Geschrieben am 2. April 2014 von für Musikmag

Hanin Elias im Interview

fantome_itallmakessenseSelbstversorgerin auf der Insel

– Nach einer längeren künstlerischen Pause meldet sich Hanin Elias (Atari Teenage Riot) unter dem Projektnamen Fantome mit Musikerkollege Marcel Zürcher (Die Krupps) und mit dem Album „It All Makes Sense“ zurück. Ronald Klein hat mit ihr gesprochen.

RK: Die Song-Titel auf dem Album verweisen auf die ganz großen Themen: Liebe, Freiheit, Spiritualität …

HE: Das ist unabsichtlich so entstanden, aber es kontrastiert schon die Themenfelder, die wir davor mit unseren Bands beackert haben und die deutlich politischer gelagert waren.

Die Texte bilden Situationen ab, die vertraut erscheinen. Ohne das Sloganhafte von Atari Teenage Riot und Die Krupps enthalten sie trotzdem Beobachtungen von gesellschaftspolitischen Umbrüchen.

Hanin Elias: Das freut mich. Die Texte entstanden oft aus einem bestimmten Gefühl heraus, basieren auf Momentbeschreibungen als Ausgangspunkt.

Nachdem du Atari verlassen hattest, hast du Solo-Platten veröffentlicht. Welcher Impuls führte dich dazu, es wieder als Band zu versuchen?

Ich habe immer mit Leuten zusammen gearbeitet, weil ich kein Instrument spiele. Aber ich weiß, wie etwas klingen soll. An dieser Stelle kommen dann andere Musiker ins Boot, die aber wiederum auch Einfluss auf meine kompositorischen Vorstellungen haben. Marcel und ich kennen uns seit 2004. Damals suchte ich einen Drummer für meine Band und irgendwann merkte ich, dass er nahe zu jedes Instrument wirklich gut beherrscht. Das erste Lied, das wir zusammen schrieben, war „Song For God“, und das war wirklich genau vor zehn Jahren. Der Schreibprozess flutschte, aber zu Marcels Entsetzen bin ich nach Französisch-Polynesien.

Was inmitten des Pazifiks liegt. Wie lange hast du dort gelebt und wovon?

Insgesamt waren es fünf Jahre auf einer kleinen Insel als Selbstversorger. Aber dann waren die Kinder unterfordert auf der Inselschule. Ich dachte, ich müsse dann wohl zurück, damit sie nicht nur fischen und surfen können, sondern auch noch ein paar andere Sachen. Also ging es wieder nach Berlin und peu à peu entstanden die Songs für das Album. Von den Plattenfirmen gab es jedoch reihenweise Absagen.

fantomeDie Songs zeichnet eine enorme Leichtigkeit aus, ein anderer Blick als auf früheren Platten. Ist das Deiner Zeit in Französisch-Polynesien geschuldet?

Genau, das kommt natürlich daher.

Womit hast du dich auf der Insel beschäftigt?

Zum einen habe ich das Gefühl, dort endlich zu mir gekommen zu sein. Aber das klingt so groß, so abstrakt. Ganz konkret: Ich habe dort gelernt, wie man Riesenkartoffeln pflanzt. Diese Sorte kennt hier kein Mensch. Allein die Setzlinge sind halb so groß wie ein Mensch. Die werden eingepflanzt und wenn man sie nach neun Monaten ausbuddelt, sind sie groß wie eine Riesenskulptur. Ich habe an Wettbewerben teilgenommen, bei denen es um die größte Riesenkartoffel ging. Ich habe das mit sehr viel Leidenschaft durchgezogen und etliche Urkunden gewonnen. Mein Geheimnis war, dass ich eine Antibabypille mit einbuddelte und der Kartoffel Musik vorgespielt habe.

Welche Art von Musik?

Meistens klassische Musik. Ich dachte, das mögen die.

Und es hat geklappt!

Und wie! Vielleicht sollte ich noch dazu sagen, dass es auch da unten voll der Horst-Sport ist. Die Typen, die das machen, sehen selbst aus wie Riesenknollen und das war echt witzig.

Fiel es dir schwer von Berlin auf eine Südsee-Insel zu ziehen?

Überhaupt nicht. Ich hatte zu dem Zeitpunkt einen echten Berlin-Koller. Ich wusste, dass ich von der Musik definitiv nicht leben kann und wollte noch einmal etwas Neues beginnen. Das Ankommen dort war sehr lässig: Die laufen wirklich alle mit diesen Hawaiihemden herum und tragen Pareos. Ich lernte schließlich, wie man mit einer Harpune Fische fängt und wie man Vanille und Avocados pflanzt. Eigentlich hätte ich mir den Rest des Lebens so vorstellen können. Ich war so erschöpft von Berlin und diesen Riesen-Egos im Musikbusiness. Aber nach fünf Jahren waren die Akkus wieder aufgeladen und ich hatte Lust auf Berlin.

Wie wirkte denn 2011 die Stadt auf dich?

Ich habe Berlin gar nicht wiedererkannt. Ursprünglich wollte ich wieder nach Kreuzberg ziehen, aber die Mieten waren so hoch. Das konnte ich mir nicht leisten. Außerdem kannte ich keinen der neuen Clubs. Ich irrte staunend durch die Straßen. Ich kam mitten im Winter an, aber besaß keine passenden Klamotten. So lief ich in Shorts und Latschen umher, musste Hartz IV beantragen und musste zu meinen Eltern ziehen. Letztlich bin ich dann im Prenzelberg gelandet.

Und musstest wahrscheinlich auch ein neues Netzwerk aufbauen …

Ich musste erst einmal kapieren wie das Musikbusiness nunmehr läuft.

Was ist denn der größte Unterschied zwischen Anfang der 2000er und jetzt?

Es wird mehr Musik auf den Mark geschwemmt. Viele Projekte und Künstler vertreiben sich selbst. Einerseits ist das gut, andererseits wird es immer schwerer, sich auf das Künstlerische zu konzentrieren, wenn du als Musiker dich für alles verantwortlich zeichnest.

Die Gewinne durch Tonträger-Verkäufe sind stark rückläufig. Aber die Live-Präsenz war dir ohnehin schon immer wichtig?

Unbedingt! Trotzdem war es bei dieser Platte anders: Es war sehr seltsam, als ich da auf der Bühne stand und direkt aus meinem Herzen gesungen habe statt irgendwelchen Slogans den Leuten vorzuschmettern. Ich fühlte mich sehr nackt und befürchtete, dass gleich einer ruft: „Ey, Atari!“ Aber das passierte nicht. Das musikalische Konzept ging auf.

Insofern hat sich der Albumtitel „It All Makes Sense“ bewahrheitet!

Dabei sah es am Anfang gar nicht danach aus. Bei den Plattenfirmen galt ich als Riot-Girl und als ich die neue Platte anbot, war die Frage: Wie sollen wir dich denn vermarkten? Hätte ich mit Atari so weitergemacht – alles zu negieren und alles nur Scheiße zu finden – wäre aus mir ein anderer Mensch geworden. Ich könnte somit viele Dinge gar nicht wertschätzen Ich glaube, dass man sehr viel vom Unterbewusstsein geleitet wird, und somit viel weniger zufällig ist.

Ronald Klein

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