Geschrieben am 9. Februar 2011 von für Musikmag

Rappresentas: Immerhin

Unsere Autorin Brigitte Helbling ist die Patentante eines begabten jungen Mannes namens Balu, der mit seiner Band Rappresentas gerade seine erste Platte herausgebracht hat. Und natürlich ist sie stolz drauf!

Rappresentas: ImmerhinDefinitiv ein Deal

Vor ca. einem Jahrzehnt konnte ich bei meinem blonden Schweizer Patensohn („Gottebuäb“, so heißt das bei uns) noch punkten, indem ich ihm Hip-Hop aus Hamburg zukommen ließ (Fünf Sterne Deluxe), und im Gegenzug erhielt ich Inputs zum Schweizer Hip-Hop, im einen Jahr auch live am Hiphop-Openair-Festival in Zürich, ein Anlass, den ich gut erinnere, weil morgens gegen halb vier Big Zis, eine der wenigen Rapperinnen der Szene, von der Bühne gepfiffen wurde und durch Rap-Onkel Greis aus Bern gewaltfreien Support erhielt.

Und jetzt rappt er also selber. Das erste Album ist gerade erschienen: „Immerhin“. Und ein Musikvideo: astrein, zur Song-Auskoppelung „Gang in Gäng“, das Werk einer jungen Künstlerin (Ivo Bovoric), die mit dem Clip ihr Bachelor Diplom an der Kunsthochschule Zürich erworben hat. 2010 war die Band zudem als „Beste Newcomer“ für die nicht ganz unwesentlichen Swiss Hip Hop Music Awards nominiert.

Wie die Gruppe heißt? Rappresentas

Als gute Patentante hebe ich nicht mehr als fünf Augenbrauen angesichts eines Bandnamens, der… vielleicht eine Spur bemüht ist? Aber egal. Die Band hat einiges drauf.

Ich komme mir grade vor wie 100 Jahr, mit einem rappenden Patensohn und so weiter. Und ich bin auch 100 Jahre alt, mindestens, und mein Patensohn „Balu“, Mitglied der Gruppe Rappresentas, ist die Gegenwart und die Zukunft. Außerdem ist er Koch in der Lehre. Bei Studenten scheinen „di schönä Rappresentas“ gut anzukommen (im Studenten-TV gibt’s ein Interview, die Studentenzeitung hat in ihrem Portrait zur Band deren Pressetext freudig ungekürzt übernommen) – dabei studiert von den fünf Jungs Anfang 20, die sich seit der Grundschule kennen, kein einziger.

„Jenseits von Gut und Böse tummeln sich Rappresentas durch einen spannenden Sumpf aus Rap, Gesang und Elektro. Wortgewandt, wild und selbstironisch jagen sich die vier Rapper über die Tanzhymnen ihres Produzenten und DJ‘s.“

So steht das im Pressetext zur Platte, schreibe ich jetzt auch mal ab, besser formulieren kann ich das grad nicht (und die Quelle ist ja hier genannt). Wie, frage ich mich, hat sich wohl einst die Patentante von Nico von Velvet Underground gefühlt? Und die von Jimmy Pop von der Bloodhound Gang?

„Ihre Texte – geschrieben auf dem heiklen Grad zwischen Philosophie und Banalität – vermischen sich dabei mal harmonisch und mal völlig abgedreht mit den eingängigen Instrumentals.“

Chölle oder Chies machen

Schweizerdeutsch, nebenbei, eignet sich extrem gut für schnelle Reime und Sprechtexte, diese Sprache ist Melodie, verglichen damit ist ihr steifer Vetter Hochdeutsch nicht mehr als das Knattern des ICE-Zugs, der von Hamburg nach Zürich nur 7,5 Stunden braucht, wenn die Deutsche Bahn mitmacht. Rappresentas treten gegenwärtig, Ende Januar, in ihrer Heimatstadt ständig auf. Deutschschweizer lernen Hochdeutsch in der Schule und dann, wenn sie ins Musik-Business gehen, vergessen sie es wieder, sofern sie Stütz oder Chölle oder Chies machen wollen; die macht man mit Vorzug in Dialekt, und wenn nicht in Dialekt, dann gleich Englisch. Oder Französisch. ’Allo, Stephan Eicher!!

„Und nun endlich ist es soweit! Die junge Band hat es irgendwie geschafft, ihre frischen, sexy, unerhörten Musikalien in einem vielversprechenden Album zu verpacken.“

RappresentasApropos Sex: Die Band hat welchen. Jedenfalls schreibt sie über Sex, als hätte sie welchen. (Gut. Eine Sache weniger, über die man sich als Patentante den Kopf zerbrechen muss.) Highlight der Band zum Thema: Track 8, „Sunnäbrüllamacht“ (Sonnenbrillenmacht), hübscher Beat, dezentes Elektro-Getröte. Und echt lustig! Zu dem Song meinte eine junge Bekannte: „Ich weiß nicht, ob es soviel Spaß macht, die Freundin von einem in der Band zu sein, wenn sie am Konzert diesen Song singen.“ Diese Bekannte versteht Schweizerdeutsch. Ihre sprachunkundige Freundin wiederum, ein Berliner Hip-Hop-Fan (die Platte kommt rum, Balu!) sagt nur: Klingt doch professionell, was die machen.

„Si isch am duretrülle, dänn ich han ä Sunnäbrüllä, si isch am duretrülle, ich nimm si mit dr Sunnäbrüllä …“

Liebeslieder (gibt’s da einen Unterschied? YES!) können sie auch. Kombiniert mit Feier-Song, Thema: Schnaps, Disco, „mir flüged überschall“, Partysnacks, Dancing, „Frauä a Schtangä“ und so …  schöner Groove, mit einem süßen kleinen Stimm-Überschnapper im (Chorgesang!?!)-Refrain bei „space“ und „crew“.

„Mir sind di Supernovaspaceshuttelercreew, aber – mis Supernovaspaceshuttle bisch du!“

Mehr LUV gibt’s nicht. Reicht aber.

Helden eben

Der HITSONG (Patentanten-Meinung): „No Deal“ – „Die schönschte Sache vo dere Wält sind e kei Sache: No Deal, ou näi näi, niä, niä, niä, no Deal!“besticht durch, was ist denn das, ein lieblicher Glockenspiellauf? und der Art, wie das Hauptwort/Thema lang- und unter den Rap gezogen wird, also so: Dea-hea-heal … Text wie immer in Turbo-Geschwindigkeit mit Rhymes innen, außen und drumherum; was ich davon verstehe ist entweder zutiefst zufrieden mit der eigenen Welt oder schlichtweg konservativ (oder beides). „Gnau so wiänis liäbe, so mues es bliibe, de reschte bedütet nüt für mich!“ Meine Band. Meine Songs. „Mini Kollegä“. Ganz ehrlich: Was will man mehr?

Beim genaueren Hinhören kommt es mir dann vor, als würde das glücksvolle Ran!-Ran!-Ran! der Songs ab der zweiten Hälfte des Albums eine Spur abnehmen – beinah, als hätte die Investition in die Sonnenbrillenmacht (und die Freundin immer im Publikum) in Track 8 doch einige Energie geraubt. Verlangsamt, die weiteren Songs. Ich krieg den Text jetzt schon beim ersten Hören mit. Vielleicht läuft mein Hirn auch grad schneller. Allzu viel Nachdenklichkeit („Verglüah im Nüt“, wir verglühen im Nichts) steht den Jungmännern eventuell (noch) nicht so gut wie das Klopfen gegen die Brust am Anfang, sorgt aber, wenn man will, für einen Moment des Innehaltens – „Ich bliib schtaa woni jetzte bi, und all ziänd a mir verbii“ – vor der Generalbestandsaufnahme punkto Zukunft, vgl. Track 14: „Dänn mir sind Heldä gsi“ (Denn wir waren Helden):

Eine Hymne an damals, an die Freiheit, die da war …  Als man einfach tat, was man wollte …  Sich um nichts scherte, Helden eben… Und das soll jetzt alles schon vorbei sein? Balu?

„Än letschte Blick is Chinderzimmer, villicht cheri zruck, oder gang für immer … „

Na, egal. Ich bin 100. Die „netten“ Rappresentas – jünger. Labern ein so schnelles Züridütsch, das einem schwindlig wird. Haben eine Platte draußen. „Immerhin“. Kaufen. Ich krieg Prozente (stimmt gar nicht). Ist definitiv ein Deal („Dea-hea-heal“!)

Brigitte Helbling

Rappresentas: Immerhin. Inferno Muzik. Die Homepage der Band. Rappresentas bei Facebook und auf Myspace.

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