Geschrieben am 14. Mai 2014 von für Musikmag

Zukunftsmusik – Interview mit Michael League

Ein Gespräch mit Michael League beim Jazzfest Gronau

Von Christiane Nitsche

Beinahe läuft man vorbei an ihm im Gewusel des Catering Rooms backstage: Michael League ist auffallend klein und schmal, und wenn er seine Lockenmähne gerade mal wieder gestutzt hat, übersieht man ihn fast. Dabei schickt er sich an, ein ganz Großer zu werden: Der Gründer und Bassist der texanischen Fusion-Formation Snarky Puppy hat mit eben diesem vielköpfigen Kollektiv zu Jahresbeginn den begehrten Grammy Award für die beste R&B-Nummer eingeheimst: „Something“ mit der Multi-Vokalistin Lalah Hathaway. Das ist kein Zufall und hat längst nicht nur mit der großartigen Leistung Hathaways zu tun.

Der eigenwillige, beinahe symphonische Fusion-Sound von Snarky Puppy, angetrieben von Michael League am Bass als Motor, Komponist und Arrangeur, nimmt selbst jene gefangen, die sonst mit Jazz nichts anfangen können. Weltmusik, Funk, Motown, mitunter sogar Elemente aus Rock und Pop, mal ein Bass-Zitat von George Clinton, mal eine Keyboard-Phrase, die von Supertramp stammen könnte, viel Stevie Wonder: Das alles verarbeitet League mit seinem bis zu 30-köpfigen Ensemble zu etwas gänzlich Neuem und lockt damit Scharen von jungen Musikern ins Publikum.

Festival fürs Hören und für den Hintern

„Das Mischen von Stilen machen ja viele“, meint Festivalleiter Otto Lohle vom Kulturbüro Gronau. Das Gronauer Jazzfest, das 2013 sein 25-jähriges Bestehen gefeiert hat, ist bekannt dafür, dass es nicht nur die Großen des Jazz Jahr für Jahr in den tiefen Westen der Republik lockt, sondern auch Trends nachspürt und sein Publikum immer wieder zu überraschen weiß. „Die Breite unseres Programms ist bewusst so gehalten, dass wir mit Ausnahme von modernem Jazz vieles ausprobieren“, sagt Lohle dazu. „Um ein Festival am Leben zu halten, musst du heute drei oder vier Hörkonzerte für Puristen machen und drei oder vier, wo die Besucher auch den Hintern bewegen können.“ Als Lohle die „Pups“ verpflichtete, war von Grammy Award noch keine Rede. „Grandios sind einfach die Arrangements und die Unbekümmertheit, mit der sie das präsentieren. Mir hat das ausgesprochen gut gefallen. Das hat Zukunft.“

Lohle wurde durch Artikel in der Fachpresse und Tipps von Musikstudenten aus dem benachbarten Enschede auf Snarky Puppy aufmerksam. In den Niederlanden gelten sie schon länger nicht mehr nur als Geheimtipp – haben sie doch die letzten beiden ihrer DVDs dort aufgenommen: „We like it here“ – soeben erschienen – und eine Kooperation mit dem Metropole Orkest, auf die sich die stetig wachsende Pups-Gemeinde jetzt schon freut.

Hartmut Springer, Blende-64.de

Christiane Nitsche und Michael League. Foto: Hartmut Springer, Blende-64.de

Tell your Friends

„Die ganze Idee von Snarky Puppy ist, einen einmaligen Sound zu haben, der besonders ist und nach Snarky Puppy klingt“, sagt Michael League im Interview kurz vor dem Auftritt beim Jazzfest Gronau. „Aber ein Teil davon ist auch, ungeheuer flexibel zu sein – mal mit einem Musiker aus Zentralafrika zu spielen und seine Musik zu tragen, dann mit acht Sängerinnen und Sängern zu spielen und dabei in jedem Stück ein anderes Genre zu bedienen – und dann mit einem Symphonieorchester zu spielen.“ So geschehen mit Bukuru Celestin aus Burundi auf „Amekeni“, mit dem Grammy-gekrönten „Family Dinner“,beide 2013 erschienen, und eben auf der nächsten DVD, die die Arbeit mit dem Metropole Orkest dokumentiert.

Die Idee, nicht einfach Studio-Alben zu veröffentlichen, sondern Platten als DVD zu produzieren, im Rahmen von Live-Studiokonzerten mit Publikum, brachte den entscheidenden Schritt. „Solange wir Alben machten, hatten wir keinen Erfolg“, sagt League. „Der kam mit den DVDs. Da begannen die Leute, von uns zu hören.“ Mit „Tell your Friends“ begann 2010 – nach drei Studioalben – der Erfolg. „Wir begriffen, dass das wahrscheinlich das beste Format für unsere Alben ist. Also haben wir es einfach immer wieder gemacht.“

Von wegen puppy

Erfolg wird da beinahe zur Randerscheinung. „Wäre Erfolg von Bedeutung gewesen, hätte ich keine Instrumentalband mit 30 Mitgliedern gegründet. Eigentlich ist das finanzieller Selbstmord. Wir hatten einfach Glück, dass es funktioniert hat.“ Der Grammy sei für ihn in erster Linie ein Instrument, das ein breiteres Publikum für sie öffne. „Er ist aber auch ein Mittel, der Band den guten Ruf und den Respekt für jahrelange harte Arbeit zu gewähren.“ Innerhalb der Band habe die Auszeichnung kaum etwas geändert. „Keiner denkt besser oder schlechter über uns – mit Grammy oder ohne. Sie würden sich wundern, wie wenig er an der Interaktion in der Band verändert hat. Ich würde sagen, er hat eigentlich gar nichts verändert.“

Von außen betrachtet sehe das anders aus. „Was der Grammy verändert hat, ist wie andere Leute uns sehen. Wir wurden von der Musikwelt Ewigkeiten ignoriert. Wer würde schon Leuten Aufmerksamkeit schenken, die Instrumentalmusik machen, die eigenartig ist und nicht zugänglich?“ League lacht. „Ok, sie ist zugänglich, aber sie ist nicht „puppy“ – nicht wie Britney Spears.“ Jetzt genieße die Band Respekt. „Unmittelbar. Es macht es einfacher, etwas besser bezahlt zu werden, bessere Hotels zu bekommen, bessere Reisemöglichkeiten. Und das macht das Leben um einiges leichter, wenn man zehn Monate im Jahr auf der Straße verbringt.“ Wieder lacht League: „Es ist ein großer Unterschied, ob man das Zimmer mit jemandem teilen muss oder ein eigenes Zimmer bekommt. Und ein 3-Sterne-Hotel ist ein großer Unterschied zu einem 1-Stern-Hotel.“

Kollektive Musik für ein Leben

Snarky Puppy ist Leagues Lebensprojekt. „Ich habe diese Band aufgebaut, damit sie hält bis ich sterbe“, sagt er. „Mit dem Mantra, das sie hat.“ Einigermaßen bemerkenswert, wenn das einer sagt, der es als kaum 20-Jähriger startete: „Die Band begann, als wir am College waren, 2004, an der University of Texas, und ich schrieb Musik. Ich hatte neun meiner Freunde um mich versammelt, die diese Musik jede Woche bei mir zuhause spielten. Dann begannen wir, Gigs zu spielen, nahmen eine CD auf. Es war wirklich einfach eine College-Band.“ Dass daraus ein Kollektiv wurde, lag daran, dass er keine Gigs habe absagen wollen. „Mit der Zeit bekamen wir es mit viel besseren Musikern zu tun. Nein, ich sollte nicht sagen ‚viel besser’ – wir bekamen es mit versierteren Musikern zu tun, Profis, die in der Szene von Dallas etabliert waren. Jungs aus der R&B- und Gospel-Welt. Die waren auch sehr beschäftigt mit anderen Projekten und Touren. Wenn einer nicht spielen konnte, heuerte ich einen anderen an. So wurde irgendwann ein Kollektiv daraus. Am Ende hatten wir an jedem Instrument drei oder vier Leute, die unsere Musik spielen konnten. Aber eine Kernbesetzung spielte praktisch jeden Gig. Und das tun sie noch heute.“

Familiar Faces

Auch bei der aktuellen Tour sind die meisten Gesichter bekannte Pups: Robert „Sput“ Searight (Drums), Nate Werth (Percussion), Bill Laurance (Keyboards), Cory Henry (Keyboards), Bob Lanzetti (Gitarre), Mike Maher (Trompete), Jay Jennings (Trompete), Chris Bullock (Tenor-Sax) – jeder einzelne von ihnen kann eine Liste von Ausnahmemusikern vorweisen, mit denen er bereits gespielt hat. Maher und Laurence haben jüngst viel beachtete Solo-Alben herausgebracht.

„The Fam“ – die Familie – ist das, was Snarky Puppy laut League am meisten von anderen Bands unterscheidet. „Wir sind eine Gruppe von Freunden, die sich mehr als zehn Jahre kennen, die zusammen getourt sind und weit mehr als 1000 Konzerte zusammen gespielt haben.“ Das bedeute bei jeder Show, zwölf Stunden aufeinander zu hängen. „So funktionieren Touren. Wir sind nicht wie die meisten Jazz-Bands, wo gebuchte Leute zusammen kommen und einen Gig spielen. Es ist wirklich wie eine richtige Familie – Menschen, die eine halbe Dekade mehr oder weniger dauerhaft zusammen gelebt haben. Wir haben in zehn Jahren sieben oder acht Jahre getourt – wirklich hart getourt, in den letzten drei oder vier Jahren vielleicht acht bis zehn Monate pro Jahr. Das ist es wohl, was den Unterschied macht: wie gut wir uns kennen als Menschen und Musiker. Das gibt der Band eine andere Chemie als den meisten anderen Bands.“

Die überträgt sich bei den Live-Gigs unmittelbar. Leagues lebendige Mimik kommentiert jeden Ton. Und es wird gelacht auf der Bühne. Viel gelacht.

_CNI5433Das beste Gefühl der Welt

„Ich habe nie Drogen genommen oder eine Abhängigkeit von irgendwelchen Substanzen gehabt“, erklärt League. „Das, wovon ich mir die größte Abhängigkeit vorstellen kann, ist Musik. Wenn ich ihr zuhöre, fühle ich mich, als nähme ich Drogen. Wenn ich spiele, fühle ich mich genauso. Ich glaube, es ist definitiv eine Art Besessenheit, eine Sucht.“ Für einen Moment wird League nachdenklich. „Aber ich glaube, die Wurzel dafür ist nicht notwendigerweise die Musik selbst, sondern eher der Akt des Kreierens – womöglich wie ein Akt der Geburt. Als Mann werde ich nie wissen, wie es ist, zu gebären, aber in der Musik steckt meine Beziehung dazu. Ich habe eine intimere Beziehung zur Musik als zu irgendetwas sonst, also fühle ich mich stärker darin, aber ich glaube, es ist dasselbe wie bei einem Gemälde, einer Skulptur oder einem Gebäude: Wenn da eine Idee in deinem Kopf ist und du gibst ihr Leben, kannst sie kreieren, sie wird greifbar – dann ist das eines der besten Gefühle der Welt. Vielleicht ist es das beste Gefühle der Welt.“

Die Farben der Musik

Offenbar eines, das ausreicht, League zum Music Maniac werden zu lassen. Inzwischen in New York beheimatet, hat League seine Finger in so ziemlich allem, was nach guter Musik aussieht, riecht und klingt. Er spielt in rund 20 Bands, produziert auf großen wie auf Independent Labels und hat 2012 sein eigenes gegründet: „GroundUP“ Daneben setzt er sich auf vielfältige Weise für musikalische Erziehung und Bildung ein, „um jeden Preis und auf allen Niveaus“, wie er bei der Dankesrede anlässlich der Grammy-Verleihung sagte. Er unterrichtet als „Artist in residence“ am Virginia’s Jefferson Center for the Arts in Roanoke und am Institute of Contemporary Music Performance in London. Er besucht Schulen und unterrichtet Studenten, wann und wo immer er kann. Dabei ist ein Begriff wie „Perfektion“, keiner den er auf Musik anwenden wollte. „Ich glaube, Musik ist irgendwo da draußen in der Atmosphäre und du greifst danach. Je nachdem, wo du auf deiner Reise als Musiker gerade bist oder in deinem Leben als Mensch, ist diese Farbe gerade die, in der du interpretierst, was über dir schwebt“, sagt er. „Ein perfektes Musikstück ist eines, das am genauesten wiedergibt, wo du gerade stehst im Leben – als Musiker und als Mensch. Ich veröffentliche nie etwas, von dem ich nicht denke, das es Wert ist, es sich anzuhören. Aber ich habe nie das Gefühl gehabt: Das ist es! Ich bin ständig auf der Suche.“

Christiane Nitsche

Snarky Puppy bei Facebook. Zum Jazzfest Gronau.

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