Geschrieben am 18. Mai 2011 von für Musikmag

True Widow: As High As The Highest Heavens And From The Center To The Circumference Of The Earth; No Joy: Ghost Blonde

Unsere Autorin Janine Andert hat sich durch die Neuveröffentlichungen von True Widow und No Joy gehört. Das kommt erst einmal sehr traurig daher. Ihrem Gesichtsausdruck konnte aber entnommen werden, dass der Genuss der Alben eher zu einem seligen Glitzern in den Augen führt.

True Widow: As High As The Highest Heavens And From The Center To The Circumference Of The EarthHimmelhochjauchzend, zu Tode betrübt, glücklich allein ist, wer Shoegaze liebt

Die Revitalisierung des Shoegaze ist nicht neu und momentan eine Art Erfolgsgarant für Newcomer-Bands. Als richtige Würze eignet sich immer und in jedem Fall ein wenig elegischer Post-Rock oder Slowcore. Genre-Bezeichnungen können an dieser Stelle beliebig fortgeführt werden, Hauptsache langsam, schwer und unbedingt ein dunkel gefärbter Sound. Also, Trendalarm oder Zufall, dass True Widow und No Joy in die gleiche Kerbe schlagen? Das Rezept scheint einfach: Man gründe eine Band und gebe ihr einen traurig-düsteren Namen. Dann hole man ein paar alte Platten von My Bloody Valentine, The Jesus and Mary Chain und Mazzy Star aus dem Schrank, höre sie bis zum Umfallen, um anschließend ins Studio zu gehen und ein Album aufzunehmen. Selbstverständlich verwendet man nur das Beste und Eingängigste der benannten Genres. Gegen versehentlichen Individualitätsdrang oder progressive Neuerungen gebe man beim Abmischen Weichspüler hinzu, der Gequietsche und unhörbare experimentelle Einlagen eliminiert. Der Hall auf den Stimmen versteht sich als obligatorisches Stilelement. Damit wäre nichts neu erfunden, aber traumhaft schöne Musik eingespielt. Das ist die Stärke sowohl von True Widows als auch von No Joy: Alles kommt einem so verdammt bekannt und vertraut vor; als hätte jemand die Essenz aus vielen, vielen Lieblingsalben auf eines gepackt.

True Widow sind zunächst einmal ein Trio aus Dallas, Texas. Mystifizierend geben sie ihre vollständigen bürgerlichen Namen nicht preis, und so bleibt es vorerst bei D.H., Slim und Nikki, die mit den klassischen Rock-Band-Säulen Schlagzeug, Gitarre, Bass und Gesang in schwebende Popwelten vordringen. “As High As The Highest Heavens And From The Center To The Circumference Of The Earth” ist das zweite Album der Texaner und eigentlich ein Doppelalbum. Den neun Songs ist allerdings nicht anzuhören, dass ein Teil von ihnen zu “As High As The Highest Heavens” und der andere zu “From The Center To The Circumference Of The Earth” gehört. Es wird aber gemunkelt, dass diese Orte sehr nah beieinander liegen, weshalb eigentlich auch kein Unterschied bestehen kann. Sei’s drum, im Gegensatz zum 2008er-Debüt ist die Instrumentierung fetter ausgefallen. Schleppend begleitet das Schlagzeug dichte melodische Bass- und Gitarrenwände. Voller Wehmut schwelgen die Stimmen von D.H. und Nikki in träumerischen Sphären, die in der Tat auf wildromantische Ideen von Himmelreichen und Wolkenschlössern verweisen. Dabei dröhnt und wabbert der Bass so tief und wohlig mit, dass der ganze Körper vibriert. Dennoch ist nichts überproduziert, nichts zu viel.

Allein der ein oder andere Songtitel stammt mal wieder aus dem Gruftie-Musik-Generator. Oder wie anders lassen sich Tracks à la „Blooden Horse“, „Skull Eyes“ und „Night Witches“ erklären? Dem zum Trotz ist es ein Faszinosum, dass True Widow einfach nur „Lala“ singen könnten und es würde mitreißen. Jeder Versuch, die Texte zu verstehen, scheitert am Sich-Verlieren im Sound. Der packt ab der ersten Sekunde und geht so tief in jede Pore des Körpers, dass der Hörer wie in Trance 50 Minuten innere Landschaften überfliegt – nicht gut, nicht böse, einfach nur da.

“As High As The Highest Heavens And From The Center To The Circumference Of The Earth” beinhaltet genau das, was außen drauf steht: Himmlische Sphären. Von dort oben kann dann auf die Schuhe am Boden gestarrt werden oder, glaubt man True Widow, auf Steine. Die Band selbst bezeichnet ihre Musik nämlich als Stonegaze. Bei wem es jetzt klingelt, ja, da wären wir bei psychedelischen Wattewelten. Aber ja, auch das trifft True Widow sehr gut – auch ohne in die Hausapotheke zu greifen.

True Widow: As High As The Highest Heavens And From The Center To The Circumference Of The Earth”. Kemado Records/Cooperative Music (Universal). Die Homepage der Band. True Widow bei Facebook und auf Myspace.

No Joy: Ghost BlondeGefiepe und Musikbrei

No Joy betiteln ihre Musik wiederum mit Doomgaze, was zu der Frage führt, warum ständig neue Musikrichtungen erfunden werden müssen, wenn alte Bezeichnungen absolut genügen. Die Konsumenten sind doch nicht blöd und hören die Referenzen. Soll wohl neu und frisch klingen, das mit den ewigen Musikstilschöpfungen. Der Verweis zum Shoegaze steckt dennoch im Namen. Im Gegensatz zu True Widow geht es bei No Joy euphorischer und noise-poppiger zu. Verzerrte Gitarren gehören genauso zum Equipment wie Sprünge zwischen süßen Uh-Uhs und Ah-Ahs und rotzigen Gesangseinlagen. Die Gründerinnen und Frontfrauen Laura Lloyd und Jasamine White-Gluz sind halt Mädels, die sich da nicht auf einen Typ festlegen lassen. Anfangs als Duo mit der Distanz zwischen Montreal und Los Angeles unterwegs entdeckte sie 2009 das Label Mexican Summer auf MySpace. White-Gluz zog zurück in ihre Heimat Kanada und die Band expandierte zu einem Quartett. In weniger als einem Jahr nach der Gründung war 2010 das Debüt-Album „Ghost Blonde“ aufgenommen. Dieses fällt jedoch nicht so eingängig aus wie die verträumten Melodien von True Widow. Die zehn Tracks lassen den Hörer nicht treiben, sondern schrecken ihn immer wieder mit gebändigtem Gefiepe auf. Das führt zum Leid mit den Assoziationsketten – ganz klar My Bloody Valentine, Lush und The Raveonettes. So überrascht es wenig, dass Sune Rose Wagner von den Raveonettes an der Produktion beteiligt war.

Auf Dauer stößt man mit „Ghost Blonde“ zudem auf die allgemeinen Probleme der polyphonen Gitarrenwände: In plärrenden, kleinen Küchen-, Bad- und Auto-Radios dröhnt nur matschiger Musikbrei aus den Lautsprechern, bei dem sich der von vornherein ein bisschen in den Hintergrund tretende Gesang gänzlich verliert. Ob Bohrmaschinenmitschnitt oder eben „Ghost Blonde“ ist dann ziemlich egal. Da kann Best Coasts Bethany Cosentino diese Band lieben wie sie will.

No Joy: Ghost Blonde. Mexican Summer/Cooperative Music (Universal). Erscheint am 27. Mai. Die Band auf Myspace sowie bei Facebook. Die Website von No Joy. Weitere Infos gibt es bei bandcamp.

Janine Andert