Geschrieben am 9. Oktober 2013 von für Musikmag

Gespräch mit Anna Calvi

Calvis Vorbilder sind Captain Beefheart, Django Reinhardt, Jimi Hendrix und Scott Walker, ihr Talent wurde von Brian Eno entdeckt, der ihr erstes Album mitproduzierte. Doch im Grunde braucht Anna Calvi keine berühmten Mentoren, ihr Können spricht für sich. Von Christina Mohr

Foto: Roger Dekker

Foto: Roger Dekker

Lustig kann sie auch

Ich spreche mit Anna Calvi einige Stunden vor ihrem Konzert am 29.9.2013 im Berliner Heimathafen und bin überrascht: ihre Stimme, die live und auf Platte so unglaublich voluminös und stark klingt, wirkt am Telefon ganz zart und leise. Vielleicht ist die 33-jährige britische Gitarristin und Sängerin von den Promo-Auftritten und -Interviews zu ihrem neuen Album „One Breath“ aber auch nur schlicht erschöpft und will ihre Stimme nicht über Gebühr strapazieren – verständlich, denn es kann durchaus vorkommen, dass bei allzu großer Müdigkeit die Stimme ihren Dienst versagt.

Ein Rezept dagegen hat sie aber nicht, sie verlässt sich bei Auftritten auf kaltes klares Wasser und sonst nichts. Überhaupt ist ihr Vorbereitungsprogramm vor Konzerten äußerst unprätentiös: „Die Band und ich gehen zusammen etwas essen, danach singe ich mich ein und versuche, mich zu entspannen. Das war´s. Ich spiele gern live und kann es meistens kaum erwarten, dass es losgeht. Ich liebe es, direkten Kontakt zum Publikum zu haben, Reaktionen auf die neuen Songs zu bekommen.“

Zweieinhalb Jahre nach ihrem gefeierten Debütalbum beweist Calvi, dass sie keineswegs eine Eintagsfliege war: Die elf Songs auf „One Breath“ führen den eindrucksvollen, aus dem Stand charakteristischen Sound des ersten Albums weiter und streben nach Perfektion. „Ja, ich würde mich schon als Perfektionistin bezeichnen“, antwortet sie auf meine Frage, ob sie denn im Studio am liebsten alles allein macht. „Was aber nicht heißt, dass ich mich in unlösbare Aufgaben verbeiße. Ein Song ist niemals wirklich fertig oder gar perfekt. Man kann sich dem Ideal nur annähern – und muss damit leben, dass es das Ideal nicht geben kann.“ Calvis Ideal, das sie mit ihren MitmusikerInnen Molly Harpaz (Harmonium, Percussion), Daniel Maiden (Drums), John Baggot (Keyboards) und Fiona Brice (Streicher) zu verwirklichen sucht, ist ein atmosphärischer, dramatischer, epischer Sound, der parallel zu den Lyrics Geschichten erzählt – die auf „One Breath“ vorwiegend auf eigenen, oft traurigen Erfahrungen fußen.

annacalvi_onebreathDas eindringliche „Tristan“ zum Beispiel basiert einerseits auf dem tragisch-klassischen Stoff der Wagner-Oper „Tristan und Isolde“, hat aber auch ganz jetztzeitigen und vielleicht biografischen Bezug. Doch wie jede kluge Frau hütet sich Anna Calvi vor allzu intimen Geständnissen, sondern lässt ihre Kunst sprechen. Auch „Carry Me Over“, „Cry“ und „Piece By Piece“ sind inhaltlich düster – und die Musik unterstreicht das in mal fragiler, mal überwältigender Weise. Surf-Gitarren, Moll-Akkorde, Filmmusik-Anmutungen, die Goldfrapp so nahe sind wie Ennio Morricone – und doch mit nichts und niemandem direkt vergleichbar sind. Anna Calvi dagegen sieht Vergleiche relativ locker: „Es ist doch ganz klar, dass neue Musik immer mit bereits Existierendem verglichen wird. Man braucht Bezugspunkte.“

In den Stücken passiert sehr viel, und häufig spielen sich die interessantesten Effekte im Hintergrund ab. Man soll, man muss genau hinhören – Calvis bereits erwähnte Vibrato-Mehroktavenstimme und ihr exorbitantes Gitarrenspiel stehen zwar klar im Fokus, doch niemals machen Stimme und Gitarre alles andere platt: Calvi zieht sich im richtigen Augenblick zurück, um Platz für Geigen und Marimba zu machen; bevor ihr Gesang zu Siouxsieeskem Donnerhall anschwillt, löst er sich im Background-Chor auf, wird Teil des Ensembles.

Die vorab veröffentlichten Songs „Eliza“ und „Suddenly“ schließen nahtlos an ihre Hits von 2011, „Desire“ und „Suzanne and I“ an: pathetisch, bombastisch, aber auch poppig und eingängig. Diese erfolgreiche Mischung brachte Calvi den Vorwurf ein, Musik für Leute zu machen, die sonst keine Musik hören – doch nichts könnte falscher sein. Calvis Vorbilder sind Captain Beefheart, Django Reinhardt, Jimi Hendrix und Scott Walker, ihr Talent wurde von Brian Eno entdeckt, der ihr erstes Album mitproduzierte. Doch im Grunde braucht Anna Calvi keine berühmten Mentoren, ihr Können spricht für sich: „Ich wollte schon immer nichts anderes als Gitarre spielen – ich spiele seit meinem achten Lebensjahr. Kein anderes Instrument kann für mich die Gitarre ersetzen.“ Auf der Bühne wechselt sie drei Exemplare miteinander ab – relativ spartanisch im Vergleich zu manchen männlichen Rock-Gitarreros.

Wie viel Spaß ihr das Gitarrespielen macht, hört man in „Love Of My Life“, das sich in seiner an The Knacks „My Sharona“ erinnernden, knackigen New-Wave-Rockigkeit von den anderen Stücken ziemlich abhebt: hier lässt sie die Telecaster jaulen und kreischen, dass es eine wahre Freude ist. Und sie selbst klingt beim „Oh-oh-oh-oh-oh“-Gesang sogar richtig lustig. Das kann Anna Calvi nämlich auch.

Christina Mohr

Anna Calvi: One Breath. Domino Records. Zur Homepage.

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