Geschrieben am 3. September 2014 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit Zoot Woman, Sinkane, Cold Specks und Tricky, gehört von Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

zootwoman_starclimbingZoot Woman: Star Climbing

(MO) Herrschte auf diesem unserem Planet Gerechtigkeit, wären Zoot Woman eine der größten Bands der Erde. Die Welt ist aber nicht gerecht, und deshalb ist die – selbstverständlich britische – Band um Mastermind Stuart Price seit ihrem epochalen Album „Living In A Magazine“ von 2001 so etwas wie der ewige Geheimtipp unter Pop-Connaisseuren, bebrillten TänzerInnen und Stil-EnthusiastInnen. Vielleicht liegt es an den langen Veröffentlichungspausen, die zwischen den bisher ja nur vier Alben liegen, dass Zoot Woman nie so richtig durch die Decke gegangen sind – diese Pausen haben aber ihren Grund, denn Stuart Price ist (wenn schon selbst kein „richtiger“ Popstar) einer der begehrtesten Producer überhaupt und veredelt Alben von Madonna, Kylie Minogue und, seufz, den Killers.

Aber man soll nie „nie“ sagen, und möglicherweise fahren Zoot Woman mit ihrem neuen Album „Star Climbing“ endlich die verdiente Ernte ein. Von kühler, distanzierter und doch hochemotionaler Schönheit sind die elf Songs, die von „Don´t Tear Yourself Apart“ bis „Waterfall Into the Fire“ eine Eleganz ausstrahlen, die man heuer nirgendwo findet. Noch deutlicher als früher schwelgen Price, Adam Blake, Johnny Blake und Jasmin O’Meara in Achtziger-Synthie-Pop, den sie auf zeitgemäßes Niveau polieren. Verbeugungen vor Kraftwerk gehörten bei Zoot Woman schon immer ins Programm, mit „Lifeline“ oder der natürlich völlig unrockigen „Rock & Roll Symphony“ unterstreichen sie, wie hoch sie die Düsseldorfer achten – und geben en passant ein bisschen Nachhilfeunterricht in Basic-Elektro. Man weiß nicht, was besser ist: Zoot Woman den verdienten Erfolg zu wünschen und dem Mainstream preiszugeben, oder die Liebe zu ihnen mit wenigen Wissenden zu teilen.

Zoot Woman: Star Climbing. Embassy One (Warner). Zur Homepage.

sinkane_meanloveSinkane: Mean Love

(TM) Bereits mit seinem zweiten Album „Mars“ aus dem Jahr 2012 hat er Publikum wie Kritik gleichermaßen begeistert. Der Nachfolger „Mean Love“ des in New York lebenden, aber aus Afrika stammenden Ahmed Gallab und seiner Band Sinkane ist ein weiteres Meisterstück einer knackigen und mitreißenden Mischung aus Afrobeat, Funk, Soul, R’n’B und sogar Country. Auch Reggae hebt ab und an sein Haupt. Die Musikalität wurde Gallab in die Wiege gelegt, aber mit welcher Verve er damit umgeht und welche Juwelen er hervorzaubert, das überrascht dann doch.

Ganz ohne Ironie werden da die Pedal Steel mit afrikanischen Harmonien und klassischen Soulstandards gemixt („Galley Boys“), gar nicht zu reden von den vielen instant hits, die man auf „Mean Love“ entdecken kann, beginnend mit dem Opener „How We Be“ oder „Hold Tight“ mit seinem Mörderbass. Dass Gallab ein wunderbare Stimme besitzt, die von der Tiefe bis hin zum Falsett reicht, tut das Übrige. Gänzlich irre wird’s zum Schluss mit einem Chorrefrain zu „Omdurman“, den man schon wie belämmert mitträllert. „Mean Love“: eines des Lieblingsalben dieses Jahres, for sure.

Sinkane: Mean Love. City Slang (Universal).

Layout 1Cold Specks: Neuroplasticity

(MO) Neuronale Plastizität bezeichnet die Fähigkeit der Hirnzellen und -synapsen, sich veränderten Bedingungen anzupassen. Dass die kanadische Singer-/Songwriterin Al Spx alias Cold Specks ihr zweites Album (nach „I Predict a Graceful Expulsion“ von 2011) „Neuroplasticity“ genannt hat, kann man als Kommentar zur heutzutage stets vorausgesetzten Flexibilität des Menschen auf jegliche Situationen lesen. Man kann sich aber auch unvoreingenommen in Cold Specks‘ dunkle Folk-Blues-Unterwelt begeben und abwarten, was so passiert mit dem Selbst…

Die (Akustik-)Gitarristin und Sängerin erschafft eine abgründige, existenzialistische Stimmung, irgendwo zwischen Nina Simone und Nick Cave, Mirel Wagner und den Swans, dessen Mastermind Michael Gira im Background von „Exit Plan“ auftaucht. „Wedged between the hours / A deadening silence / All I got is loving grace“, heißt es in diesem Song, der so beklemmend ist wie vieles auf diesem Album. Und doch: In der Düsternis und Einsamkeit schimmert so etwas wie Hoffnung durch, Specks‘ soulfulle, vibrierende Reibeisenstimme ist die Brücke ins Licht.

Musikalisch ist Cold Specks weniger spartanisch eingestellt als die bereits erwähnte Mirel Wagner: spröder Blues bildet zwar auch bei „Neuroplasticity“ den Mutterboden, Cold Specks holt mit Trompeten, Piano, Synthies und Orgel noch mehr dunkle Klangfarben dazu. Ihre Auftritte in spektakulären Kostümen komplettieren das Gesamtbild – ein burlesker Hades, schauen Sie mal, ob Ihr Hirn das zusammenbekommt.

Cold Specks: Neuroplasticity (mute). Zur Homepage der Band.

tricky_adrianthawsTricky: Adrian Thaws

(TM) Auf seinem eigenen Label bringt Tricky sein neues Album heraus, und wieder einmal ist dem Posterboy des Trip-Hop eine mehr als durchschnittliche Platte gelungen. Das liegt aber nicht nur an ihm alleine, sondern insbesondere an den formidablen Kolleginnen und Kollegen, die er ins Studio eingeladen hat. Abwechslung gibt es auf der Platte, die Trickys Geburtsnamen trägt, genug: Die Single „Nicotine Love“ zum Beispiel tanzt auf einem hysterischen 80er-Jahre-Synthie und Francesca Belmontes Stimme, während an anderen Stellen Jungle Beats oder astreiner Hip-Hop die Feder führt.

Tricky selbst ist dabei gar nicht so präsent, wie man das erwarten würde, sondern hält sich eher im Hintergrund. Dazu passt das wahre Goodie der Platte, die Instrumentalversionen der Stücke, die den zweiten Teil bilden. Denn manchmal ist es interessanter, nur den Samples und den Arrangements zu lauschen, ohne von düsterem Geraune abgelenkt zu werden.

Tricky: Adrian Thaws. False Idols (Alive).

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