Geschrieben am 16. November 2011 von für Musikmag

The Lost Notebooks of Hank Williams

The Lost Notebooks of Hank WilliamsÄußerster Respekt

– Dass im Nachlass von Hank Williams einige bisher unvertonte Stücke lagerten, wusste man schon lange – erst jetzt aber wurden einige bekannte Musiker eingeladen, die Songs zu vertonen. Joe Paul Kroll hat sie sich angehört.

Schon beim Öffnen der Verpackung, noch bevor man die CD überhaupt in den Spieler eingelegt hat, geben „The Lost Notebooks“ Anlass zu einem Augenblick der Rührung: Auf der Rückseite des Booklets abgedruckt ist ein Faksimile eines Songtextes, „The Love That Fadded“ (sic). Diese noch kindliche Handschrift, die Majuskeln mit mädchenhaften Kringeln verziert, ist die des 23-Jährigen Hank Williams und scheint zu dessen kantigem Gesicht so wenig zu passen wie zur zeit- und alterslosen Trauer seiner Lieder.

Es ist dies einer unter einem Dutzend Texten, ausgewählt aus dem Nachlass des in der Silvesternacht 1953 verstorbenen Sängers. Zwar wusste man lange von deren Existenz, doch es dauerte fast 50 Jahre, bis es jemand in Nashville einfiel, Bob Dylan zu fragen, ob er denn Interesse hätte, sich ihrer anzunehmen. Manche werden vielleicht bedauern, dass daraus kein ganzes „Dylan plays Hank“-Album geworden ist. Doch es gibt viele Gründe, den Entschluss zu begrüßen, andere zeitgenössische Künstler einzuladen. Eine ‚Zusammenarbeit‘ eines einzelnen Interpreten mit einem toten Vorgänger sähe nach illegitimer Aneignung aus, in der Absicht, selbst den Rang eines Nachfolgers zu beanspruchen.

Anders hingegen das Ergebnis eines Gemeinschaftsprojektes, zu dem jeder Künstler ein Stück beigetragen hat. Nun wurden für „The Lost Notebooks“ wohlweislich keine Musiker eingeladen, von denen man erwarten durfte, sie würden das Erbe des Hank Williams anders denn mit äußerstem Respekt behandeln. Nur selten kommt die E-Gitarre zum dezenten Einsatz, und die Snaredrum wird zumeist – getreu den alten Regeln der Grand Ole Opry – nur mit dem Besen gestreichelt. Doch dass alle, von Norah Jones über Jack White bis Merle Haggard, sich im Rahmen des klassischen Country-Sounds bewegen, gerade das macht die subtile Vielfalt dieses Albums aus.

Alan Jacksons Eröffnung, „You’ve Been Lonesome Too“, gibt gleichsam den emotionalen Schlüssel zum Verständnis des gesamten Albums. Darauf folgt gleich Dylans Beitrag, klanglich eins mit seinem Spätwerk. Einen Höhepunkt und einen dezenten Traditionsbruch bildet Jack Whites Vertonung von „You Know That I Know“. Musikalisch wird hier auf Williams‘ oft vergessene Beschäftigung mit dem Blues verwiesen, während Whites zittrige Stimme Zorn und Trauer elementar zum Ausdruck bringen.

So gefällig und respektvoll die Mehrzahl der Arrangements mit Geige, Dobro und Pedal Steel auch sind, so ist es doch wiederum eine weitere Ausnahme, die besonders beeindruckt: Jakob Dylans solo zur Gitarre vorgetragenes „Oh Mama, Come Home“ macht den einsamen Hank Williams gegenwärtig, irgendwo in einem schummrigen Hotelzimmer über sein Instrument gebeugt und seine Texte auf Briefpapier notierend.

Hank Williams III hätte mit seinem Image als Country-Punk wohl nicht in dieses auf Traditionspflege bedachte Umfeld gepasst, doch die Enkelgeneration ist durch Holly Williams vertreten, die in „Blue Is My Heart“ auch ihren Vater, Hank Jr., die Harmonien mitsingen lässt. Damit ist eine dynastische Legitimität gewährleistet, die wohl eher rechtlicher und kommerzieller als strikt künstlerischer Notwendigkeit geschuldet ist.

Wo is Willie Nelson?

Überhaupt: Über die Kriterien, nach denen die teilnehmenden Künstler ausgewählt oder eingeladen wurden, wissen wir nichts. Gegenüber dem vor zehn Jahren erschienenen Tribute-Album „Timeless“ fehlen einige illustre Namen, geblieben ist leider Sheryl Crow. Auf „Angel Mine“ wirkt ihre Stimme wie immer zu animiert, um es bis zu einem genuinen Ausdruck zu bringen, indes das Arrangement vom Traditionalismus in die Karikatur umschlägt. Dagegen hätte ich lieber Emmylou Harris auf dieser Platte gehört, die schon mit „Rollin’ and Ramblin’ (The Death of Hank Williams)“ (1990) dem früh gealterten, lebensmüden Sonderling Hank Williams einfühlsamen Tribut zollte. Bei einer auf zwölf Stücke beschränkten LP noch zwölf weitere Musiker ins Feld zu führen, die etwas hätten beitragen können, wäre zwar so müßig wie naheliegend, aber eine letzte Frage sei doch erlaubt: Wo ist Willie Nelson?

Verzichtbar ist auch ein Begleittext, der sich zu penetrant bemüht, Hank Williams in den Country-Mainstream zurückzuholen – ihn, der 1952 der Grand Ole Opry verwiesen wurde. Sowenig es sich ziemt, Williams‘ tragisches, trauriges, von Sucht und Depression gezeichnetes Leben als Rebellengeschichte zu verklären, so wenig überzeugend ist es, ihn als „Good Old Boy“ darzustellen, der beim Angeln mit seinen Kumpels Erfüllung fand.

Doch wie die Spannung zwischen Rebellentum und respectability gehört auch die Sentimentalität zum Wesen der Country-Musik. In „The Lost Notebooks“ wurde sie für den Schluss aufgehoben, für ein kurzes, fragmentarisches Stück über die Bergpredigt, das Merle Haggard vorträgt. Der Jesus, den Williams schildert, ist ein volkstümlicher Zimmermann, der seine Jünger anhält, auf dem Pfad der Tugend zu bleiben: „on the straight and narrow“ – eine Wendung, die man nicht ohne ironisches Lächeln vernehmen kann. So ist am Schluss alles versöhnt und alles noch offen, und so kann man diese zwar nicht perfekte, aber doch so schöne wie erfrischend kurze LP gleich noch mal von Vorne spielen, während man über solche Paradoxien nachsinnt.

Joe Paul Kroll

The Lost Notebooks of Hank Williams. Egyptian/Columbia (Sony Music). Zur Webseite der Produktion.
Emmylou Harris, Rollin’ and Ramblin’ (The Death of Hank Williams).

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