Am 7. Mai gab der amerikanische Singer/Songwriter Sufjan Stevens ein gefeiertes Konzert im Berliner Admiralspalast. Tina Manske war dabei.
Überbordend, unmaßvoll, zuviel: großartig
– Es gab wohl einige, die gedacht hatten, Sufjan Stevens, dieser sympathische, fast schüchterne junge Mann aus „Detroit und New York“ (sagt er), würde an diesem Abend einfach ein paar kleiner Lieder mit großen Melodien singen. Das waren die, die sein letztes und erfolgreichstes Album „The Age Of Adz“ noch nicht kannten. Zwei davon saßen direkt vor meiner Nase, ein Pärchen, und jedes Mal, wenn die Musik lauter zu werden sich anschickte, blickte er zu ihr, als fürchtete er, sie könne einen epileptischen Anfall erleiden. Der Blick sagte: „Sollen wir gehen, Schatz, und lieber an der Bar einen Rotwein trinken?“
Das waren aber dann auch die einzigen zwei, die am Ende dieses Abends nicht zwischen den Stuhlreihen tanzten und sich die Hände wund klatschten. Der gesamte Admiralspalast stand Kopf nach diesem fulminanten Konzert des 35-Jährigen, der auf Tour eine ganze großartige Band mit auf die Bühne gebracht hatte, inklusive zweier Posaunisten und zweier sehr gut gelaunter Tänzerinnen (die dann auch noch Sängerinnen waren, meine Güte). Überhaupt die Band: alle virtuos und prächtig zum Spielen aufgelegt, insbesondere DM Stith am Keyboard, der als Support den Admiralspalast bereits mit seinen Qualitäten überzeugt hatte, und die beiden (!) Schlagzeuger. Was für ein Sound, den die Musiker da in den Saal brachten: Phil Spector muss ein Stevens-Fan sein.
„The Age Of Adz“, ein moderner Klassiker
Das Tolle daran ist: diese Songs sind eigentlich einfache Folksongs – schält man das Gerüst aus den unzähligen Ideen, die es umgeben, dann kann man es hören. Aber das Überbordende, das Unmaßvolle, das Zuviel, genau das ist es, was „The Age Of Adz“ im letzten Jahr zum allgemeinen Kritikerliebling und insgesamt zu einem modernen Klassiker machte. Sufjan Stevens mag ja, wie er selbst sagt, von sich selbst besessen sein, aber das waren andere Genies vor ihm auch. Vielleicht können nur bei solch intensiver Seelenbeschau solche intensiven Meisterwerke herauskommen. Fast scheint sich Stevens immer ein bisschen entschuldigen zu wollen für das, was er den Leuten zumutet.
Dazu kamen Visuals, die endlich einmal genau ihren Zweck erfüllten, nämlich die Musik zu unterstützen statt von ihr abzulenken. Zeichnungen des schizophrenen Künstler Royal Robertson, dessen Werk Stevens auch für das Artwork der Platte benutzt hatte, wurden dafür von der Videokünstlerin Debra Johnson für die Bühne bearbeitet. Da flogen Raketen durch die Luft, regneten sanft Sterne vom Himmel oder schoben sich vollbusiger Comicfrauen in den Vordergrund. Durch die halbtransparente Projektionsfläche, die bei manchen Songs vor die Band heruntergelassen wurde, wurde bei den durchweg gelungenen Projektionen zudem ein schöner dreidimensionaler Effekt erzielt.
Und natürlich die Kostümierungen: Stevens zu Beginn bei „Seven Swans“ mit überdimensionalen Flügeln, die Musiker mit farbigen Tapes beklebt, die im Dunkeln leuchteten – dieses Konzert war auch eine große Glamrock-Party mit vielen queeren Dragmomenten.
Glückliches Publikum
„Es ist ja sehr schön, so ein Folksong in drei Minuten, mit einem klaren Thema. Aber manche Songs mäandern sehr lange, verändern sich immer wieder. Jetzt kommt also einer, der dauert 25 Minuten. Und ich muss euch warnen: Das ist eine Psychotherapie und ihr seid der Therapeut.“ Sprach Sufjan Stevens, nachdem er mit „Futile Devices“ einen der wenigen leisen Songs an diesem Abend angestimmt hatte, einen, der einfach nur davon handelt, wie einer seiner Liebe gesteht und wie wenig adäquat Worte in diesem Fall sind. Dann aber ging es weiter, nur noch bombastischer als die anderthalb Stunden zuvor, mit „The Impossible Soul“ das ja schon auf der Platte einer Himmels- und Höllenfahrt gleicht.
Am Ende war es dann also doch eine Therapie für alle Beteiligten – der zehnminütige Applaus nach diesem ersten langen Ende und vor der Zugabe bezeugte es. Letztere zeigte dann noch einmal den stilleren Stevens an Piano und Gitarre, bevor mit der Schlussnummer „Chicago“ und herunterregnenden Luftballons die allerletzten Dämme brachen. Blickte man von Balkon in die Menge im Parkett, so war man schier überwältigt von dem Glück, dass die Menschen gepackt hatte, die laut mitsangen und sich gleichzeitig mit einem ins Gesicht getackerten Lächeln die Ballons zupitchten.
Es wird schwer sein, jemanden zu finden, der mit Recht von sich sagen kann, dass er je sein Publikum glücklicher zurückgelassen hat als Sufjan Stevens an diesem magischen Abend.
Tina Manske
Die Website des Künstlers. Sufjan Stevens auf Myspace und bei Facebook.