Geschrieben am 15. April 2015 von für Musikmag

Interview mit Colleen

Foto: Iker Spozio

Foto: Iker Spozio

Eines der besten elektronischen Alben dieses Frühjahrs.

Mit „Captain Of None“ präsentiert die französische Musikerin Cécile Schott eines der besten elektronischen Alben dieses Frühjahrs. Und das mit einer barocken Viola da Gamba im Zemtrum! Oder ist die Platte eher ein akustisches Album mit elektronischer Unterstützung? Die Grenzen sind fließend bei Colleen. Tina Manske hat da ein paar Fragen…

TM: Mir scheint im Opener „Holding Horses“ wählst du eine sehr kinematografische Heransgehensweise – würdest du da zustimmen?

CS: Ja, ich finde es sehr wichtig, mit dem ersten Song die „Bühne zu bereiten“, sozusagen. Ich brauchte ein wenig Zeit, um herauszufinden, welcher es sein sollte, und irgendwie fand ich, dass diese ständig sich ändernde Basslinie in „Holding Horses“ sich anhört wie jemand, der dir eine Geschichte erzählt, die du nicht ignorieren kannst. Die Loops im Hintergrund dagegen erinnern mich an mein allererstes Album „Everyone Alive Wants Answers“, mit dem großen Unterschied, dass ich nun verantwortlich für alle Sounds bin (beim ersten Album waren 99 % Samples von anderen Platten). Neu ist auch, dass es den ganzen Song hindurch diese Live-Effekte gibt, und auch diese Distorsionseffekte in der Mitte. Diesen Songs als Opener zu wählen sagt dem Hörer also: Dieses Album ist vielleicht nicht so hübsch als das, was du bisher von mir gewöhnt bist, es enthält einige neue Elemente. Es gibt da eine Spannung, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und die Ohren einstimmen soll auf die weiteren Stücke.

Deine Verwendung von Reverbs und Dubs ist sehr interessant – wie kamst du auf diese Idee?

An jamaikanischer Musik und insbesondere Dub war ich zu verschiedenen Phasen meines Lebens interessiert: zunächst als kleines Kind, weil meine Eltern eine Kassette gekauft hatten mit vielen Songs von Lee Perry/Upsetters aus den Jahren 1976 bis 1978. Diese Kassette hörten wir so oft im Auto, dass sie sich ganz sicher in meinem Gehirn festgesetzt hat, auch wenn ich das erst viel später bemerkt habe. Als Twen habe ich jede Menge jamaikanische Musik und Re-Releases gekauft und geborgt, von Labeln wie Soul Jazz oder Blood and Fire. Ich war sehr interessiert, aber in meine Musik ließ sich das damals noch nicht integrieren, weil ich besessen war von akustischen Sounds, und damals erschien das völlig inkompatibel. Während der Aufnahmen zu meinem vierten Album „The Weighing Of The Heart“ 2012 beschäftigte ich mich wieder mit jamaikanischer Musik und dachte: Jetzt habe ich doch die Instrumente, das Handwerkszeug und die Technik, um die Brücke zwischen akustischen Instrumenten (in meinem Fall die Viola da Gamba) und elektronischen Bearbeitungen wie Echos und Delays zu schlagen. Beim zuletzt aufgenommenen Song dieses Albums – „Breaking Up The Earth“ – habe ich es dann ausprobiert und fühlte mich richtiggehend befreit durch die Verwendung von Delay und überhaupt das Studio als weiteres Instrument. Ich war so beeindruckt und so begeistert von der Freiheit und dem Erfindungsreichtum der jamaikainischen Produzenten, dass ich mich bewusst dafür entschied, ihrem Beispiel zu folgen – ich würde weiterhin meine Musik machen, mit meinen Instrumenten und meiner Stimme, aber versuchen, meine selbstgewählten Grenzen zu überschreiten. Am Ende sind es doch immer wir selbst, die uns Grenzen auferlegen, und wir selbst sind es, die diese Grenzen sprengen können! Das gilt natürlich für alles im Leben, aber besonders auch im künstlerischen Zusammenhang.

colleen_captainofnoneHast du irgendwelche Vorbilder oder musikalische Helden?

Davon hatte ich in meinem Leben so einige; auf meinem neuen Album finden sich Einflüsse von Arthur Russell und einer Menge jamaikanischer Produzenten und Künstler, darunter Lee Perry, King Tubby, Augustus Pablo, Burnung Spear und Bullwackie. Arthur Russell habe ich zuletzt gar nicht mehr so oft gehört, dafür aber umso mehr zwischen 2010 und 2012. Er war ausschlaggebend dafür, dass ich mit Gesang arbeitete und viele Effekte an einem akustischen Instrument versuchte. Bevor ich seine Musik kannte, hatte ich Angst, meine Viola könnte künstlich klingen, wenn ich zuviel Delay einsetzte. Er brachte mich darauf, dass sie ein ganz anderes Instrument werden konnte und dass mich das zu ganz neuen Möglichkeiten der Komposition, des Spiels und der Produktion meiner Musik führen würde. Er war definitiv eine riesige Inspiration.

Besonders bei „I’m Kin“ habe ich das Gefühl, dass die Lyrics einen großen Einfluss auf die Komposition haben. Wie läuft denn der Arbeitsprozess bei dir normalerweise?

Oft beginne ich mit der Musik und summe einen Vokalpart, erst dann kümmere ich mich um den Text – entweder blättere ich mein Notizbuch durch, in dem ich Ideen festhalte, oder ich schaue, ob ich durch die Musik zu neuen Texten inspiriert werde. Bei „I’m Kin“ war das etwas anders: Ich wollte einen Song schreiben über all die verschiedenen Arten, wie ich mich mit anderen Menschen aus der Vergangenheit oder über große Distanz verbunden fühle, oder mit anderen Tieren (im Song wähle ich Hunde, obwohl die Zeile „I’m kin to what I tread on“ sich auch auf alle Insekten und Tiere bezieht, die unter der Erde leben), und sogar mit den Elementen (Feuer, Wasser, Steine).

Ich finde es großartig, mit welcher Verve du „This Hammer Breaks“ am Ende zerstörst. Woher kam die Idee für diese Perkussionsorgie – und sind das wirklich Morsezeichen am Schluss?

„This Hammer Breaks“ basiert auf einem nubischen Rhythmus, den ich auf einer Rahmentrommel eingespielt und dann beschleunigt habe. 2012 habe ich ein paar Perkussionsinstrumente gekauft, um zu sehen, wohin mich das führen würde. Bisher habe ich mich noch nicht so sehr damit auseinandergesetzt, wie ich das gerne tun würde – vielleicht ist das was für die Zukunft -, aber die Beschäftigung damit hat mir neue Herangehensweisen zu nichtperkussiven Instrumenten und besonders zur Viola da Gamba eröffnet. Ein Wendepunkt war es für mich zum Beispiel, als ich begann, meine Diskantviola in einer rhythmischen Art und Weise mit den Fingern zu zupfen.

Foto: Iker Spozio

Foto: Iker Spozio

Aber um zu deiner Frage zurückzukommen: Ich liebte den Sound des beschleunigten Rhythmus und versuchte sofort darauf zu singen, um es dann in einem Intrumental auslaufen zu lassen mit extremem Delay. Ich konnte kaum glauben wie vielseitig ein einzelner Drumloop klingen kann, wenn man extreme Delayeinstellungen wählt. Was man am Ende hört, sind keine Morsesignale (obwohl es sich wirklich danach anhört!), sondern die Antwort des Delays, wenn ich den Loop in einer bestimmten Einstellung des Delays stoppe: es gibt dann nur noch dieses verrückte Gepiepe, und mit einem letzten Dreh erreichte ich diesen „Das-ist-das-Ende-der-Welt“-Alarmsound.

Bitte entschuldige meine Frage, die vielleicht ein wenig nach Klischee klingt: Findest du es schwierig, dich als Frau in der von Männern dominierten Welt der elektronischen Musik durchzusetzen?

Zunächst einmal sehe ich Musikmachen nicht als Wettbewerb: in den Kreisen, in denen ich als Musiker verkehre, gibt es keine Gewinner oder Verlierer, wir sind alle „kleine und mittlere“ Musiker, also in meiner Definition „Musiker, die von ihrer eigenen Musik leben können, die aber keine Fantasiebeträge ausgeben können für teure Studios, die keine großen Liveshows haben und sich größtenteils selbst managen“. Ich glaube wirklich, dass da für jeden Platz ist und dass keiner dem anderen sein Publikum wegnimmt.

Einer meiner Vorteile ist glaube ich auch, dass meine Musik sehr schwer in eine Schublade zu stecken ist: manche nennen es elektronisch, aber ich weiß nicht, ob das passt, immerhin verwende ich nur akustische Instrumente. Andererseits spielen Loops in meiner Musik eine große Rolle, und sie enthält mittlerweile alle möglichen Effekte, was wieder für den Begriff „elektronisch“ spricht. Es ist nicht Neo-Klassik, kein Jazz, kein Folk, Pop auch nicht… Ich fülle einfach meine eigene kleine Nische. Das merke ich auch daran, dass ich für Veranstaltungen aus allen möglichen Kontexten gebucht werde, und das Publikum besteht aus Menschen mit sehr unterschiedlichen, eklektischen Geschmäckern und der verschiedensten Altersgruppen.

Was das Frauenthema angeht: Ich sehe mich in erster Linie als Individuum. Ja, ich bin eine Frau, aber das ist nicht das erste, an das ich denke, wenn ich definieren soll, wer ich bin. Auf die Musik bezogen heißt das, ich bin Komponist, Interpret, Texter, Aufnahme- und Mischtechniker und Produzent. All das hat nichts damit zu tun, dass ich weiblich bin, und wenn ich andere weibliche Künstler bewundere, dann nicht dafür, dass sie weiblich sind, sondern dafür, was sie künstlerisch erreicht haben.

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