Meistens nur bemüht
– Christina Mohr schwelgt in dieser Woche in ihrer Kolumne in retromanischen Veröffentlichungen – die mal mehr, mal weniger gelungen sind.
„If you don´t know where you´re coming from you don´t know where you´re going!“ Diesen schönen Satz sagte Cyndi Lauper unlängst in einer Fernsehsendung, die sich, man ahnt es schon, mit den 1980er-Jahren und ihren Popstars befasste. Lauper hat natürlich völlig recht damit, dass man seine eigenen Wurzeln bzw. die Ursprünge kultureller Strömungen und Phänomene kennen sollte.
Andererseits ist es in unserer retromanischen Gegenwart sowieso kaum möglich, der Vergangenheit zu entkommen, weil sie überall hervorpoppt: Neue Musik klingt wie alte Musik, alte Musikanten nehmen aus lauter Vergesslichkeit ihre alten Alben nochmal auf oder lassen sie zumindest von den Plattenfirmen abstauben und neu verpackt wieder herausbringen. Jede jemals gelaufene TV-Serie wird auf irgendeinem Sender wiederholt oder erscheint als Super-Deluxe-DVD-BoxSet mit allen früher zu Recht herausgeschnittenen Szenen.
Und der Buchmarkt ist voll mit Generations-Memoiren und Coming-of-Age-Romanen, die fast immer in den Achtzigern spielen, weil die betreffenden Autoren langsam das Alter erreichen, in dem man sein Testament niederlegen oder eben einen Coming-of-Age-Roman schreiben kann. Womit wir bei Rob Sheffields leider ziemlich missratenem Roman „Mit Mädchen über Duran Duran reden. Ein junger Mann auf der Suche nach der wahren Liebe und einem coolen Haarschnitt“ wären.
Bemüht statt lustig
Bedauerlich ist Sheffields Scheitern vor allem deswegen, weil der amerikanische Popjournalist (Rolling Stone, VH1) vor fünf Jahren mit „Love Is A Mix Tape“ ein wirklich bewegendes Buch veröffentlicht hatte, das auf intensive und dabei angenehm zurückhaltende Weise die untrennbare Verstrickung von Pop und Leben beschrieb. Mit dem Duran Duran-Buch schießt Sheffield total über das Ziel hinaus (sofern es eines gab).
Die Rahmenhandlung ist selbstredend in den frühen bis späten Achtzigern angesiedelt und mutmaßlich autobiografisch: Irischstämmige Familie, im Zentrum der Ich-Erzähler und seine drei Schwestern, Schulpartys, Schule überhaupt, erste Lieben & Liebeskummer, erste Konzerte, eigenes Auto, strenge, aber herzliche Eltern – so weit, so gut. Verpackt in 25, nach Songtiteln benannte Kapitel, die bei Sheffields AltersgenossInnen umgehend die Erinnerungsmaschine abfahren lassen: Roxy Music, „More Than This“; The Psychedelic Furs, „Pretty In Pink“; The Smiths, „Ask“; The Go Go´s, „Our Lips Are Sealed“ und natürlich – sonst hätte der Buchtitel ja keinen Sinn – Duran Duran, „All She Wants Is“.
Die 25 Songs sind der jeweilige Anlass für Sheffields uferlose Ausführungen über Musik, amerikanische Teenie-Filme wie „The Breakfast Club“, amerikanische Literatur von „The Great Gatsby“ bis zu T.S. Eliots Gedichten, Mode, Politik und die bereits erwähnten privaten Erlebnisse. Vieles davon ist unbestritten interessant, Sheffield kennt sich super aus – aber er findet leider kein Ende und auch nur selten eine Pointe. Der große Vorzug von „Love Is A Mixtape“: es war nicht witzig und das war auch gut so.
In „Mit Mädchen über Duran Duran reden“ wäre Sheffield sehr gerne lustig, wirkt aber meistens nur bemüht, was sich bereits in der extrem herbeikonstruierten Titelthese andeutet. Dabei ist der Gedanke, dass Jungs sehr viel davon lernen können, wie sich Mädchen über ihre Lieblingsstars unterhalten, gar nicht dumm. Sheffield benutzt den originellen Aufhänger, um seine eigene Pop-Anthologie resp. Enzyklopädie zu verfassen, was er ja ruhig tun kann, aber dann sollte er keinen Roman schreiben, sondern beim Retromania-Experten Simon Reynolds nachgucken, wie man ein ordentliches und unterhaltsames Sachbuch schreibt.
Rob Sheffield: Mit Mädchen über Duran Duran reden. Ein junger Mann auf der Suche nach der wahren Liebe und einem coolen Haarschnitt (Taschenbuch, Heyne, 336 Seiten). Übersetzt von Carolin Müller. Zur Verlags-Homepage.
Very eighties!
Das musikalische Erbe der 1980er-Jahre wird seit langer Zeit gehörig ausgeweidet, minütlich erscheinen Compilations mit den besten Hits jedweder Stilrichtung, so dass auch Kleinstkinder mit dem Werk von Nena oder Kajagoogoo bestens vertraut sind. Sehr populär war in den Eighties die Maxi-Single, 12” oder Extended Version, die zu fast jedem als Hit definierten Song zusätzlich veröffentlicht wurde. Das Londoner Label ZTT („Zang Tuum Tumb”), gegründet von Produzent Trevor Horn und Journalist Paul Morley und Heimstatt von z. B. Frankie Goes to Hollywood, The Art of Noise und Propaganda war besonders Maxi-affin, der Output war enorm.
Inzwischen ist der zweite Sampler erschienen, der die besten Maxi-Versionen aus dem Hause ZTT versammelt: „The Art of the 12”, A Promotion of a Way of Life, Volume Two” heißt das gute Stück in voller Maxilänge, beinhaltet zwei CDs und 27 Tracks. Darunter Unbekanntes und Kurioses wie Anne Pigalle „Hé Stranger (Parts I, II and III)”, die ruhige Pianonummer „cadenza” oder Soundschnipsel aus dem Studio von Propaganda („Dr Mabuse der Spieler”), Mainstreampop von Paul McCartney, intellectual disco von Scritti Politti und Hits wie „Cry” von Godley & Creme.
Natürlich dürfen Frankie Goes to Hollywood nicht fehlen – ihr „Keep the Peace”-Mix von „Two Tribes” war ein signifikanter Beweis für die Kaputtheit der Achtziger: zu treibenden Dancebeats erklangen mit gemessener Stimme vorgeschlagene Hinweise, wie man sich nach einem Atomschlag im Bunker zu verhalten hatte: „If your grandmother or any other member of the family should die whilst in the shelter put them outside, but remember to tag them first for identification purposes…” Und wir tanzten uns den Hintern ab dazu, Oh Mann… so very eighties!
The Art of the 12“. Union Square Music (Soulfood).
Nett, aber aussagelos
Weniger ambitioniert, sondern eine eher zusammenhangslose Sammlung von Achtzigerjahre-Hits in Maxiversionen ist die fünfte und sicherlich noch lange nicht letzte Ausgabe von „Pearls of the 80’s” – hier findet man „Rapture” von Blondie im zehnminütigen „Special Disco Mix”, „Money´s Too Tight (To Mention)” von Simply Red, Hits von Billy Idol, New Order, Howard Jones, Alphaville, Culture Club, Lionel Richie, ABC, Ultravox, Bananarama… nett, aber aussagelos. Für die Retro-Party mit den Kollegen geeignet, für die rückhaltlose Aufklärung biografischer und gesamtgesellschaftlicher Ereignisse allerdings nicht.
Pearls of the 80’s Vol. 5. DA Music. Oben: Video Culture Club, The War Song
Punk als Haltung
Wir gehen noch weiter zurück: das britsche Label Year Zero und sein Mutterhaus Future Noise Music haben sich auf das Bergen musikalischer Schätze verschiedener Epochen spezialisiert. Der Autor und Musikjournalist Kris Needs (z. B. ZigZag Magazine) hat für Year Zero zwei jeweils zwei CDs umfassende Sampler zusammengestellt und mit dicken Begleitbooklets versehen, die für ihn die Ursprünge von Punk nachzeichnen.
Das ist zwar keine so wahnsinnig neue und originelle Idee, aber „Dirty Water. The Birth of Punk Attitude“ (Vol. 1 & 2) sind so vollgepackt mit toller Musik, dass es eine wahre Freude ist. Wie gesagt: man hat vielleicht schon mal davon gehört, dass Iggy Pop der „Godfather des Punk“ sein soll – die unfassbar verdaddelte, verdrogte, endlose Live-Aufnahme vom Stooges-Song „Do You Want My Love?“ ist nichtsdestotrotz eine ziemliche Überraschung. Needs‘ Know-How und Plattensammlung sind unerschöpflich, weshalb seine Compilations ausgetretene Pfade zugunsten allerlei Nebenarmen verlassen: der titelgebende Song „Dirty Water“ von der amerikanischen Garagenband Standells lässt Punk als Haltung viel früher beginnen als es die bisherige Geschichtsschreibung tat, und überhaupt findet Kris Needs viel Punk im guten alten Rock’n’Roll: bei Gene Vincent und Eddie Cochran zum Beispiel, den Seeds und natürlich auch den Monks. Mott the Hoople und Dr. Feelgood bedeuten für den Brit-Punk gewiss mehr als der US-Variante, die von Needs mit MC5, Suicide und den New York Dolls abgedeckt wird.
Noch interessanter als „Dirty Water Vol. 1“ ist der Nachfolgesampler, der sich vom Rock fast vollständig löst und noch mehr geniale Querulanten aus Jazz, Funk, Folk, Blues und Kraut wie Parliament, Faust, Bo Diddley, Tapper Zukie, Albert Ayler und Woody Guthrie featuret. Needs hat aber auch ein Herz für poppige und queere Acts und vergisst nicht, David Bowie, Blondie, Jayne County, Blue Cheer und Silver Apples für ihre Punk-Verdienste zu würdigen. So macht Retromanie Spaß – wer Fragen zu den Songs und Bands hat: einfach in Kris Needs‘ Booklets nachlesen, da steht alles drin.
Kris Needs presents: Dirty Water. The Birth of Punk Attitude Vol. 1 & 2. BoxSets + Buch. Year Zero. Zur Homepage.