, ohne dass man den Versuch gemacht hätte, sie festzunehmen, vor Gericht zu stellen oder sonst nach Recht und Gesetz zu verfahren. Sie heißt ‚die Todesliste‘.
Jeden Dienstagmorgen wird die Todesliste im Oval Office durchgesehen und möglicherweise verändert, und zwar durch den Präsidenten und sechs Männer – niemals mehr, niemals weniger. Zu ihnen gehören der Direktor der CIA und der Vier-Sterne-General, der die größte und gefährlichste Privatarmee der Welt befehligt: das J-SOC, das angeblich gar nicht existiert.
An einem kalten Morgen im Frühjahr 2014 wurde ein neuer Name auf die Todesliste gesetzt … Der Auftrag ging an J-SOC, und deren Oberbefehlshaber gab ihn an TOSA weiter, eine so obskure Organisation, dass achtundneunzig Prozent der diensttuenden amerikanischen Offiziere noch nie davon gehört hatten … Tatsächlich ist TOSA eine sehr kleine Abteilung mit Sitz im nördlichen Virginia, und ihre Aufgabe ist es, Terroristen zur Strecke zu bringen, die sich der strafenden Gerechtigkeit Amerikas entziehen wollen.“

„Identifizieren. Lokalisieren. Eliminieren …“

scahill-schmutzige-kriege-4

Der Auftrag liest sich bei Forsyth so: „Der Prediger. Identifizieren. Lokalisieren. Eliminieren.“ Forsyth fährt fort: „Der Mann, der die Order betrachtete, war ein fünfundvierzig Jahre alter undurchsichtiger Lieutenant Colonel des U.S. Marine Corps, der in diesem Gebäude und außerhalb davon nur unter einem Codenamen bekannt war. Er hieß DER SPÜRHUND.“ Der Spürhund wird also nun „den Prediger“ jagen, tatsächlich liest sich das auch manchmal wie aus einem Comic, wenn es nur nicht solch tödlicher Ernst wäre.

Forsyths Thriller erzählt ohne poetische Umschweife, wie ein von Somalia aus operierender islamistischer Hassprediger aufgespürt und liquidiert wird. Das Buchcover zeigt einen hochgerüsteten, gepanzerten Elitesoldaten in Seitenansicht, die Schnellfeuerwaffe im Anschlag, mit Helm, Kamera, Nachtsichtgerät und Sauerstoffgerät wie ein tödliches Insekt anmutend. Ebenso martialisch-militärisch und zupackend ist die 1000-Augen-Perspektive, aus der Forsyth seine Geschichte erzählt.

caree_empfindliche wahrheit

John le Carrés „Empfindliche Wahrheit“ dagegen, „A Delicate Truth“ im Original, zeigt auf dem Cover so etwas wie einen stilisierten Libellenflügel, feingliedrig und leicht zerstörbar. Feinnervig wäre auch das Wort, um le Carrés Erzählhaltung zu charakterisieren. Der Roman beginnt so:

„In seinem Zimmer im zweiten Stock einer Bettenburg in der britischen Kronkolonie Gibraltar lief ein schlaksiger Mann Ende fünfzig nervös auf und ab. Seine sympathisch-rechtschaffenen Züge verrieten nicht nur den Engländer, sie verrieten auch ein erregbares Naturell, das sich hier auf eine harte Probe gestellt fand … Nur ein ausgemachter Phantast wäre von allein darauf gekommen, dass dieser Mann, ein mittelhoher Beamter in einer der prosaischeren Abteilungen des britischen Außenministeriums, in einer Geheimmission von höchster Sensibilität unterwegs sein könnte.“

Le Carré schlägt Funken aus dem Umgang mit der Geheimidentität, die sich der brave Mann für diesen Einsatz aneignen musste. Wie er in seinem Kopf vor- und rückwärts spult, was er zu tun hat, was ihn hierher brachte, was er zu beachten und zu berichten hat, wie ihn sein Staatsminister nervt und an kurzer Leine führt, wie er bei allem unbedingt an seine Quittungen zu denken hat – und nun seinem verschlüsselten Handy beim Aufladen zusieht, während draußen eine hochsensible Aktion anrollt. Ein islamistischer Waffenkäufer soll geschnappt und an einen „sicheren Ort“ gebracht werden. Die Aktion ist nicht nur illegal, sie wurde an eine internationale Söldnerorganisation namens Ethical Outcomes outgesourct. O-Ton le Carré:

„Warten Sie, bis ein Mann namens Elliot Sie anruft. Elliot wird Ihr erstes Signal sein.“
„Und ist Elliot der Nachname oder der Taufname?“
„Wie zum Teufel soll ich das wissen. Er agiert undercover für eine Organisation namens Ethical Outcomes. Sie sind neu, können aber mit den Besten der Branche mithalten, wie mir aus Fachkreisen versichert wird“, sagt der Minister.
„Verzeihung, Herr Minister, von welcher Branche sprechen wir?“
„Private Militärdienstleister. Wo leben Sie, Mann? Privat ist heutzutage die Devise. Der Krieg ist in Unternehmerhand, falls Sie das noch nicht mitgekriegt haben. Berufsarmeen haben ausgedient. Kopflastig, schlecht ausgestattet, ein Brigadegeneral für zehn Hanseln und sündteuer dazu …“
Der Mann im Hotel hatte daraufhin per Google recherchiert: „Mit einem brandneuen internationalen Team höchst qualifizierter geopolitischer Experten bietet Ethical innovative, hochdifferenzierte, topaktuelle Risikoanalysen für Großkonzerne und staatliche Stellen. Wir von Ethical sind stolz auf unsere Integrität, unser Verantwortungsbewusstsein und ultramodernes Cyber-Know-how. Personenschutz und Verhandlungshilfe bei Geiselnahmen auch kurzfristig verfügbar.“
Das Mutterunternehmen von Ethical Outcomes nennt sich Spencer Hardy Holdings, „ein multinationaler Konzern, dessen Betätigungsfelder von Öl über Weizen, Holz, Rindfleisch und Projektentwicklung bis hin zu gemeinnützigen Initiativen reicht. Dieselbe Muttergesellschaft finanziert außerdem evangelikale Stiftungen, Glaubensschulen und Bibelkampagnen.“

Ein Staatsbediensteter hat Skrupel

Solches rekapituliert der Mann im Hotelzimmer in Gibraltar, der sich beständig fragt: Wie bin ich überhaupt hier gelandet? 65 Seiten lang ist das erste Kapitel, eine Achterbahnfahrt durch einen nur manchmal sich aufhellenden Nebel. Auf diese Weise wurden wir noch nie zu einer geheimen Kommandoaktion mitgenommen, le Carrés Ton oszilliert zwischen Ironie und Sarkasmus, aphoristischem Witz, Aufregung und Resignation, dem sich Fügen ins Geschehen, wenn es einmal ins Rollen kommt. Ein starkes Stück Frontberichterstattung. Dem Mann aus Gibraltar werden wir in Kapitel 3 wiederbegegnen, wenn er drei Jahre nach den Ereignissen sein Gewissen entlasten will – und wird. Im fast hundertseitigen zweiten Kapitel begegnen wir einem alter ego John le Carrés, dem jungen Karrierediplomaten Toby Bell, erleben seine Stationen im Schnelldurchgang, auch hier wieder viel souveräner Pinselstrich mit vielerlei Beobachtungen. In den ersten Zeilen schon stellt le Carré ihn uns vor als eine „jener meistgefürchteten Kreaturen unserer heutigen Welt: ein unabhängiger Entscheider“. Toby Bell ist dabei, das Büro seines Ministers zu verwanzen, einfach um mehr über seinen Vorgesetzten zu wissen. Dass ihn das mit der – wie wir stückweise erfahren – ziemlich schiefgelaufenen Aktion und dem Mann aus Gibraltar zusammenbringen wird, ahnt er noch nicht, aber alles wächst sich zu einem gehörigen Dilemma aus. Es werden harte, existentielle Entscheidungen sein, die Toby Bell und der Mann aus Gibraltar zu treffen haben.

Aus seinem Ruhesitz in Cornwall – ein mildes Selbstporträt – bricht Sir Christopher „Kit“ Probyn eines Tages nach London auf, begehrt „seinen“ Minister zu sprechen, hat ein Dossier dabei. Der Titel des Berichts: „Operation Wildlife, Teil 1: Augenzeugenbericht des Stellvertreters des Ministers Ihrer Majestät auf Gibraltar, unter Berücksichtigung zusätzlicher Erkenntnisse, geliefert durch den Truppführer. UK Special Forces.“
Als er den Staatsbediensteten, die ihn empfangen, vorträgt, lodert sein Zorn:

„Wildlife war ein einziger Pfusch. Von vorn bis hinten. Die Ausgangsinformationen waren wertlos, zwei unschuldige Menschen wurden erschossen, und drei Jahre lang haben sämtliche beteiligten Parteien alles vertuscht. Und der Einzige, der das Schweigen brechen wollte, ist ums Leben gekommen, unter Umständen, die nach gründlicher Untersuchung verlangen. Danach schreien“, schloss er selber fast schreiend.
„Ich glaube, wir können es einfach unter Unverlangt eingereichtes Memorandum einordnen“, murmeln sich die Bürokraten zu. Kit ist verdattert. „Was ist mit meiner Aussage, verdammt. Ich war schließlich da. Oben am Berg. In Gibraltar. Der Mann vor Ort. Der Staatsminister wollte meine Einschätzung. ich gab sie ihm: „Nichts rechtfertigt einen Zugriff.“
Aber die Bürokraten haben das alles im Griff. „Es ist meine Pflicht, Sie darauf hinzuweisen, dass Sie sich in einer höchst heiklen Position befinden. Sie waren erklärtermaßen an einer gewissen hochgeheimen Operation beteiligt. Die Initiatoren dieser Operation sind in alle Winde zerstreut. Die Dokumentation darüber, mit Ausnahme der Ihrigen, ist lückenhaft. In den wenigen Akten ist nur ein einziger Beteiligter namentlich aufgeführt – Sie. Was im Klartext bedeutet: Sollte Ihr Dokument zu strafrechtlichen Ermittlungen führen, stünden Sie im Mittelpunkt als verantwortlicher Vertreter der britischen Krone vor Ort, und Sie würden entsprechend zur Rechenschaft gezogen.“

Glühbirnen oder Politiker – einfach auswechseln

„Der vernünftige Mensch hat gewisse Zweifel nicht“, spöttelte Robert Musil; in diesem Sinne können wir Frederick Forsyth als überaus vernünftig bezeichnen. Mit Zweifeln und Ambiguitäten, aus denen sein Landsmann le Carré ganze Romane macht, hält er sich nicht lange auf. Mir ist noch sehr präsent, wie in einer Tischrunde von BKA-Leuten die Rede auf Forsyths vorletzten Thriller „Cobra“ kam, in dem der amerikanische Präsident Drogenbarone von einer rechtsfrei gestellten Sondereinheit mit zwei-Milliarden-Dollar-Budget wie Terroristen jagen und töten lässt. Da fühlten sie sich mit- und ernstgenommen, die Ermittler. „So müsste man das machen!“, war der Tenor. Rachephantasien unserer Ohnmachtsängste sind es, die Forsyth bestsellerträchtig bedient. Und er schreckt da vor wenig zurück. Vor zehn Jahren hätte man noch die Faschismuskeule ausgepackt. Hier eine Kostprobe:

„Wenn du etwas geheim halten willst, gib der Sache einen harmlosen Namen und eine absolut langweilige Beschreibung. TOSA steht für Technical Operations Support Activity. – Unterstützende Aktivitäten für technische Operationen. „Aktivitäten“ – nicht einmal Dienst, Behörde, Verwaltung. Eine unterstützende Aktivität konnte alles sein, vom Wechseln einer Glühbirne bis zur Ausschaltung eines lästigen Dritte-Welt-Politikers. Hier bedeutete es wahrscheinlich eher Letzteres.“

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Oder folgende „Pädo“-Passage: Gelotst von einem britischen Offiziellen, der sich nicht selbst die Finger schmutzig machen will, gelangt Kit Carson zu einem Söldnerunternehmen namens Trojan Horse Outcomes, Personalstärke zwei oder drei Mann, der Firmensitz ein bescheidenes Reihenhaus in einem Londoner Vorort. Kit hat einen Auftrag für dessen Chef Brian Weller, einen ehemaligen Unteroffizier der Royal Marines. Kit legt ihm einen Klotz aus Fünfzig-Dollar-Scheinen hin, „so dick wie ein Briket“. Dafür soll er einen arabischen Geschäftsmann schnappen und festhalten, für einen Monat.

„Weller überlegte. Er hatte nicht den leisesten Zweifel daran, dass diese Entführung illegal wäre, aber seine Philosophie war einfach und soldatisch. Es gab die Guten, und es gab die Schlechten, und Letztere konnten sich einfach zu viel erlauben.
Die Todesstrafe war illegal, doch er hatte zwei kleine Töchter, die zur Schule gingen, und wenn irgendein schweinischer ‚Pädo‘ sich an die heranmachen wollte, würde er ihn ohne Zögern in eine anderen und vielleicht bessere Welt schicken.
„Wie übel ist der Kerl?“
„Er unterstützt Terroristen. Im Stillen, finanziell. Der, dem er zurzeit behilflich ist, hat vier Briten und fünfzehn Amerikaner umgebracht. Ein Terrorist.“
Weller grunzte ((wirklich, das steht da – AM)). Er hatte drei Diensteinsätze in Helmland, Afghanistan, abgeleistet und hatte dort ein paar gute Kumpel sterben sehen.

Kit Carson, das alte Frontkämpferschwein aus den Indianerkriegen

Forsyths Held, ein Marine in dritter Generation, dieser Leserschaft ist auch das Buch gewidmet, heißt allen Ernstes Kit Carson. Der Autor knüpft bewusst an das historische Vorbild, jenen Indianer-Scout, der mit unrühmlichsten Methoden der „weißen Sache“ Geltung verschaffte. Noch wenn ihn der Roman in Comic-Manier „Der Spürhund“ nennt, erinnert das an Amerikas gewaltträchtige Tradition, an einen Umgang mit „den Wilden“, den unsere westliche Zivilisation allem Fortschritt zum Trotz seit 9/11 wieder aktualisiert. „Codename Geronimo“ und ähnliche Konnotationen im „Krieg gegen den Terror“ knüpfen ganz ungeniert an die militärische Brutalität gegenüber den indianischen Ureinwohnern Amerikas, eignen sich einen Kriegergeist an, der eigentlich der anderen Seite gehörte – eine neue perverse Volte beim Wiederholen der Geschichte. (Ironischerweise wird auch le Carrés Mann aus Gibraltar „Kit“ gerufen, der aber, Sir Christopher (Kit) Probyn mit vollem Namen und ein wahrer Brite, ekelt sich fast vor dieser Kurzform.)

Forsyth kennt, wie gesagt, solche Zweifel nicht. Er singt das seit den mittelalterlichen Kreuzzügen bei uns verwurzelte Heldenlied des wagemutigen Einzelkämpfers, der mit einem kleinen handverlesenen Trupp ins ferne Feindesland zieht. „Wenn du in dieses Höllenloch gehen willst, bist du auf dich allein gestellt“, heißt es in der „Todesliste“. (Es sind dann, Forsyth ist eben Engländer, auch sechs britische Pathfinder dabei, „die nur vor der Königin salutieren“.)
Mit Forsyth schwitzt man sich keine Hemden voll, trifft auf keine nach einer Misshandlung grotesk angeschwollenen Genitalien wie bei le Carré. „Er hatte alles unter Kontrolle. Mit der Ausrüstung, die TOSA ihm geschenkt hatte, gehörte ihm die ganze Welt“, heißt es über einen Hacker, dessen Finger natürlich über die Tasten „huschen“.

„Die Bilder stammten von Google Earth, aber irgendwie hatte er sie verbessert. Aus dem All stürzte der Betrachter senkrecht zur Erde wie der tollkühne Himmelsstürmer Felix Baumgartner. Die Arabische Halbinsel und das Horn von Afrika füllten den Bildschirm und schienen dann an seinen Ohren vorbei zu rauschen, als es in rasendem Tempo abwärtsging. Schließlich stoppte der irrwitzige Sturzflug, und er schaute auf ein Dach: viereckig und hellgrau. Ein Hof schien da zu sein, ein Tor. Im Hof parkten zwei Lieferwagen.
„Der Prediger ist nicht im Jemen, wie Sie vielleicht dachten, sondern in Somalia. Das hier ist Kismaju. An der Küste am südlichen Ende des Landes“, sagte Ariel zum Spürhund.

„Die ganze Welt ein Schlachtfeld“
Frederick Forsyth

Frederick Forsyth

Forsyth ist eigentlich da am besten, wo er uns mit Fakten versorgt. Die Biographie seines 1968 (!) geborenen Helden Kit Carson ist auch eine Militärgeschichte der jüngeren Zeit, wir erhalten allerlei Lektionen, erleben die Entstehung des modernen Terrorismus und den Kampf gegen ihn im Zeitraffer. Im Vergleich mit dem umfangreich recherchierten Sachbuch „Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen“ von Jeremy Scahill weicht Forsyth in den Bewertungen, nicht aber bei den Fakten ab. „Rumsfeld brauchte eine Waffe, die nicht der Aufsicht des Kongresses unterstand“, heißt es bei Forsyth. Dies war das Joint Special Ops Command (kurz J-SOC bei Forsyth, JSOC bei Scahill), das gemeinsame Spezialeinsatzkommando, das als Echo auf Carters missglückte Geiselbefreiung in Teheran gegründet worden war und vor sich hindümpelte. „Zwei Männer sollten es in die größte, aggressivste und tödlichste Privatarmee der Welt verwandeln“, heißt es bei Forsyth. Und weiter:

„Das Wort ‚privat‘ ist gerechtfertigt, denn es ist das persönliche Instrument des Präsidenten und nichts anderes. Es kann einen verdeckten Krieg führen, ohne die Erlaubnis des Kongresses einzuholen. Sein Multi-Milliarden-Dollar-Etat kommt zustande, ohne dass der Haushaltsausschuss behelligt wird, und es kann jemanden töten, ohne dass die Generalstaatsanwaltschaft mit der Wimper zuckt. Alles daran ist streng geheim.“
Forsyths Held Kit Carson steht im Dienst dieser, wie er sie nennt, Menschenjägerorganisation. Er macht sie allerdings kleiner, als sie ist: „Sie hat nur zweihundertfünfzig Mitarbeiter und residiert auf einem Gelände im nördlichen Virginia, das als Forschungseinrichtung für toxische Chemikalien getarnt ist. Niemand kommt dort zu Besuch.“ Forsyth, aber das hatten wir schon, hält sich nicht mit Skrupeln auf, die le Carrés Protagonisten bei einem Kidnapping haben, oder gar bei den staatsrechtlichen Implikationen. Seine Devise, seine Form von Altersweisheit, ist stammtisch-simpel: „Forget what’s legal, and do what’s right.“

scahill-schmutzige-kriege-4So wie in der Wirklichkeit. Hier nun schlägt die Stunde des Investigativ-Journalisten Jeremy Scahill, dessen einem ins Mark fahrende Recherche „Schmutzige Kriege“ dankeswerterweise der Verlag Antje Kunstmann einer deutschen Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Bush, Vize-Präsident Cheney und Verteidigungsminister Rumsfeld wollten eine schnelle, vom Kongress und dem Außenministerium möglichst unkontrollierte Truppe. Die CIA hielten sie für Weicheier, bis zum 11. September besaß sie ohnehin bestenfalls 600 bis 700 operative Agenten, hatte kaum paramilitärische Kompetenz. Viele Operationen hingen von dafür ausgeliehenen Spezialeinsatzkräften ab, etwa 10.000 Mann.

Vor allem Cheney wünschte sich eine Neuauflage der „verdeckten Kriege“ der 1980er (Stichwort Iran-Contra), während Powell und das Außenministerium warnten, drängte auch Rumsfeld auf einen globalen Kriegszug: „Wir müssen die Terroristen bekämpfen, wo immer sie sein mögen. Zwei Wochen nach dem 11. September gab es bereits einen Plan namens ‚Nächste Schritte‘ – „die ganze ein Schlachtfeld, so lautete das Mantra“. Rumsfeld „ließ im Handumdrehen eine Struktur entwickeln, die es ihm erlaubte, die Generalstabschefs zu umgehen und kinetische Operationen direkt mit den Kommandanten der Kampftruppen der jeweiligen Regionalkommandos zu koordinieren“. Das JSOC, über das man sich Jahre lustig gemacht hatte und das vor dem 11. September nie eingesetzt worden war, wurde nun als ideale geheime Spezialeinheit entdeckt, deren Operationen allen anderen Instanzen von Militär und Regierung verborgen bleiben konnten. „Gemeinsame Stabstelle zur Prüfung von Anforderungen und Methoden von Spezialeinsätzen, zur Sicherstellung der Interoperabilität und einheitlichen Ausrüstung, zur Planung und Durchführung gemeinsamer Übungen und Trainings von Spezialeinsätzen und zur Entwicklung gemeinsamer Taktiken für Spezialeinsätze“, lautet die offiziöse Aufgabenbeschreibung. Eingeweihte nannten die JSOC-Soldaten dagegen Ninjas, Schlangenfresser oder schlicht Operators – Anpacker.

JSOC – Das Schwert des Präsidenten

Vor Obama gab es drei Todeslisten, nicht koordiniert, jetzt besteht, informiert uns Scahill in aller Deutlichkeit, Obama „meist darauf, die Tötungsbefehle selbst zu unterzeichnen“ – jeweils an den sogenannten Terrordienstagen. Die New York Times beschrieb das so: „Dieser geheime ‚Nominierungsprozess‘ ist eine Erfindung der Regierung Obama, es ist ein Debattierclub von Hardlinern, der die PowerPoint-Darstellungen mit den Namen, Decknamen und Biografien verdächtiger Mitglieder des al-Quaida-Ablegers im Jemen oder von dessen Verbündeten in der somalischen Shabaab-Miliz unter die Lupe nimmt.“ Die chirurgischen Tötungsaktionen sollen die „Nahrungskette“ in verschiedenen Ländern immer weiter in Richtung ihres Ursprungs zerstören.
Mitte 2010 waren US-Spezialeinheiten in 75 Ländern stationiert, abgesehen von Irak und Afghanistan hatte das SOCOM (US Special Operations Command) weltweit 4.000 Kräfte im Einsatz.
„Wir haben viel mehr Zugang zum Weißen Haus“, sagen die Kommandeure der Spezialeinheiten. Die Regierung Obama gäbe grünes Licht „für

Jeremy Scahill

Jeremy Scahill

Dinge, die die Vorgängerregierung nicht genehmigt hätte. Die Regierung ist viel eher bereit, aggressiv vorzugehen.“ Unter Obama, sagen die Informanten Scahills übereinstimmend, könne das JSOC „härter, schneller und mit der vollen Rückendeckung des Weißen Hauses“ zuschlagen.

Die Obama-Regierung macht dazu umfangreich gebrauch vom staatlichen Geheimhaltungsprivileg (State Secret Privilege). Unter dem Vorwand, die nationale Sicherheit zu schützen, wird das Tötungsprogramm weitgehend vor der Öffentlichkeit geheim gehalten – eine Praxis, gegen die viele liberale Demokaten in der Ära Bush gewettert hatten. Auch die Ergebnisse der Legalitätsprüfungen solcher Tötungen werden geheim gehalten. „Dieses Programm beruht auf der persönlichen Legitimität des Präsidenten, und das ist nicht tragfähig“, sagte der ehemalige CIA-Direkter Michael Hayden gegenüber der New York Times. Er habe sein „Leben lang auf der Grundlage geheimer OLC-Memos (Office of Legal Counsel) agiert, und das war nicht angenehm. Demokratien führen keine Kriege aufgrund juristischer Memos, die in einem Safe im Justizministerium weggeschlossen sind.“
Scahill weiter: „Obama und sein Team haben ein System geschaffen, in dem Leute getötet werden, aber man nicht weiß, auf welcher Beweisgrundlage dies geschieht, und keine Möglichkeit hat, diese Entscheidung rückgängig zu machen“, sagte der ehemalige CIA-Führungsoffizier Philip Geraldi zu Scahill. „Nicht dass es keine Terroristen gäbe, aber ich möchte den Grund erfahren. Ich möchte nicht von irgendjemandem aus dem Weißen Haus hören: ‚Sie müssen mir vertrauen.‘ Davon hatten wir schon mehr als genug.

Messer oder USB-Stick, das ist die Frage

Forsyths Welt ist simpel. Sein Ende, allen Ernstes, lautet:

„Colonel Christopher „Kit“ Carson alias ‚der Spürhund‘ schied nach Ablauf seiner Dienstzeit aus dem Marine Corps aus, heiratete eine ansehnliche Witwe und gründete eine Firma, die persönlichen Schutz für Ultrareiche auf Auslandsreisen bot. Davon konnte er gut leben, aber er kehrte nie wieder nach Somalia zurück.“

Auch als Actionschreiber war er schon besser, auf Seite 312 kommt es zum Kampf zwischen Kit und
dem Prediger. Der Bärtige benutzt nicht einen üblichen yemenitischen Krummdolch, sondern ein billao,

„ein großes, rasierklingenscharfes Messer, das nur Somalis verwenden. Zwei Schnitte mit einem Billao können ein Arm abtrennen, ein Stick, und die Nadelspitze Klinge durchdringt den Oberkörper von vorn bis hinten… aber … Der Spürhund riss sich los, holte aus und stieß zu. Seine Messerklinge fuhr glatt zwischen die fünfte und sechste Rippe auf der linken Seite. Eine Handbreit vor seinem Gesicht sah er die hasserfüllten bernsteinfarbenen Augen, die langsam einen fassungslosen Ausdruck annahmen, als der Stahl sich ins Herz bohrte. Das Lebenslicht in ihnen erlosch.
Die Bernsteinfarbe wurde im Mondlicht zu Schwarz, und das Gewicht des Predigers sank auf das Messer des Spürhunds. Er dachte an seinen Vater auf der Intensivstation, beugte sich vor, bis seine Lippen dicht über dem schwarzen Bart waren, und flüsterte: „Semper fi, Prediger.“

John le Carré

In le Carrés moralischer Komödie gibt es viele „moral shades of grey“. Kein Messer, ein simpler USB-Stick wird am Ende in einen Computer geschoben. Ein Patriot, der zum Whistleblower wird, mailt – Achtung: Spoiler! – sein Dossier an einige Zeitungen. Wird es etwas ändern? Die Posaunen von Jericho, heute sind es Polizeisirenen, die sich noch, während die Datenübertragung läuft, aus allen Richtungen auf das Haus zu bewegen. Ihr „Heulen immer schriller, tyrannischer“. Und es beginnt ihm zu dämmern, „dass er mit dem Einschalten des BlackBerrys, um die E-Mail-Adressen aufzurufen, ein Signal ausgesandt hatte, das jeder im Besitz der nötigen Technik ohne weiteres orten und anpeilen konnte, um dem unglücklichen Nutzer mit einer Rakete den Kopf wegzupusten.“
In seinem Klassiker „Tinker, Tailor, Soldier, Spy“ (Dame, König, Ass, Spion) von 1974 sagt George Smiley: „Ich habe eine Theorie, die vermutlich ziemlich unmoralisch ist. Jeder von uns hat nur ein bestimmtes Quantum an Mitgefühl. Wenn wir unser Augenmerk an jede streunende Katze verschwenden, werden wir uns verzetteln …“ In seinem Erstling „Der Spion, der aus der Kälte kam“ (1963) war jene Katze die im Stacheldraht verendende Liz Gold. 50 Jahre später besteht le Carré darauf, dass jeder Kollateralschaden einer zu viel ist. In einem Grundsatzartikel anlässlich des Roman-Jubiläums fragte er in Harper’s Magazine: „How far can we go in the rightful defense of our Western values without abandoning them along the way?“

Wie verändert der „Krieg gegen den Terror“ unser Gemeinwesen? Wie soll solch ein Krieg jemals enden, fragt sich Jeremy Scahill. Seinem Buch, dessen Untertitel im Original „The world is a battlefield“ lautet, stellt er ein Voltaire-Zitat voran: „Es ist verboten zu töten; deshalb werden Mörder bestraft, es sei denn, sie töten in Massen und zum Klang von Trompeten.“

PS. Während Forsyth seinen üblichen Dunkelmännern dankt, die lieber nicht genannt werden, erwähnt le Carré unter anderem den BBC-Journalisten und Schriftsteller Mark Urban. Der enthüllte in seinem Buch „Task Force Black“, dass englische Spezialeinheiten bei geheimen Einsätzen während des Irak-Krieges an die 400 Zielpersonen töteten und rund 3.000 gefangen nahmen. Dies als Teil einer aus Vietnam gelernten Lektion, das als Phönix-Programm eine schlechte Presse hatte: Gezielte und rücksichtslose Enthauptungsaktionen des Gegners, das systematische Ausschalten von Anführern, im Irak verfeinert vom US-General Stan McChrystal mit Hilfe von elektronischer Aufklärung, Drohnen und Handy-Ortung.

PPS. Bei Forsyth nur affimatives, bei le Carré dagegen ein breites Thema, ist die Privatisierung des Krieges. Einen britischen Elitesoldaten lässt er sagen:

„Wir handeln auf der Grundlage von Erkenntnissen, die von dieser Firma namens Ethical Outcomes kommen. Ihre Leute sind ja fein raus, klarerweise. Als Amerikaner mit Sonderstatus – nur deshalb sind sie ja ausgewählt worden. Jede Menge Kohle im Erfolgsfall, und die internationalen Gerichtshöfe kommen nicht an sie ran. Aber meine Jungs sind Engländer. So wie ich auch. Wir sind Soldaten, keine Söldner. Und wir sind nicht gerade scharf drauf, erst mal in Den Haag in U-Haft zu sitzen, weil man uns Beteiligung an einer außerordentlichen Auslieferung vorwirft, verstehen Sie? Wo wir auch noch aus den Regimentsbüchern gestrichen worden sind, um leichter einsetzbar zu sein. Das Regiment kann seine Hände jederzeit in Unschuld waschen, wenn der Einsatz schief läuft. So dass wir ganz gewöhnliche Kriminelle wären, keine Soldaten.“

CheneyBook013

Von Jeremy Scahill übrigens stammt die Studie „Blackwater: Der Aufstieg der mächtigsten Privatarmee der Welt“ (2009), eine Firma, die eng mit der Bush-Regierung verbunden war, Dick Cheney und Condoleezza Rice  lassen grüßen. Siehe auch hier.  Heute nennt der Sicherheitsmulti sich Academi, ein Deckname wie aus dem Bilderbuch.

PPPS. Die Befreiung des „Captain Phillips“ und seines Containerschiffs „Alabama“ aus der Hand somalischer Piraten, derzeit als oscar-trächtiges Tom-Hanks-Epos im Kino, war übrigens der erste JSOC-Einsatz in Obamas Amtszeit und brachte ihm viel Lob ein. Drei SEAL-Team-6-Schützen, erfahrene Sniper, hatten mit je einem Schuss im gleichen Augenblick, plop-plop-plop, drei Piraten ausgeschaltet, eine internationale Affäre effizient beendet. In den Stunden, in denen Obama dann für eine zweite Amtszeit vereidigt wurde, wurden drei Drohnenangriffe auf Terroristen geflogen.

Alf Mayer

Frederick Forsyth: Die Todesliste (Kill List). Aus dem Englischen von Rainer Schmidt. C. Bertelsmann, München 2013. 328 Seiten, 19,99 €. Verlagsinformationen zum Buch und Autor.

John le Carré: Empfindliche Wahrheit (A Delicate Truth). Aus dem Englischen von Sabine Roth. Verlag Ullstein, Berlin 2013. 392 Seiten, 24,99 €. Verlagsinformationen zum Buch und Autor.

Jeremy Scahill: Schmutzige Kriege. Amerikas geheime Kommandoaktionen (Dirty Wars: The World is a Battlefield). Aus dem Englischen von Gabriele Gockel, Bernhard Jendricke, Sonja Schuhmacher und Maria Zybak, Kollektiv Druck-Reif. Verlag Antje Kunstmann, München 2013. 720 Seiten, 29,95 €. Verlagsinformationen zum Buch und Autor. Foto: Jeff Vespa/WireImage

Tags : , , , , , ,