Blick auf die Apparate der Despoten
–Kaum vorstellbar in Zeiten von sekundenschneller Kommunikation via Email oder Chat: dass eine kleine Nachricht wochenlang unterwegs sein kann, unter abenteuerlichen Umständen, mit großer Verlustgefahr, für eine Bezahlung, die weit höher ist als ein Monatsgehalt… Von Ulrich Noller.
Genau so geschieht es aber mit dem Brief, den Salim Al-Kateb, 27, an seine Geliebte Samia schreibt. Wir befinden uns im Jahr 1999, das Internet ist eine ferne Utopie. Salim, ein Iraker, ehemals Student, ist seit zwei Jahren im Exil, wegen des Lesens eines unerlaubten Buches. Selbst unter Folter hat er damals Samais Namen nicht verraten, und jegliche Kontaktaufnahme aus dem Exil hat er sich verkniffen, aus Sorge um ihre Sicherheit. Aber die Sehnsucht frisst ihn auf, das Nichtwissen, die Fragen, was sie macht, wie sie lebt. Deshalb schreibt Salim einen Brief, der den Weg der illegalen Post des Exilanten nehmen soll: Von Reisebüros, Spediteuren und Fahrern von Land zu Land geschmuggelt, von Libyen über Ägypten, Jordanien und Syrien in den Irak; von einer „Agentur“ dann heimlich in Bagdad zugestellt. Aber natürlich wissen die Behörden über diesen verbotenen Postweg längst Bescheid …
Abbas Khider erzählt nun nicht, wie man vielleicht erwarten könnte, die Liebesgeschichte von Salim und Samia. Vielmehr folgt er der Route des Briefes – und lässt die Menschen zu Wort kommen, deren Route seine kreuzen. Zum Beispiel die von Majed Munir, 41, Chef eines Reisebüros in Kairo, der einen alten Freund sehr vermisst, nachdem dieser – vermutlich – von der Geheimpolizei verschleppt wurde. Die von Kamal Karim, Polizist, der sich, ohne schlechtes Gewissen, am Elend der politischen Gefangenen bereichert. Oder die von Miriam Al-Sadwun, 27, Frau eines irakischen Geheimdienstoffiziers, die die Zweifel nicht mehr abwehren kann, die sie regelmäßig befallen.
Er weiß, wovon er schreibt: Abbas Khider, geboren 1973, war wegen einer Nichtigkeit selbst zwei Jahre in irakischen (Folter-) Gefängnissen, bevor er im Jahr 2000 – nach einer mehrjährigen Odysee als Illegaler – politisches Asyl in Deutschland erhielt. „Brief in die Auberginenrepublik“ ist sein dritter Roman, auch hier spielen autobiographische Elemente eine bedeutsame Rolle. Allerdings beschränkt sich Abbas Khider wie schon in den Romanen „Der falsche Inder“ und „Die Orangen des Präsidenten“ nicht auf‘s Eigene und auf‘s Erinnern, vielmehr nutzt er das Erlebte und Erfahrene, um Allgemeingültiges zu filtrieren; so bittere wie zugleich auch merkwürdig komische Blickweisen auf die Apparate der Despoten nämlich.
All das ist einfach und unprätentiös geschrieben, dabei aber tiefenscharf in der Bildhaftigkeit, gewürzt mit einer Prise trockenen Witzes. Klar, sein Lebensweg ist eine fast unglaubliche Abenteuergeschichte. Aber Abbas Khider kann mehr, als einfach nur daraus zu schöpfen: Die Schreibweisen, die Perspektiven, die Themen – unter den jüngeren deutschen Autoren ist er einer der Interessantesten.
Ulrich Noller
Abbas Khider: Brief in die Auberginenrepublik. Nautilus 2013. 160 Seiten. 18,00 Euro. Foto Khider: Wikipedia Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license by Amrei-Marie.