Geschrieben am 20. Februar 2013 von für Musikmag

Nina Simone: To Be Free: The Nina Simone Story

Nina Simone_To Be FreeSchmerz und Leidenschaft

Die Sängerin und Pianistin Nina Simone (1933-2003) würde dieser Tage 80 Jahre alt. Aus diesem Anlass wurde eine Werkschau neu aufgelegt, die sich Joe Paul Kroll angehört und angesehen hat.

Es sei ein bisschen wie das Verliebtsein, antwortete Nina Simone auf die Frage eines Journalisten, was Freiheit für sie bedeute – wie das Verliebtsein jedenfalls darin, dass auch dieses Gefühl nur verstehen könne, wer es selbst empfunden habe. Zum Bewusstsein der Freiheit gehöre aber „a new way of seeing“. Und hierin trägt die vorliegende Sammlung Ihren Titel – To Be Free: The Nina Simone Story – zu Recht. Denn einen neuen Blick auf diese große Künstlerin zu ermöglichen, ist inmitten der kaum mehr überschaubaren Reissues und Compilations keine geringe Leistung. Dazu tragen zwei Akzentsetzungen wesentlich bei: zum einen auf die Jahre 1967-1974, während derer Simone bei RCA unter Vertrag stand; zum anderen auf Live-Aufnahmen. Beide Entscheidungen mögen zunächst verwundern, doch beiden gibt der Erfolg Recht.

Nina Simone veröffentlichte zwar bei RCA nicht weniger als vier Live-Alben, doch boten diese stets nur einen kleinen Ausschnitt aus ihrem Repertoire. Gerade diese Aufnahmen werden bereichert. Beispielsweise wird ein relativ wenig beachtetes Album wie It Is Finished (1974), dem Anschein nach bloße Vertragserfüllung, hier endlich als Ganzes wahrnehmbar, indem die Live-Version des Gilbert-Bécaud-Klassikers „Let It Be Me“, der auf der Original-LP unerklärlicherweise durch eine Studioaufnahme ersetzt wurde, nachgeliefert wird. Ähnlich großartig sind die Stücke zur Ergänzung von Black Gold und anderer LPs. Die unbekannten Tracks entschuldigen auch, dass so großartige Alben wie Nina Simone Sings The Blues oder Nina Simone And Piano, deren Anschaffung ohnehin jedermann empfohlen sei, vergleichsweise knapp vertreten sind.

Das Bild von Nina Simones künstlerischer Entwicklung ist auch insofern Revisionsbedürftig, als die frühen Jahre weithin als die „klassische“ Schaffenszeit gelten, während man die „Unberechenbarkeit“ der mittleren Werkphase eher den Spezialisten zumuten will. Dagegen wäre anzuführen, dass Nina Simone bei RCA nicht nur herausragende Aufnahmen einspielte, sondern auch in ihrer öffentlichen Persona zu sich fand und ihren Ruf als, wie ihr Freund Stokely Carmichael es sagte, „true singer of the civil rights movement“ festigte. Besonders eindrücklich, ja beklemmend ist Simones Auftritt im April 1968, wenige Tage nach dem Mord an Martin Luther King, auf der Westbury Music Fair, der auf dem Album mit dem resignierten Titel ’Nuff Said verewigt wurde. Dieses Ergänzt To Be Free um eine Aufnahme von „Mississippi Goddam“, das eine beinahe unerträgliche Spannung zwischen Zorn und Zuversicht enthält. Nicht nur in dieser aufwühlenden Anklage sprach und sang sie für Millionen. So hieß es in Ebony, der meinungsführenden afroamerikanischen Zeitschrift: „For she speaks not only of love, but of the black man’s pain and passion whipped to a swelling rage, filling the sung phrases with her own spirit of rebellion.

In den folgenden Jahren ging der Zorn immer mehr in Verzweiflung über. Die Rassenunruhen in den Großstädten erreichten ihren Gipfel, rasch folgten verstärkte Militanz einerseits, Drogenelend in den Gettos andererseits – eine Entwicklung, die im Dokumentarfilm The Black Power Mixtape  nachzuverfolgen ist. Doch es waren auch Jahre des musikalischen Aufbruchs. Ihr Auftritt auf dem Festival in Harlem (1969)  zeigt Nina Simone im symbolischen Herzen des schwarzen Amerika. Anstelle von Streicherarrangements begleiteten sie nun Conga und Hammond-Orgel. Gleichgültigkeit vor der Grenze, die Jazz von Rhythm & Blues trennte, hatte sie schon von Anfang bewiesen, doch nun stand sie damit für den Anfang einer neuen Ära. Als „a final attempt to reclaim jazz as popular music to be danced to and not just an art form to be curated“ bezeichnet Michael Chabon in seinem wunderbaren neuen Roman Telegraph Avenue diese Synthese aus Jazz, Soul, Funk und Rock, die um 1970 herum so üppig wie vielfältige Blüten trieb.

Zwischen Nina Simone und einem der wichtigsten Träger dieser Bewegung, dem Label CTI des ruhmreichen Produzenten Creed Taylor, kam es jedoch nur zu einer späten, kurzen Zusammenarbeit. Aus ihr ging das Album Baltimore (1978) hervor, das in der vorliegenden Sammlung mit dem von Randy Newman komponierten und von Nina Simone kongenial interpretierten Titelstück vertreten ist. Die Energie der früheren siebziger Jahre hatte inzwischen nachgelassen, und die immer stärker von Depression geplagte Nina Simone, deren Albumtitel von 1974, It Is Finished, durchaus wörtlich gemeint war, hatte sich zwar von Taylor aus dem Vorruhestand, aber nicht zurück in die USA locken lassen. Kurz nachdem Stokely Carmichael nach Guinea emigriert war, begab sich auch Nina Simone auf Wanderschaft und war auf dem Umweg über Liberia nach Brüssel gelangt, von wo aus sie ihren Gesangspart an die Van Gelder Studios in New Jersey sandte.

Doch es ist eine Nina Simone auf dem Höhepunkt Ihres Schaffens und ihrer öffentlichen Präsenz als Künstlerin, die auf der To Be Free beiliegenden DVD zu bewundern ist. Die kurze Fernsehdokumentation Nina versammelt Interviews und Live-Aufnahmen aus den Jahren 1968/69. Nina Simones Stimme zu hören, ist immer ein Glück, doch dabei auch ihre Gesichtszüge, ihre Gestik und Mimik beobachten zu können, steigert dieses Glück noch. Stimme und Gesicht scheinen bisweilen den Tränen nahe zu sein, ohne dass es je wie Effekthascherei wirkte, sondern als sei der Vortrag ohne diese Intensität, ohne die emotionale Teilnahme im Augenblick, gar nicht möglich. Und dies zu sehen lenkt weniger von der Stimme ab, als dass es Aufmerksamkeit auf dieselbe eher noch verstärkte.Nina_Simone_A

Überhaupt – diese kraftvolle, verletzliche und trotzige Stimme, um die sich doch alles drehen sollte. Ein früher Artikel  sprach von ihrem „odd style: a strange grafting of a thick, abrasive, almost masculine sound onto a sophisticated, classical music training. Her voice is a husky contralto that one writer once described as a ‘combination of Marian Anderson and Ma Rainey .’” – Wenn man schon solche Vergleiche bemühen will, wäre noch der Name Lotte Lenya hinzuzufügen. Nicht nur, weil Nina Simone sich auch das Lied der „Seeräuber-Jenny“ zu Eigen machte, sondern vor allem, weil in ihrer Stimme neben die Inbrunst des Gospel der deklamatorische, ja höhnische Tonfall der Kabarett-Chanteuse europäischer Prägung tritt. Mit dieser Stimme, die zwischen Schreien und Flüstern changieren konnte, doch deren Stärke viel eher in Nuancen lag, vermochte Nina Simone es, auch in beschwingten Stücken jedem Wort ein Oberton der Verzweiflung mit auf den Weg zu geben, auch in lebhaften, scheinbar optimistischen Liedern emotionale Fallen zu legen mit der bösen Ahnung von der Enttäuschung, welche die Welt bereithält.

So bewahren sich auch ihre größten Erfolge vor der Abnutzung durch Zeit und übermäßige Vertrautheit. Das lässt sich an den Wandlungen eines Standards wie „I Loves You Porgy“ nachvollziehen, wie auch an den Beziehungen, in die Lieder zueinander treten. Zum frühen „My Baby Just Cares For Me“, dessen Sinn durch seine Wiederentdeckung vermittels einer Chanel-Reklame nicht nur verstellt, sondern negiert wurde, verhält sich das ein Jahrzehnt später ins Repertoire auf gekommene „ Ain’t Got No/I Got Life“ gewissermaßen komplementär: dort die bloße Liebe, hier das nackte Leben. Existenzielleres Pathos lässt sich kaum in drei tanzbaren Minuten unterbringen.

Aus dem Gewirr mehr oder minder verwechselbarer, mitunter nicht ganz geschmackssicher  gestalteter  Zusammenstellungen, welche die Regale des Plattenhandels verstopfen, ragt To Be Free hoch heraus. Es wäre noch hinzuzufügen, dass es sich bei To Be Free um die willkommene Neuauflage einer bereits 2008 erschienenen Edition handelt. Für langjährige Fans ist dies eine notwendige Ergänzung zur Sammlung, die sich auch als Einführung in Nina Simones Schaffen, die ihr neue Bewunderer verschaffen sollte, anbietet. Wenn die zurzeit in Produktion befindliche und ob der Wahl der eher konventionell fotogenen Zoe Saldana als Hauptdarstellerin bereits heftig umstrittene Filmbiografie ihre Zuschauer neugierig genug macht, sich nicht mit dem zu erwartenden Soundtrack zufrieden zu geben, dann wird man sie nicht ganz verwerfen wollen. Wer aber Nina Simone in ihrem ganzen Können und ihrer wahren Majestät kennen lernen will, könnte kaum besser tun, als zu dieser Sammlung zu greifen. (Als Huldigung einer zeitgenössischen Künstlerin sei bei der Gelegenheit gleich noch Meshell Ndegeocellos Pour une âme souveraine: A Dedication to Nina Simone [zur CM-Rezension] empfohlen.)

Joe Paul Kroll

 To Be Free: The Nina Simone Story. 3CDs + DVD, Legacy/Sony Music. Zur Tracklist.

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