Geschrieben am 22. Juni 2011 von für Musikmag

Elbjazz Festival 2011

Festival in toller Hafen-Atmosphäre

– Barkassen, Kräne und Bläser, Schmuddelwetter, Improvisation und Gesangskunst beim Elbjazz 2011. Tobi Kirsch war dabei.

Rückblickend muss man auch als ehemaliger Bewohner der Stadt eingestehen, dass einem manche Ecken in Hamburg gar nicht bekannt waren. Das Elbjazz-Festival, das in diesem Jahr am 27. und 28. Mai stattfand, hat diese Orte wieder vor Augen geführt, sei es das Betriebsgelände von Blohm & Voss, der alte Elbtunnel, den man zu Fuß nachts durchquerte, oder die nur unausgegoren zu beschreibende Architektur der HafenCity.

Gregory Porter_Paul Zauner c Matthias Pätzold

Gregory Porter & Paul Zauner (Copyright: Matthias Pätzold)

Der erste Festivaltag begann mit einem Konzert des Paul Zauner Quintetts auf der MS Stubnitz, die Musiker ließen sich Zeit, einige Zuhörer verärgerte das im Vorfeld doch deutlich. Mit dem Erscheinen auf der Bühne änderte sich die Stimmung im Publikum, von Anfang an konnte der Österreicher mit seinen Mitstreitern überzeugen durch Charme, Improvisationskunst und interessante Soli. Wie sich herausstellte, sollte dieser Gig als kleine Aufwärmsession für den größeren Gig am Samstag an der Spitzenbühne gelten, doch auch so hatten alle Beteiligten ihren Spaß. Besonders der heimliche Star des Festivals, Ausnahme- Soulsänger Gregory Porter, zeigte als Special Guest eine kleine Kostprobe seines Könnens.

Die Umbaupause zu den Niederländern Monsieur Dubois nahm dann soviel Zeit in Anspruch, dass mich ihr grooviger Jazz nach den ersten Stücken auch nicht mehr auf dem Schiff halten konnte. Stattdessen ging es per Barkasse Richtung Blohm & Voss, wo Azymuth auf einige Hamburger Fans trafen. Die Spitzenbühne hatte jedoch mit den an diesem Abend widrigen Witterungsbedingungen zu kämpfen, daher war es feucht und für ein Open-Air-Konzert doch schlicht zu windig. Aber die robusten Hamburger hielten es größtenteils stoisch aus. Die Band jedoch kam erst nach einer halben Stunde recht lieblosem Gejamme etwas aus dem Quark, da wurde eine Chance vertan.

Den Freitagabend beschloss dann Klaus Doldinger, der mit seiner Formation Passport keine besonderen Überraschungen zu bieten hatte, aber mit dem gewohnten Charme und instrumentaler Routine ans Werk ging. Im Zugabenteil traf man dann erneut Gregory Porter auf der Bühne an, der sehr spontan von Doldinger dazu geholt wurde und dem Gesamteindruck von Passport eine gehörige Prise Esprit einhauchte.

KD Passport

Klaus Doldinger und Passport (Copyright: Michael Fessmann)

Der zweite Tag begann musikalisch wie der erste. Verärgert über das verpasste Taal Tantra Experience-Konzert erschien ich zumindest pünktlich wieder bei Paul Zauner und Gregory Porter. Hatte ich bis dahin nur ausschnittsweise dessen vokalistisches Können erfassen können, bot er hier die ganze Bandbreite seines Könnens am Mikro. Tief im Blues verwurzelt, wechselt er gekonnt Tempi und Intensität seiner Darbietung, die Soul und Jazz eindrucksvoll zusammenführt. Die populäre Nummer „1960 what?“, die die Vorkommnisse der Sechziger reflektiert, bekam dann auch den meisten Zuspruch der Zuhörer.

Das Quintett erwies sich als großartige Begleitung, und das Publikum war restlos begeistert. Es bekam eine großartige Zugabe, während der es sich sogar zu kurzen Mitsing-Aktionen hinreißen konnte. Von diesem Künstler wird in Zukunft noch viel zu hören und zu lesen sein. Hier war Jazz eine spannende Angelegenheit, die sich von den Vorurteilen des Rotweintrinkers und spießigen Mitbürgern emanzipieren konnte. Leider gab es auch solche Beispiele unter den Besuchern, die aber insgesamt den guten Gesamteindruck des Festivals nicht schmälern konnten.

Nik Baertsch

Nik Baertsch (Copyright: Moritz Vahlenkamp)

Ein weiteres Highlight war das Konzert von Nik Bärtsch’s Ronin in der Maschinenbauhalle bei B& V. Diese neue Location wurde zurecht von vielen Besuchern und Kollegen als zu groß und schlecht im Sound kritisiert. Beim Ronin-Konzert jedoch gelang den Tontechnikern ein wirklich tolles Klangerlebnis auch noch in der Mitte des Saales. Das Projekt um Nik Bärtsch ist ein lang eingespielte musikalische Formation, die den krankheitsbedingten Ausfall des Klarinettisten schadlos überstand. Kein Wunder, wenn man wie Ronin jede Woche ein Konzert im heimischen Club spielt. Die Kompositionen konnten einen an diesem Abend wirklich fesseln.

Nicola Conte

Nicola Conte (Copyright: Isabel Schiffler)

Nach Plan wollte ich zurück aufs „Festland“, jedoch war der Besucherandrang an den Barkassen so groß, dass sich der Plan zeitlich als nicht durchführbar erwies. So konnte ich dann zumindest das ganze Konzert von Nicola Conte erleben, der eine erstklassige Band zusammen gestellt hatte, in der u. a. auch Teppo Mäkynen alias Teddy Rok Seven sein Können am Schlagzeug beweisen konnte. Das Konzert war gut besucht und fand auch im allgemeinen Anklang bei den Besuchern, der Sound und das Ambiente in der Halle waren jedoch einigermaßen gewöhnungsbedürftig. Nicht nur Jazzer erwarten in einer überdachten Konzerthalle, dass sie nicht durch tropfendes Wasser von der Hallendecke abgelenkt werden. Aber das war nur ein kleiner Makel, insgesamt blieb das Konzert in guter Erinnerung.

Die anschließende Party der Mojo Club-Macher hatte leider mit einer langen Umbaupause zu kämpfen, sodass ein Großteil des Konzertpublikums den Heimweg antrat. Das Liveset von Mo’Horizons brachte wieder etwas mehr Leben in die hohe Halle, das anschließende DJ-Set von Nicola Conte konnte die Dynamik des Abends jedoch nicht halten, und auch die Mehrheit der Partytänzer gab vorzeitig auf. Da konnte dann auch Mojo-Head Oliver Korthals nicht mehr viel retten, aber er beendete das Spektakel immerhin stilvoll mit Gil-Scott Heron, der am Tag zuvor verstorben war. Insgesamt ein Festival in toller Hafen-Atmosphäre, dass zwar noch an manchen Ecken etwas Feinschliff benötigt, die Lust an Jazzmusik jedoch deutlich steigern konnte. Auch wenn es dafür mitunter ein Zugpferd wie den für mich völlig uninteressanten Paolo Nutini braucht. Daneben gab es schließlich eine ganze Reihe anderer Highlights zu entdecken.

Tobi Kirsch