Neue Platten von und mit F.S.K., Beach House, Lower Dens, Conor Oberst and The Mystic Valley Band, 2:54 und The Jezabels, gehört von Janine Andert (JA), Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).
Tanz die Ohrfeige!
(MO) F.S.K. sind eine zutiefst paradoxe Band: die Münchner sind so diskursiv wie bodenständig, sagen seit Jahrzehnten „ja zur modernen Welt“, experimentierten schon mit Disco, Techno und Volksmusik und veröffentlichen ihr neues Album ausschließlich als Vinyl-LP – der aber eine CD mit allen Songs beiliegt. Eindeutige Entscheidungen und
feststehende Prinzipien sind F.S.K. aber zuwider, interessanter sind doch die Blicke über die Tellerränder, auch in den künstlerischen Disziplinen: Der Titel „Akt, eine Treppe hinabsteigend“ ist einem Gemälde Marcel Duchamps von 1912 entliehen. Duchamp nannte seine Werke selbst gern „Denkbilder“ und es liegt nahe, die Musik von F.S.K. „Denkmusik“ zu nennen. Denn das ist sie unbestreitbar, im Geflecht der Zitate, Anspielungen und Namen muss man sich erst einmal zurecht finden. Das ist aber gar nicht so schwer, denn F.S.K. wollen ja auch die Leute zum Tanzen bringen und sich selber auch.
Also tanzt man quasi die „Ohrfeige für Kurt Georg Kiesinger“ oder „Lady Chatterley“. Anno 2012 haben F.S.K. nach einer elektronifizierten Phase die Gitarren wieder ausgepackt und loten das Format Rocksong neu aus – in kubistischer Manier. Wie sich das anhört? Viel zugänglicher als man denkt, wenn man sich erstmal vom althergebrachten Rockmodell verabschiedet hat. No Wave, Velvet Underground, Dub und Krautrock mäanderndern durch die Tracks, Thomas Meinecke dichtet wie immer assoziativ, frei flottierend und doch enorm fokussiert (z. B. „Logisch“). Und am allerschönsten ist es immer noch, wenn Michaela Melián nicht-singt. Paradox und gut.
F.S.K.: Akt, eine Treppe hinabsteigend. Buback. Zur Homepage.
Verträumter Hall at its best die Vierte
(JA) Mit was könnte der Frühsommer besser eingeleitet werden als mit den verträumten Klängen von Beach House? Das Duo aus Baltimore präsentiert ihr bereits viertes Album „Bloom“ und beweist einmal mehr, dass ganz viel Hall auf der Stimme nicht nur in Nebelwelten verweist, sondern auch auf Tage, an denen immer die Sonne scheint, ein warmes Lüftchen weht und das Gras ewig grün ist. Und irgendwie scheint dann bei den 10 Tracks von „Bloom“ auch die Zeit stehen zu bleiben. Ein Klacks Wehmut oben drauf, und schon möchte einem in dieser rosa Kaugummiwelt das Herz brechen. Damit nähern sich Beach House dem an, was sie schon immer sein wollten: Popsterne. Denn was ist Pop ohne einen Hauch reinigender Melancholie? Doch nur eine Aneinanderreihung kalter, selenloser Akkorde. Der Vorgänger „Teen Dream“ hatte 2010 bereits angedeutet, wohin Beach Houses musikalisches Streben geht – auf die ganz großen Bühnen. Victoria Legrands und Alex Scally holten sich damals den Indie-Hit-Produzenten Chris Coady (TV On The Radio, Yeah Yeah Yeahs, Grizzly Bear) mit ins Boot und versetzen seitdem mit ihm die mitschwingende Traurigkeit mehr und mehr mit zaghafter Lebensfreude.
Und doch bleiben sie ihrem vehementem Dream-Pop-Erbe treu. Victorias dunkler Gesang wird vom Keyboard und einem schleppenden Rhythmus getragen. Die Gitarre ertrinkt in den lang gezogenen Melodien. Unglaublich, dass das Duo aus diesen Dingen einen vor Leichtigkeit schwebenden Sound zaubert. Kaleidoskope rausgeholt und an den Strand gelegt! In der Nachmittagssonne darf glückselig und träge „Bloom“ gelauscht werden.
Beach House: Bloom. Bella Union/Cooperative Music (Universal). Zur Homepage und zu Facebook. Beach House bei Soundcloud.
Unentdecktes Universum
(MO) Lower Dens sind schon des Öfteren mit Beach House verglichen worden, was nicht nur wegen ihrer gemeinsamen Heimatstadt Baltimore nahe liegt: beide Bands schwelgen in Shoegaze, Drone und Krautrock und haben tolle Sängerinnen. Doch wo Victoria Legrand und Beach House mit ihrem ätherisch schwebenden Sound in erster Linie Stimmungen erzeugen wollen, geht Jana Hunter mit Lower Dens fordernder vor, nicht nur gesanglich. Zwar klingt die Band auf „Nootropics“ noch immer sinnlich und berückend wie auf ihrem Debüt „Twin-Hand Movement“ von 2010, die Songs sind aber kühler und konturierter bei gleichzeitigem Experimentierwillen. Das Album startet rasant, „Alphabet Song“, „Brains“ und später „Candy“ wirken durch Bass- und Gitarrenläufe trügerisch vertraut, exakte Drumbeats locken zum Indie-Dance. Dass Hunter während der Aufnahmen viel Kraftwerk und Can gehört hat, merkt man Tracks wie „Propagation“ und dem zweigeteilten „Lion In Winter“ an: metallische Industrialgeräusche gesellen sich zum luziden Dreampop, bringen Dunkles, Unsagbares hinzu.
Alle Songs bergen Irritationen, die man nicht genau benennen kann: sind „Nootropics“ bewusstseinserweiternde Drogen, die einen trotz Hall und Reverb die Realität schärfer erkennen lassen? Was ist überhaupt real? Lower Dens lösen diese Fragen nicht auf, sondern entlassen die Hörer mit dem in punkto Zeit, Raum und Stil komplett entgrenzten „In The End Is The Beginning“ in ein noch unentdecktes Universum, weit weg von Baltimore.
Lower Dens: Nootropics. Domino (GoodToGo). Lower Dens bei Facebook und zur Homepage.
Warum liegengebieben?
(TM) Conor gets the Blues: das könnte als Überschrift über dieser Platte stehen. Zusammen mit der Mystic Valley Band erschafft der Indie-Star Conor Oberst aus Omaha rauhen Roots Rock, Americana und eben Blues, der den Namen verdient. Zentrum der Veröffentlichung (die es im Juni auch als Vinyl geben wird) ist aber der Film „One Of My Kind“, gedreht von Philip Schaffart. Auf der Tour der Mystic Valley Band 2008 war er als Gitarrenstimmer engagiert, hatte aber auch seine Kamera mit dabei – und hörte nicht auf zu filmen, auch als die Band nach dem Erfolg ihres Albums „Outer South“ wieder auf Tour war. Ergebnis der ganzen Dreherei ist aber nicht nur die vorliegende DVD, sondern auch die elf neuen Songs, sozusagen Liegengebliebenes aus „Outer South“-Tagen. Man fragt sich allerdings schon, warum es Songs wie das furchtbar schön-traurige „Breezy“ oder ein Blues-Monster wie „Corina Corina“ nicht sowieso auf „Outer South“ geschafft haben. Sei’s drum: „One Of My Kind“ wird man formidabel unterhalten. Eigentlich sollte der Film die Zugabe sein, nicht umgekehrt.
Conor Oberst and The Mystic Valley Band: One Of My Kind. CD/LP + DVD. Team Love (Indigo). Zur Homepage und zur MySpace-Seite.
Noch kein Großwerk
(MO) Der Anfang und das Ende sind das Beste am Debütalbum von 2:54, den beiden Schwestern Colette und Hannah Thurlow aus London. In drei Songs („Revolving“, „You´re Early“ und „Creeping“) verbinden 2:54 Shoegaze und Stonerrock zu einer umwerfenden Mischung, verführerisch und perfekt – als hätten sich Lush und Girlschool im Studio getroffen. Die Thurlows benannten ihr Duo nach ihrer Lieblingsstelle aus einem Melvins-Song und outen sich damit als Fans des eher handfesten Krachs; als Teenager brachten sie sich das Gitarres- und Synthiespielen selbst bei und begeisterten mit ihren ersten bei YouTube eingestellten Lo-Fi-Homemade-Videos viele Leute. Es dauerte nicht lang, bis sie Bands wie Warpaint, Wild Beasts, Yuck und die Maccabees supporteten; Rob Ellis (Nick Cave, PJ Harvey) und Alan Moulder (Smashing Pumpkins, Nine Inch Nails) haben ihr Debüt produziert.
Große Namen und eine Menge Vorschusslorbeeren also, aber leider überzeugen die sieben Songs im Mittelteil nicht – viel zu konventionell wirken Kompositionen und Arrangements von „A Salute“ oder „Scarlet“, von Lush und Girlschool keine Spur mehr, eher Starship in ihrer Midtempo-Mainstream-Phase, abgeschmeckt mit ein wenig Gothicrock. So toll und begrüßenswert es ist, wenn junge Frauen Instrumente in die Hand nehmen und die Haare dazu schwingen: 2:54 hätten sich mit einer EP den größeren Gefallen getan. Zeit fürs Großwerk ist später noch genug.
2:54: dito. Fiction/Cooperative. Zur Homepage.
Drama
(JA) Ran an die Kirchenorgel, Nebelmaschine angeschmissen und die Szenerie mit ein paar treibenden elektronischen Beats unterlegt. Eine dunkle Frauenstimme klagt in die aufsteigende Finsternis und beweist damit eindrucksvoll, dass Australien mehr zu bieten hat als Sonnenschein und gute Laune. Zum Beispiel die Jezabels, die in ihrer Heimat bereits gefeierte Stars sind und mit ihrem Debüt „Prisoners“ nun auch den Rest der Welt erobern. Frontfrau Hayley Mary miemt die Männer vernichtende Sirene und gibt alles, um mit dramatischem Gesang zu überzeugen. Dieser Hang zur Theatralik macht auch vor den Live-Auftritten des Quartetts nicht halt. Hier wird das Publikum in den allabendlichen finalen Showdown einbezogen.
Etwas für Menschen, denen Theater im klassischen Sinne zu anspruchsvoll ist. Die anfängliche Vampir-Film-Ästhetik transformiert sich schnell zu Power-Rock, der keine Grenzen kennt. Man sieht förmlich das Bühnenfeuerwerk explodieren. Das hat etwas, wenn man die Kills schon immer mal im Gothic-Genre wildern sehen wollte. Ansonsten ist der Pathos etwas zu aufgesetzt und das musikalische Oeuvre zu vorhersehbar. Dennoch ist „Prisoners“ ein solides Album für Fans klassischer Rock-Musik mit Hang zu überbordender Emotionalität. Auch wer auf Bonnie Tyler steht macht mit dem Kauf dieses Albums nichts falsch.
The Jezabels: Prisoners. PIAS (Rough Trade). Zur Homepage und zur Facebook-Seite. The Jezabels bei Soundcloud. Video bei Youtube.