Es brummt der Verstärker
–Bei Erdmöbel läuft’s: Ein neues Album ist erschienen und die Tour wurde am 3. Oktober 2013 im Theater am Goetheplatz in Bremen eröffnet. Von Wolfgang Buchholz.
Statt „Rosen, Ochsen, Holz, Turmalin, Krepp“ nun „Es brummt der Entwerter“ als erste Worte auf der neuen Platte von Erdmöbel. „Kung fu fighting“ heißt das Album, und die einschlägigen Feuilletons haben sich schon überschwänglich darüber ausgelassen. Tenor: Keine deutsche Band macht eine so leichtgängige Pop-Musik mit schlauen Texten weit jenseits des sonst so gängigen Einerleis.
Musikalisch mittlerweile bei Easy-Listening-Pop Größen wie Burt Bacharach zu verorten und mit Posaune und Querflöte als tragenden Melodieinstrumenten ausgestattet, hat die Kapelle ein unheimliches Gespür für den perfekten Drei-Minuten-Pop-Song entwickelt. Und niemand erzeugt mit Worten, mit durchaus sehr obskuren Worten, die auf den ersten Blick wenig Zusammenhang besitzen, solche schönen Bilder und Geschichten im Kopf des Zuhörers wie Markus Berges, Sänger und Texter von Erdmöbel. Es lohnt sich allemal einmal in die Details der elf neuen Lieder zu gehen:
1. Blinker: Handclaps und tänzelnde Basslinien im euphorisierenden Opener Blinker. Auch unser dreijähriger Sohn Theo blinkt schon beim zweiten Hören fleißig mit im Kindersitz auf der Rückbank. Lieblingswort: Schiffschraubenschaum.
2. Cardiff: Wirkte beim ersten Hören etwas schläfrig, wächst aber gewaltig. Eine sehr atmosphärische Geschichte wie einst „Busfahrt“. Die Bläser klingen wie die High Llamas und es wimmelt von Lieblingswörtern: Porridge, Speisebrei, der Reverend, Hauhechelbläulinge, André Warhola, Vauxhal.
3. Bewegliche Ferien: Klassischer Zweieinhalbminuten-Pop vom Feinsten. Ausnahmsweise mal ein Lieblingssatz: Die Agenturen landen Serien.
4. Gefäße: Hier geht es los mit „Ich habe den Kreidewagen vom Sportplatz geklaut“. Unser Platzwart früher hieß Sheriff und ich sehe ihn beim Abkreiden vor mir. Nicht Tupac Shakur (Lieblingswort hier) sondern Smokie und David Dundas fanden wir astrein. Bier und ab und an Rauchkraut weiteten unsere Gefäße. Wahnsinn, ich sehe die späten 70er vor mir. Hit!
5. Kung fu fighting: Kirmesorgel, Off-Beat und Ufftata-Bass am Anfang. Lieblingswörter: Vorhair Nachair Wohohoho (Carl Douglas) Friesiersalon, Emsdetten, Theo’s Truck Lightning
6. Zollstockbad: Durchatmen, schwächstes Lied auf der Platte, pianodominiert mit Männerchor. Lieblingswort: Tidehub des Hallenbads.
7. Club der senkrecht Begrabenen: Mitglieder waren u.a. Helmut Qualtinger und Erika Pluhar in dem von Rudolf Proksch in 1969/1970 gegründete „Verein der Senkrechtbegrabenen“, der Tote in Plastikröhren einschweißen und senkrecht in die Erde stellen wollte. Ziel war ein Ankurbeln der Plastikindustrie und das Beheben des Platzmangels auf Friedhöfen. Das ergibt zumindest das von Berges in einem Interview empfohlene Googlen. Stefan, mein Konzertbegleiter, hat hier eher an seine neuerungsfeindlichen Kollegen gedacht. Wie auch immer, toller Song mit reichlich Verve. Lieblingswort: Wolframfaden.
8. Vivian Meier: Gedanklich bin ich alle Vornamen durchgegangen, die ich mit dem Nachnamen Meier kenn. Keiner lässt sich besser als Refrain “Anbei die Rollei von Vivian Meier“ singen als Vivian. Tolle Schunkelnummer. Lieblingswörter: Erftkreis, Schaufensterselbstbildnisse
9. Jetzt: Jazzrockähnliche Nummer, federnde Bläser und mal wieder ein Gitarrensolo. Tatsächlich Steely Dan-ähnlich aber mit etwas mehr Fuzz. Mein heimlicher Favorit. Lieblingswort: Klickparkett.
10. Jede Nacht (Shenzhen oder Guangzhou): Nettes Duett mit Desirée Nosbusch und ein schönes Liebeslied. Lieblingswörter: Glutamatcracker, Wedding soundmachine.
11. Peng: Zwei Minuten Uptempo am Ende, Hauptthema erinnert mich an Pretty Flamingo von Manfred Mann. Keine Lieblingswörter.
Die Platte endet so abrupt nach gut 35 Minuten wie sie begonnen hat. Nach dem Konzert schnappe ich ein Gespräch im Foyer auf: „Die Platte ist viel zu kurz.“ Ein größeres Kompliment kann man ja fast nicht machen.
So geschmacksicher Erdmöbel bei ihrer Musik sind, so tief greifen sie bei ihrem Klamotten in die Trash-Kiste. Eine den Eltern neugeborener Töchter nur bedingt eine Freude machende Farbgestaltung ziert das Bühnenoutfit von Erdmöbel: Rosa. Eine Farbe, die dadurch in der Hitparade meiner Lieblingsfarben nur wenig Boden gutmachen kann.
Lustig sieht es aber allemal aus. Punkt 21 Uhr verdunkelt sich das Licht über der kleinen Bühne im Theater am Goetheplatz in Bremen und es geht los mit „Peng“. Etwas gehandicapt durch Soundprobleme am Anfang kommt die erdmöbelsche Leichtigkeit aber bald zurück und die durch Posaune und Querflöte verstärkte Viererkombo läuft zu gewohnt guter Form auf. Sie spielen das komplette neue Album, Großteile vom ebenfalls sehr guten Vorgängeralbum „Krokus“ und diverse ältere Hits, insbesondere von der Platte „Altes Gasthaus Love“. Posaune und Flöte harmonieren hervorragend miteinander und glänzen auch durch Soloeinlagen, insbesondere beim groovenden Gefäße.
Ansonsten gelingt es Erdmöbel ihre durchaus vertrackten Lieder in originalgetreuen Versionen darzubieten, sehr perfekt aber manchmal fehlt etwas die Spontanität. Trotzdem ein toller zweistündiger Pop-Abend, der mit der einzigen Coverversion, der Bacharach-Nummer „Close To You“, bei Erdmöbel „Nah bei dir“, endet. Und im Übrigen: Brummende Verstärker gibt es beim Erdmöbel-Konzert natürlich nicht.
Wolfgang Buchholz