Geschrieben am 15. Juni 2011 von für Musikmag

Jamie Woon: Mirrorwriting

Jamie Woon: MirrorwritingSoul, der keinen Hype braucht

– Zusammen mit James Blake ist Jamie Woon eine der großen Hoffnungen der britischen Elektrosoul-Szene. Tobi Kirsch hat sich das neue Album angehört.

Wenn es einen Trend gibt in der aktuellen elektronischen Musik, ist es der, den Klängen Raum zu lassen. Reduktion aufs Wesentliche, bloß nichts überfrachten. In dieser Richtung ist auch Jamie Woon unterwegs, der zweite Gesangshype nach James Blake. Beiden gemeinsam ist eine Vorliebe für Pausen im richtigen Moment. Die Beatproduktion bei Jamie Woon ist einiges konventioneller als bei Blake, er mag es auch gerade, daher hinken die Vergleiche häufig. Zudem ist er viel stärker poporientiert, die Single „Lady Luck“ ist ein echter Ohrwurm, aber ein guter mit tollen Breaks und interessantem Arrangement. Den Einfluss von Todd Terje, der Disco wieder groß gemacht hat, ist hier ablesbar. Die Ballade „Shoulda“ ist gesanglich von aktuellem R´n’B beeinflusst, fußt aber auf anderen Beats. „Spirits“ zeigt die ganze Vielfalt von Jamies Stimme über scheppernden Klängen und ordentlich Hall. So geht es weiter, man könnte „Mirrorwriting“ auch die Konsensplatte nennen, zumindest für die Menschen, denen Soul nicht fremd ist und die sich mehr Wärme in der elektronischen Produktion wünschen. Beide Elemente werden hier äußerst harmonisch zusammen geführt.

Im Presseinfo wird von „abgründigen Räumen“ geredet, die kann ich nicht erkennen, aber eine sehr gekonnte Produktion, die eine tolle Stimme zur vollen Entfaltung bringt. Am schönsten ist eine Nummer wie „Tomorrow“, die eher beim dritten Hördurchgang ihre Hitqualitäten auspackt. Die Anschlussversuche an Dubstep, die unternommen werden und dem Künstler nicht fremd sind, wirken leider konstruiert. Man könnte die Platte auch einfach als das stehen lassen, was sie ist: Große Kunst, die aus der Kombination von Soul mit soliden elektronisch erzeugten Klängen entsteht. Hipness schadet der Rezeption guter Musik nur, weil sie in den Zirkeln der Nerds und Besserwisser verharrt. Besser käme auch in der Rezeption eine Besinnung auf das Wesentliche. Jamie Woon ist mit seiner einzigartigen Stimme ein guter Kandidat für den ganz großen Pop. Er ist auf einem guten Weg.

Tobi Kirsch

Jamie Woon: Mirrorwriting. Polyvinyl (Universal). Der Musiker bei Facebook und auf Myspace sowie Jamie Woons Website.