Geschrieben am 7. September 2011 von für Musikmag

S.C.U.M: Again Into Eyes

Powerpathos^2S.C.U.M: Again Into Eyes

– Opulenter Pathos trifft auf Shoegaze-Gitarren, wummernden Wave-Bass und poppige Synthesizer: Eindeutig ein Fall für unsere Autorin Janine Andert, die vollkommen begeistert ist von S.C.U.Ms Debütalbum „Again Into Eyes“.

Referenzen an den Post-Punk der 80er-Jahre gehören seit geraumer Zeit zum guten Ton bei Musikern. Genauso wie Referenzen zu allen anderen Musikrichtungen und Jahrzehnten. Ein Musiker muss nicht nur seine Fähigkeiten, sondern auch seine musikalische Allgemeinbildung und seinen guten Geschmack unter Beweis stellen. Das war, nebenbei bemerkt, schon immer so. Die Frage ist eher, wie eine Band die kreative Arbeit am Debüt beschreibt – großer, intellektueller Denksport mit einem vermeintlichen Konzept für die Ewigkeit, die Verarbeitung traumatischer Erlebnisse von Liebe über Tod bis hin ins Verderben oder, wie im Fall von S.C.U.M, als „completely by accident“. So, so. Zufällig den großen Wurf versuchen – wer’s glaubt…

Seit der Gründung 2008 tourt das Londoner Quintett durch das Königreich und Europa – mit den Kills oder (was für ein Ritterschlag!) beim diesjährigen, von Portishead kuratierten ATP-Festival in London. An freien Tagen hüpfen sie schnell ins Studio und machen Krach, der ein Eigenleben zu opulenten Pop-Melodien entwickelt. Zurück zu Hause nehmen S.C.U.M an einem Boot Camp mit dem legendären Drummer und Produzenten Jim Sclavunos (Nick Cave & The Bad Seeds, Sonic Youth, Grinderman) teil. Nebenbei unterzeichnet die Band als erster Act beim neuen alten, sich wieder auf Unabhängigkeitskurs befindlichen Label Mute und wird dort von Ken und Jolyon Thomas produziert. Produzenten, in deren Vita Namen wie David Bowie, Public Image, Cocteau Twins, M83, Psychic TV und Sigur Rós glänzen. Diese Aufzählung soll kein Namedropping sein, sondern spiegelt die Einflüsse der Band wider – Musikalisches Unter-die-Arme-Greifen, das selten so eindeutig hörbar ist.

„Again Into Eyes“ ist eines der energiegeladensten Debütalben der letzten Zeit. Vom ersten bis zum letzten Ton zwingen S.C.U.M den Hörer zu innigen Karaoke- und Tanzeinsätzen. Aus den Boxen tönt ein Powerpathos, gegen den Arcade Fire höchstens als vorindustrielles Kammerquartett durchgehen. Opulenz trifft auf Shoegaze-Gitarren, wummernden Wave-Bass und poppige Synthesizer. Die tiefe, eindringliche Stimme von Frontmann Thomas Cohen erinnert in ihrem pathetisch langgezogenen Tenor an die Gruftie-Version von Suede-Sänger Brett Anderson – nun ja, allzuviele erträgliche Bands, die diesen Gesangsstil bedienen, gibt es nicht, da darf die Assoziation erlaubt sein. Die Instrumentierung verschafft einen Einblick in die musikalische Sozialisation der Bandmitglieder, die offensichtlich befanden, dass die Simple Minds auf Schwarz und Nebel getrimmt mehr Wumms und Schmackes haben. Das literarische Bild von ungebändigter Jugend, Genie und Wahnsinn kommt einem in den Sinn.

Soweit liefern S.C.U.M eingängige Melodien mit einem ordentlichen Schuss Melodramatik. Den Bandnamen muss man sich merken. Doch plötzlich denkt man „Huch!“. Hat S.C.U.M irgendetwas mit Valerie Solanas’ „SCUM Manifesto“ zu tun? Mit der Frau, die 1968 auf Andy Warhol schoss? Die lange Version des Bandnamens heißt wirklich „Society for Cutting Up Men“ (Gesellschaft zur Zerstückelung von Männern). So nannte Maurice Girodias, Verleger, Solanas’ Manifest. Ok, was also hat radikaler Feminismus mit einer aus vier Männern und einer Frau bestehenden Band zu tun? S.C.U.M sonnen sich ein bisschen in der satirischen Provokation des Manifests und dem Mythos um Solanas. Der Bandname ist eine ironische Anspielung auf den hundertprozentigen Männeranteil der Band, bevor Drummer Ruaridh Connellan durch Melissa Rigby ersetzt wurde. Hoffen wir, dass die Ausrottung der Männer nicht um sich greift und die Band in ihrer aktuellen Formation bestehen bleibt. Liebhaber tanzbarer, dunkler Töne dürfen auch in Zukunft noch viel von S.C.U.M erwarten.

Janine Andert

S.C.U.M: Again Into Eyes. Mute. Weiter zur S.C.U.M Homepage, auf Facebook und myspace. Dazu diverse Streams auf soundcloud.

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