Geschrieben am 30. Januar 2013 von für Musikmag

Blitzbeats

Neue Platten von und mit Toro Y Moi, Veronica Falls, The Irrepressibles, LA Vampires und Maria Minerva, Cyclopean, Talk Talk und Adam Green & Binky Shapiro, gehört von Janine Andert (JA), Tina Manske (TM) und Christina Mohr (MO).

toroymoi_anythinginreturnIn Bearbeitung

(MO) Mit seinem dritten Album als Toro Y Moi setzt sich Chaz Bundick verstärkt als Produzent in Szene: Er wollte ein „Pop-Album machen, das nicht nur aus zu Tode verarbeitetem Bubblegum besteht“. Vielleicht ist dem 25-jährigen Songwriter aus South Carolina aber auch einfach klar, dass das Chillwave-Genre, dem neben Bands wie Cut Copy, Washed Out und Neon Indian auch Toro Y Moi zugerechnet werden, eine eher flüchtige Angelegenheit ist.

Auf „Anything In Return“ probiert Bundick verschiedene Ansätze aus, ohne seinen fluffigen, friedlichen, freundlichen Mix aus kalifornisch-nostalgischem Songwriter-Pop und Synthie-Disco komplett aufzugeben. Die Mischungsverhäl-Hop-Anleihen und geschickt platzierte Voice-Samples machen Songs wie „Day One“, „High Living“ und das vergleichsweise düstere „So Many Details“ zu lebendigen Statements – beziehungsweise unterstreichen Chaz’ Aussage: „Underground ist nicht immer das non-plus-ultra. Ich gucke mir an, was populär ist und mache dann mein eigenes Ding daraus.“

Man spürt Bundicks Tatendrang förmlich (immerhin sind dreizehn Stücke auf der Platte), und meistens beweist er ein sehr glückliches Händchen. Trotzdem ist nicht alles rund auf „Anything In Return“, mancher Track wirkt ein wenig zerschnipselt, wie DJ-Material, das erst noch „processed“ werden muss – also genau so, wie es Bundick nicht mehr wollte, siehe oben.

Andererseits heißt das, dass Toro Y Moi kein kurzlebiges modisches Chillwave-Projekt war, sondern sich in progress befindet, sich verändert und experimentiert. Also beste Aussichten für Toro Y Moi.

Toro Y Moi: Anything In Return. Carpark (Indigo). Zur Homepage der Band.

veronicafalls_waitingforsomethingtohappenCoitus interruptus

(JA) “Waiting For Something To Happen“ – der Albumtitel beschreibt treffend den Eindruck, der den Hörer erwartet. Veronica Falls liefern auf ihrem zweiten Album netten Radiopop über die Sinnsuche der Menschen Anfang 20 ab. Musik, die beim Bügeln nicht stört. Alles, was auf dem selbstbetitelten Debüt spannend war, also vornehmlich die Shoegaze-Gitarren, fehlt.

Etwas uninspiriert wird auf “Waiting For Something To Happen“ die 80er-Idee von 60s-Girl-Groups zum Besten gegeben. Ein bisschen Bananarama ohne Drive. Kein einziger Song sticht hervor oder bleibt hängen. Das ist schade, weil das Debüt so vielversprechend war. Klar, die vermeintlich unterkühlte Langeweile in der Stimme von Sängerin Roxanne Clifford ist Markenzeichen des Londoner Quartetts, wurde aber durch spannende Gitarrenriffs und Tempowechsel torpediert. Anders auf „Waiting For Something To Happen“ – hier geschieht konsequent nichts.

Als Antithese zwischen rosafarbenen Seifenblasen, Gitarrengeschrammel, Rückkopplungen und skurrilen Texten über die Liebe zu Geistern und Suizid ist das Konzept aufgegangen. Glattgebügelt, der Ecken und Kanten beraubt, ist der Esprit verloren gegangen. Der Geist der Wall of Sound hat also nicht nur die Raveonettes verlassen, sondern auch Veronica Falls.

Dieses Album hat etwas von einem verfehlten Orgasmus. Die ganze Zeit denkt man erwartungsvoll: gleich kommt’s! – und dann passiert nichts. Besser als gar nichts, aber es lässt einen unbefriedigt zurück.

Veronica Falls: Waiting For Something To Happen. Bella Union/Cooperative Music. Zur Homepage, zur Facebookseite , Veronica Falls in der Soundcloud.

theirrepressibles_nudeNähe und Distanz

(TM) Mit ihrem neuen Album bewegen sich die Briten The Irrepressibles um Mastermind Jamie McDermott weiter auf dem Weg in Richtung Perfektion. Ihre dunkle Elektronika wird dieses Mal ergänzt von orchestralen Parts, die einem das Herz zerreißen. Von der „Sunday Times“ völlig passend als „pop extravaganza“ betitelt, spielen The Irrepressibles sowohl mit den leichten Pop-Melodien als auch mit den schweren Brokatvorhängen des mit Kronleuchtern behängten Staatstheaters.

„Nude“ ist ein durch und durch queeres Album, ganz abgesehen davon, dass es mit dem zentralen „Two Men In Love“ ein überragendes dreiteiliges, mutiges, das Nebeneinander von Nähe und Distanz wunderbar austarierendes schwules Liebeslied enthält und McDermott in „Arrow“ sein eigenes Coming-Out thematisiert. Ebenso wie unlängst schon Nils Bech verstehen es The Irrepressibles, den Kitsch und die tränenselige Überwältigung nicht hohl klingen zu lassen, sondern sie im Pop aufzufangen.

Das macht sie nicht nur für Fans von Antony & The Johnsons zu einer unverzichtbaren Band. Nicht zuletzt schenken sie uns mit dem Video zu „Arrow“ eines der schönsten Musikfilmchen des beginnenden Jahres – punktgenau choreographiert zwischen Ruhe und Bewegung, zwischen Abgrenzung und Anziehung, exakt geschnitten, ein Kammerspiel des homoerotischen Tanztheaters mit Männerkörpern, die der römischen Antike nacheifern.

The Irrepressibles: Nude. Of Naked Design Records (Rough Trade). Zur Facebookseite, zur Homepage.

lavampires_mariaminerva_integrationZuckerschock

(MO) Zuallererst: ich LIEBE dieses Album! Zehn großartige Tracks, Mixturen aus Frühachtziger-Elektropop, Ibiza-Style-Disco, Housebeats und düster angehauchtem Techno, dazu seltsamer Gesang von seltsamen Mädchenstimmen, sleepy & ghoulish mit viel Hall unterlegt – die Sorte Musik, die man nach der Party nochmal für sich selber auflegt und erst mit ein wenig wackligen, dann immer lebhafteren Bewegungen durchs Wohnzimmer ins Morgengrauen tanzt.

Aber wovon schwärme ich hier überhaupt? LA Vampires ist das Soloprojekt von Amanda Brown, ehemalige Hälfte des amerikanischen Psychedelic-Witchhouse-Duos Pocahaunted. Nach dem Split von Pocahaunted gründete Browns Ex-Kollegin Bethany Cosentino mit Bobb Bruno die Band Best Coast; Brown hingegen bevorzugt wechselnde Kooperationen: so arbeitete sie unter anderem mit Zola Jesus und Matrix Metals (a.k.a. Sam Mehran) zusammen; kürzlich verknüpfte sie sich bzw. LA Vampires mit der estnischen Produzentin, Musikerin und Sängerin Maria Minerva (Simon Reynolds aktuelle Lieblingskünstlerin, aber das nur nebenbei), um „Integration“ aufzunehmen.

Minerva nennt ihre eigenen Werke „Sugar Rush Music“, und dieser „Zuckerschock“ zieht sich durch die gesamte Kollabo mit Brown, die im Doppelpack mit Zola Jesus wesentlich düsterer klang. Brown/Minerva ergänzen sich ideal: freshe girlmusic im Geiste Bananaramas, Tom Tom Club und Cookie Crew, unterfüttert mit Gewummer aus dunklen Abrisskellern – toll. Wem Frau Mohrs Begeisterung nicht genügt, sollte in „Supercool“, „Seasons Change“ und „Alien In My Heart“ reinhören!

LA Vampires with Maria Minerva: Integration. Not Not Fun (Import).

cyclopean_ditoGiganten

(TM) Cyclopean, so nennt sich das neue Projekt von Burnt Friedman, Jono Podmore und den beiden Can-Gründungsmitgliedern Jaki Liebezeit und Irmin Schmidt. Wer die bisherigen Kollaborationen von Friedman und Liebezeit („Secret Rhythms“-Reihe) kennt, weiß, welch Zündstoff sich hier verbergen muss – wo Fricklertum auf einen der besten Perkussionisten der Gegenwart trifft, darf man immer Großes erwarten. Can meldeten sich ja bereits im letzten Jahr spektakulär zurück mit der Veröffentlichung ihrer „Lost Tapes“, einer wahren Fundgrube für Krautrock-Fans.

Und tatsächlich wird bei den vier Stücken der „Cyclopean“-EP keiner enttäuscht. Die Instrumentierung mit präpariertem Klavier, Theremin, Gummiband-Gitarre und Schlagzeug lässt viel Raum für Experimente, die wie gewohnt mit repetitiven Strukturen aufgefangen werden und zur meditativen Seelenschau einladen. Der Name des Projekts bezieht sich auf eine Architektur, von der man sagt, nur Giganten könnten sie errichtet haben – was auch auf diese Musik zutrifft.

Cyclopean: dito. EP. Spoon/Mute (Goodtogo).

talktalk_naturalorderBest-of und Raritäten

(TM) Talk Talk waren ein einmaliges Phänomen: von der Synthie-Popgruppe der 80er-Jahre mit Hits wie „Such A Shame“ und „It’s My Life“ entwickelten sie sich zu einer Art-Avantgarde-Band, die Anfang der 90er mit den beiden Alben „Spirit Of Eden“ und „Laughing Stock“ für zwei der anspruchsvollsten Alben sorgten – Alben, die Kritikern und Musikaficionados noch heute das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt.

Bandleader Mark Hollis gilt mittlerweile unbestritten als einer der besten Songwriter und Arrangeure der Popgeschichte. Leider gab es nur noch eine Soloplatte von ihm, bevor es dann sehr ruhig um die Band wurde und bis heute bleibt. Nun veröffentlicht EMI mit „Natural History“ und „Natural Order“ zwei von Hollis kuratierte Best-Of- bzw. Raritäten-Compilations. Sehr schön kann man hier nachvollziehen, welchen Weg die Band gegangen ist, von der in der Rückschau doch sehr einfach gestrickten Popsongs der frühen 80er bis hin zu den ätherischen Kompositionen wie „I Believe In You“ oder „April 5th“. Mit „My Foolish Friend“ ist auch ein Song dabei, der bisher nur als Single erhältlich war.

„Natural Order“ enthält neu gemasterte Stücke und eine alternative Version von „After The Flood“. Den Einfluss, den Talk Talk während ihrer gesamten Laufbahn auf andere Bands hatten, kann nicht hoch genug eingestuft werden. „Natural History“ wird durch eine DVD ergänzt, die die Videos der Band zeigt – unvergessen z. B. das stürmische „Living In Another World“, bei dem die Band auch schon mal von der Decke hängend agierte. Auch ein Konzertvideo ist mit dabei, das die formidablen Livequalitäten der Band zeigt.

Talk Talk: Natural History. 1982-1988. CD + DVD; Natural Order. 1982-1991. CD. Beide EMI.

adamgreen_binkishapiroSchön altmodisch

(MO) Wer war doch gleich Adam Green – hat der nicht in dieser TV-Serie mitgespielt…? Kleiner Scherz, aber ist es nicht erstaunlich, wie sehr der fluffige Singer-/Songwriter aus New York in der Versenkung verschwunden war, nachdem das ewige Wunderkind und Moldy-Peaches-Mitglied als (Anti-)Folk-Superstar auf den Spuren Bob Dylans und Arlo Guthries gehandelt worden war?

Green galt auch als literarische Hoffnung, sein Gedichtband „Magazine“ erschien bei Suhrkamp, übersetzt von Thomas Meinecke. Jetzt ist Adam Green wieder da und macht Musik, aber nicht allein: zusammen mit der Multiinstrumentalistin und Sängerin Binky Shapiro (Ex-Little Joy/ ihre Band mit Fabrizio Moretti von den Strokes) hat er ein sehr hübsches, verträumtes, melancholisches 60s-Folk-Pop-Album aufgenommen, das kaum etwas mit lustig-bösen Green-Songs à la „Emily“ oder „Jessica“ gemein hat. Mit Liedern wie „Pity Love“, „If You Want Me To“ oder der Single „Here I Am“ üben Binky und Adam die Reinkarnation von Nancy Sinatra & Lee Hazlewood und anderen Gesangsduos der sechziger Jahre, einzig „Don´t Ask For More“ zeigt leichte Grunge-Spuren.

Bei den meisten Songs ist Binkys Stimme im Mittelpunkt und Adam gleitet aus dem Hintergrund hervor – sodass das Album mehr Binkys Vorstellung ist, die sie mit einem berühmten Gaststar gibt. Auf der Bühne sind die Verhältnisse wohl allerdings umgekehrt, wenn man den Konzertkommentaren Glauben schenkt: live läuft Green zu gewohnter Hochform auf, während Binky schräg und schüchtern wirken soll. „Adam Green & Binky Shapiro“ ist auf charmante Weise altmodisch und tut niemandem weh – was ja aber auch sehr schön ist.

Adam Green & Binky Shapiro: s/t. Concord (Universal). Zur Homepage. Zur einer Videodokumentation.

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